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Mediaplayer:Wie hält man es nur mit sich selber aus

"The End of The Tour": Das Drama über den Erfolgsautor David Foster Wallace zeigt zwei Davids - der eine ist unzufrieden, weil er berühmt ist, der andere ist unzufrieden, weil er es nicht ist.

Von David Steinitz

Wir werden uns zu Tode onanieren, erklärt der Schriftsteller David Foster Wallace dem Journalisten David Lipsky zu Beginn des Spielfilms "The End of The Tour": Die Chancen stehen wirklich nicht schlecht, dass die Menschheit durch Masturbation verendet.

Draußen herrscht kalter Winter im eingeschneiten amerikanischen Hinterland in Bloomington, Illinois. Drinnen philosophiert Wallace (Jason Segel) über die Vereinsamung, die das Internet verursacht. Noch vor Kurzem hat er seine achterbahnartigen Gemütsverfassungen in eine elektrische Schreibmaschine gehackt und den Fernseher abgeschafft, die schlimmste aller Verblödungsmaschinen. Aber jetzt: das Internet. Und vorne dran, wie bei jedem technischen Evolutionssprung: die Pornoindustrie. Wenn wir das Haus nicht mehr verlassen müssen, um Sex zu bekommen, sagt Wallace - dann sind wir endgültig von unseren Mitmenschen separiert.

Der Autor ist zum Zeitpunkt dieses Gesprächs 34 Jahre alt, wir schreiben das Jahr 1996 - und soeben ist sein absolutes Überbuch "Unendlicher Spaß" erschienen. Mit diesem tausendseitigen Romanmonster über Depressionen, Tennis, Drogensucht und die Untiefen der modernen Unterhaltungsindustrie stellte Wallace den amerikanischen Literaturbetrieb auf den Kopf. Nach dessen Erscheinen zog er sich nach Illinois zurück, wo er an der staatlichen Universität kreatives Schreiben unterrichtete und das Haus so selten wie möglich verließ. Womit eigentlich die Grundvoraussetzungen für einen sehr schlechten Film geschaffen wären, weil Kinogeschichten über einsame Männer, die alleine an der Schreibmaschine sitzen, oft kein besonders attraktiver Leinwandstoff sind.

Der Regisseur James Ponsoldt aber, einer der wichtigsten Filmemacher des amerikanischen Independent-Kinos ("The Spectacular Now"), greift in seiner klugen, melancholischen Filmbiografie zu einem Trick: Er erzählt nicht nur die tragische Geschichte des großen David, der als einzigen Ausweg aus seinen Depressionen den Selbstmord sah und sich 2008 das Leben nahm, sondern er stellt ihm einen zweiten, erfolglosen David an die Seite. David Lipsky (Jesse Eisenberg) hatte 1996 ebenfalls einen Roman veröffentlicht - "The Art Fair" -, für den das allgemeine Interesse, vorsichtig gesagt, eher gering war. Er nahm eine Stelle beim Rolling Stone an und überredete seinen Redakteur, ihn für eine Reportage zum gefeierten großen David zu schicken, um ihn auf der letzten Station seiner Lesereise von "Unendlicher Spaß" zu begleiten. Dieses Treffen hat tatsächlich stattgefunden, auch wenn das Porträt nie erschien. Aber Lipsky hat Jahre später daraus das Buch "Although of Course You End Up Becoming Yourself" gemacht - die Grundlage für diesen Film.

Die zwei Davids - der eine unzufrieden, weil er berühmt ist, der andere unzufrieden, weil er es nicht ist - verbringen einige Tage miteinander. Sie rauchen zu viel, sie ernähren sich zu schlecht und führen Gespräche, wie sie nur kinderlose Männer Mitte dreißig führen können, von permanenter Selbstumkreisung getrieben. Damit entledigt Regisseur Ponsoldt sich des Drucks, eine streng lexikalische Biografie des berühmten Autors liefern zu müssen. Stattdessen erzählt er die Geschichte zweier Männer, die gefangen sind in einer Einsamkeit, die sie durchs Schreiben zu durchbrechen versuchen. Doch während bei Lipsky die Einsamkeit eher melancholische und selbstmitleidige Züge annimmt, irgendwo zwischen den Spätwehen der Pubertät und der Vorahnung einer fiesen Midlife-Crisis, ist sie bei Wallace von existenzieller Natur. Ihre Schatten liegen über jeder Alltagsverrichtung: wenn er mit Lipsky philosophiert, mit seinen Hunden durchs Haus tollt und M&Ms in sich reinstopft. Wie diese beiden Männer sich für einen kurzen, magischen Moment gegenseitig aus ihrer Isolation befreien und sich genau deswegen in die Haare bekommen, das spielen Jason Segel und Jesse Eisenberg in einer tragikomischen Mischung aus verrücktem Paar und besonders tragischen Generation-X-Vertretern. Denn am Ende steht wieder die erdrückende Einsamkeit - und das Schreiben.

The End of the Tour (Sony) ist auf DVD und Blu-Ray erschienen (ab 10,49 Euro) und außerdem als Video on Demand erhältlich (ab 3,99 Euro).

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Quelle:
SZ vom 21.03.2016
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