Medien, Irakkrieg und Jugendkultur:Die sicherste Gefahr

"Da hinten gibt es das Schweinefleisch und hier die Grillkohle": Um soldatischem Nachwuchs den Irak-Einsatz schmackhaft zu machen, setzt die US Army auf junge Rekruten und ihre ganz eigene Sichtweise.

Franziska Seng

Sicherheit ist ein konjunkturell unabhängig stark nachgefragtes Gut. Als Legitimationsgrundlage für einen Krieg kann eine Regierung die Gefährdung der eigenen Bürger anführen und so auf breite Zustimmung hoffen. Dieses Sicherheitsbedürfnis ist jedoch nicht nur von Vorteil für die kämpferische Verteidigung eines Landes, im Gegenteil: So bereitete es der Streitkräften in den vergangenen Jahren, als sich die Negativschlagzeilen aus Afghanistan und Irak häuften, immer größere Probleme, die gesetzten Rekrutierungsziele zu erreichen.

Medien, Irakkrieg und Jugendkultur: Zeitgemäße Soldaten sehen aus wie "Starship Troopers", zumindest bei GoArmy.com.

Zeitgemäße Soldaten sehen aus wie "Starship Troopers", zumindest bei GoArmy.com.

(Foto: Screenshot: sde)

Nicht jeder Bürger zieht freiwillig in einen Krieg, in dem Risiken für Leib und Leben auf ihn warten.

Doch jetzt hat sich das Blatt gewendet. Erstmals seit fünf Jahren stieg laut einer Umfrage des Pentagon im Herbst 2008 der Anteil der jungen Menschen, die sich zum Dienst in den Streikräften verpflichten würden, von neun auf elf Prozent.

Der Wahlsieg Barack Obamas und die Aussicht auf einen baldigen Abzug aus dem Irak, vor allem jedoch die schwache Wirtschaft, treiben die Zahlen nach oben. Die Recruiter, die Anwerber der Streitkräfte, besuchen nicht nur Highschools und Colleges, sondern auch kriselnde Betriebe und Jobmessen, um Nachwuchs für ihre Sache zu gewinnen - mit Erfolg.

Denn die Armee lockt auch in schwierigen Zeiten mit unwiderstehlichen Angeboten: Krankenversicherung, garantiertes und regelmäßiges Einkommen. Wer sich verpflichten lässt, nimmt Einsätze in ausländischen Krisengebieten in Kauf, um paradoxerweise eines zu finden: Sicherheit.

Den Eindruck, dass der Krieg im Großen und Ganzen eine sichere Sache sei, befördern auch die jüngsten medialen Rekrutierungskampagnen der US Army. Das ist einerseits nicht neu: Natürlich erwartet niemand in Armee-Werbefilmen Gefahrenhinweise wie auf Zigarettenschachteln, und weniges ist so tabuisiert wie das öffentliche Sprechen über die Möglichkeiten des Tötens und Getötetwerdens.

Neu sind jedoch Qualität und Budget der Maßnahmen, die offensiv in neuen Medien wie Internet, Computerspielen und virtuellen Welten verfolgt werden. Sie generieren mit Mitteln der Populärkultur eine virtuelle Authentizität, die den Krieg nicht als archaisches, sondern unterhaltsames Abenteuer erscheinen lässt.

Pünktlich zum Veteranentag am 11. November startete auf GoArmy.com, der Rekrutierungsplattform im Netz, der Webcast "Straight from Iraq", der vor allem die Zielgruppe der 17- bis 24-Jährigen ansprechen soll. "Das meiste, was wir über den Konflikt wussten, wussten wir durch Presse und Rundfunk - bis jetzt", so der Sprecher im Online-Werbefilm zum Webcast. Nun jedoch bekäme jeder die "Chance zu erfahren, wie es wirklich ist, im Nahen Osten stationiert zu sein".

Interessierte könnten Fragen an die stationierten Soldaten richten, deren Antworten werden als Audio-Podcasts ins Netz gestellt.

Die implizite Kritik an der Krisenberichterstattung in den Medien ist nicht von der Hand zu weisen. Schließlich bemängeln auch Reporter vor Ort immer wieder, dass es nur Katastrophenmeldungen in die Nachrichten schafften und so ein verzerrtes Bild der Lage entstehe. Wer sich jedoch aufgrund der Soldaten-Podcasts einen differenzierteren Einblick erwartet, wird auch enttäuscht. Beschränken sich Nachrichten oft auf das unmittelbare Kampfgeschehen, so beschränken sich die Podcasts hauptsächlich auf den Alltag im abgeriegelten Lager.

Das ist meistens belanglos, manchmal auch unfreiwillig komisch. Auf die Frage an Specialist Wright, wie es denn sei, in einem Palast in Bagdad zu arbeiten, meint diese: "Man telefoniert oder erhält Anrufe von zu Hause", und "eigentlich ist es gar nicht so schlecht."

Ein anderer Soldat entkräftet das Gerücht, im Irak gebe es nicht jeden Tag warme Mahlzeiten. Er sei sehr überrascht gewesen von der Vielfalt an Essen, auch den "wirklich guten Nachspeisen", etwa den vier verschiedenen Eiscremesorten, die täglich im Angebot wären. Ein anderer Informationsfilm heißt: "What's shopping like in Iraq?" Specialist Gaylord und Private Martinez zeigen den Supermarkt der Victory Base, wo man sich "wie im Supermarkt zu Hause" fühle: "Da hinten gibt es das Schweinefleisch und hier die Grillkohle."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Jugendkultur die Kriegsführung beeinflusst.

Die sicherste Gefahr

Die Webcasts zeichnen das Bild einer friedlichen, entspannten Atmosphäre, in der zahlreiche Annehmlichkeiten warten. Nur manchmal lässt sich etwas von der Diskrepanz zwischen Vorstellung und Wirklichkeit erahnen, die die jungen Soldaten auffinden, wenn sie im Irak ankommen.

Einer antwortet auf die Frage, was ihn am meisten schockierte, als er nach Bagdad kam: "Ich war wirklich überrascht von den Umständen hier, mitten in der Stadt", erzählt Private Penland. "Vor meiner Ankunft dachte ich, ich würde auf einer Insel arbeiten, mit einem Palast drauf."

Klingeltöne aus dem Krieg

Der Konsument lernt mit der "Army-Strong-Kampagne" zwar, dass Bagdad geographisch keine Insel ist, gewinnt aber den Eindruck, dass es sich beim Irak doch im übertragenen Sinn um eine interessante Insel handeln müsse, auf der es starke Maschinen, Eiscreme und Freizeiteinrichtungen gibt, und die nicht so schwer zu verteidigen sein kann. Über eine Milliarde US-Dollar beträgt nach Angaben der New York Times das "Army-Strong"-Werbebudget bis 2011, Geld, das von öffentlichen Veranstaltungen wie Rodeos abgezogen und in neue Medien gesteckt werden soll.

Auch Fernsehspots wurden mit diesem Geld produziert, die sich von professionellen Imagefilmen privater Unternehmen nicht unterscheiden, allerdings dann doch mit der zackigen Aufforderung "Go to GoArmy.com!" enden.

Die Stoßrichtung ist eindeutig: Erst einmal sollen potentielle Army-Anwärter abtauchen in die Virtualität, sich dort ein Bild von der möglichen Lage machen. Neben Webcasts erwarten sie ein Blog aus dem Irak, Spiele, Klingeltöne, Videos von selbstbewussten Soldaten und Soldatinnen sowie ihrer Eltern. Außerdem steht "Sergeant Star" bereit, ein schneidiger Avatar, der Fragen zum Leben in der Armee beantwortet.

Anfang Dezember meldete die Militärzeitung Stars and Stripes, dass die US Army plane, für 50 Millionen Dollar ein neues Videospiel zu entwickeln. Anders als die bisherigen Spiele, die in den Streitkräften zum Schießtraining verwendet werden, solle es sich mehr an den kommerziellen, hoch entwickelten Produkten der Spieleindustrie orientieren. So wird ein Krieg als Abenteuerspielplatz inszeniert und eine Illusion von Spaß, Sicherheit und persönlicher Unverwundbarkeit erzeugt.

Wir waren virtuelle Veteranen

Im Januar sollen weitere militärische Eilande errichtet werden, jenseits von Bagdad: Die US Army hat angekündigt, zwei Inseln in der virtuellen Welt des "Second Life" errichten zu wollen. Der Ort biete für Interessenten und ihre Angehörige die Möglichkeit, in einer "entspannten Umgebung und ohne Verpflichtungen" das Soldatenleben kennenzulernen. Als Attraktionen angeboten werden zum Beispiel Skydive- und Helikopterausflüge, was etwas bemüht und wenig spektakulär klingt, da im "Second Life" ohnehin jeder selbst fliegen kann.

Mit der virtuellen Offensive lässt sich jedoch unbestritten Nutzen aus einem Phänomen ziehen, das der bekennende Realitätsflüchtling und Autor Tim Guest in seinem letzten Buch "Die Welt ist nicht genug" als "Segen und Fluch zugleich" beschreibt: Anders als in der Realität wären virtuelle Erfahrungen mit keinem Risiko für Leib und Leben verbunden. "Wir waren virtuelle Kriegsveteranen und konnten nicht die geringste Narbe aufweisen", konstatiert er nach einer Partie des Kampfspiels "Counter Strike". Eine sichere Sache also.

Playstation an der Front

Die Army tut nichts anderes als jedes moderne Unternehmen, das versucht, für jüngere Zielgruppen attraktiver zu werden: Sie greift Trends der Jugend- und Populärkultur auf. Dass dies letzten Endes auch die Kriegsführung entscheidend beeinflussen kann, glauben Augenzeugen, die mit den Truppen im Irak unterwegs waren, wie etwa der Kriegsreporter Evan Wright.

Er war für das Musikmagazin Rolling Stone bei der Invasion in Bagdad dabei, beobachtete die erste Generation Playstation, aus deren Kopfhörern der Gangsta-Rapper Tupac und Heavy Metal dröhnt, während sie ihre "Jobs" erledigt. Seiner Ansicht nach unterscheidet sich diese Generation von früheren, etwa der Vietnamgeneration, durch die virtuelle Einübung kämpferischer Tugenden: "Sie töten ziemlich gut im Irak."

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