Medientheorien des Richters Di Fabio:Irrungen und Wirrungen

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Das Internet - fast so schlimm wie eine Burka: Enttäuschend unterkomplex kritisiert Verfassungsrichter Udo Di Fabio in einem Vortrag Medien, Journalisten, Internetnutzer.

Bernd Graff

Das Solinger Tageblatt - das ist jetzt fürchterlich gemein - ist im Jahr 2009 aufgefallen, weil es Einzug in den Hohlspiegel gehalten hat: "Dies zeigt", wurde da frech zitiert, "mit welch heißer Nadel oft Gesetze gezimmert werden." Diese Verwirrung in den Handwerkskünsten herrschte im Februar, vor der 200-Jahr-Feier des Blattes im August. Anlässlich des Festaktes hielt nun der Jurist Udo Di Fabio einen Vortrag über die Bedeutung der Medien in der Neuzeit. Und damit richtete sich aus Solingen ein Brennglas auf die Verfasstheit der Demokratie. Aber auch hier obsiegte Verwirrung.

Verfassungsrichter Udo di Fabio darf als einer der schillernsten Denker gelten, die man je in der roten Robe und dem weißen Jabot gesehen hat. (Foto: Foto: dpa)

Di Fabio, seit zehn Jahren Richter am Bundesverfassungsgericht, darf als einer der schillernsten Denker gelten, die man je in der roten Robe und dem weißen Jabot gesehen hat. Immer wieder, etwa in seinem Buch "Die Kultur der Freiheit", beschäftigt er sich mit dem Problem von Identität und identitätsstiftender Gemeinschaft. So auch bei seinen Solinger Einlassungen zur gesellschaftlichen Rolle der Medien, die vor allem da äußerst diskutabel sind, wo der Richter die Neuen Medien diskutiert.

Der Journalist als souveräner Mediator der Wirklichkeit

Di Fabio geht in dieser, formal in sechs, inhaltlich in zwei Hauptstücke gegliederten Rede zuerst historisch wägend zur Sache. Doch dann unterlaufen dem Laudator Schnitzer in der Zuordnung von Ursache und Wirkung, in der Charakterisierung von Medium und Mediennutzung, sowie bei der Verfasstheit von Bürgertum und bürgerlichen Artikulationsformen. Und so wirkt Di Fabio gerade in seiner oft verklausuliert vorgetragenen Analyse der Neuen Medien, als nehme er Symptome schon für die Krankheit.

Den ersten Teil seines Vortrags widmet der Professor Entstehung und Bedeutung der freien Presse in einer Demokratie. Dazu gehöre eben, dass der Journalist das tatsächliche Geschehen so abbilde, "dass es bekömmlich und anschlussfähig ist". Dazu bedürfe es der "radikalen Vereinfachung und Auswahl". Der Journalist gewissermaßen als souveräner Mediator der Wirklichkeit: Es ist - wenn man den Anlass seiner Rede beiseite lässt - schon verwunderlich, warum Di Fabio dieses Vermittlungsmonopol so emphatisch wertet. Denn seine Konklusio: "Die Presse wählt aus, was ihr wichtig ist; damit konstituiert sie das politische Zentrum der Demokratie, weil dasjenige für alle von öffentlichem Interesse ist, was für Presse und Rundfunk von öffentlichem Interesse ist", darf nach den Debatten um Schleichwerbung, gedrucktem und gesendetem Info-Trash, von Gefälligkeits- und politisch motiviertem Journalismus auch für naiv gehalten werden.

Ein Strom aus Kommerz und Emotion, Information und Unsinn

Im zweiten Hauptstück unterläuft dem Beobachter Di Fabio in seiner Solinger Rede dann eine Fahrlässigkeit in der Interpretation, die der Rhetor Di Fabio geradezu lustvoll für seine Einordnung der Neuen Medien verwendet. Sagen wir es so: Di Fabio korrigiert sich nicht, wenn er im Ganzen immer nur ein dröhnendes Ganzes, aber nicht die immer selektiv aufgenommenen Teile sieht, die sich indes nicht zu einem Ganzen addieren lassen. "Nicht mehr die Bürger, die mit ihrer Arbeit, ihrem gebildeten Verstand das Publikum als eigentliches Subjekt der öffentlichen Meinung bilden, sondern der ununterbrochene Strom eines Konglomerats aus Kommerz und Emotion, aus Information und Unsinn, aus gesteuerter Ordnung und wildem Zufall wird zum Herrschaftssubjekt, tauscht die neuen Ideale der Direktheit, des unmittelbaren Effekts, auch der totalen Gleichheit des Zugangs gegen den Anspruch, die Welt nach Menschenmaß in einem diskursiven Prozess demokratisch zu gestalten." Wie vertrackt Di Fabios Überschlag vom neuen Medium zum Medienrezipienten ist, zeigt sich gewissermaßen erst in Zeitlupe: Im oben zitierten Satz wechselt das Subjekt vom Bürger zur Information, prallen fatale Ideale auf den Anspruch, die Welt zu gestalten. Ja warum denn eigentlich? Worauf fußt solche Beobachtung?

Auch wenn Di Fabio das Internet zum "offenen Meer" erklärt, heißt das ja noch lange nicht, dass darin alle ertrinken. Nur weil viele Angebote im Netz gleichzeitig existieren, ist nicht alles Rauschen. Auch in der Analyse der Konsequenzen bleibt Di Fabio enttäuschend unterkomplex: "Wer schreibt für Wikipedia? Warum zeigt sich das Gesicht der Kommunikationsteilnehmer nicht offen im Netz - ist die mittelalterlich anmutende Burka im Straßenbild auch europäischer Städte denn wirklich so weit entfernt von den hypermodischen Twittern und Newsbotstern?"

Tatsächlich muss das Individuum angesichts neuer Technologien als herausgefordert gelten. Doch anders als Di Fabio insinuiert, ist es nicht in seinem Status als Individuum gefordert, sondern in seiner Fähigkeit, Information zu gewichten. Es bedarf mehr denn je souveräner Entscheidungen, was Information ist - und was nicht. Fragen des Vertrauens, der Erfahrung und des Lernens sind damit berührt, die - es wundert, dass Di Fabio darauf nicht kommt - ihren Ursprung genau in jenem Demokratisierungsprozess nahmen, die der Festredner mit dem Aufkommen der Presse identifiziert. Nicht das Internet tötet Demokratie, Gemeinwesen und Individuum. Es bestärkt sie, indem es sie voraussetzt.

© SZ vom 26.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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