Süddeutsche Zeitung

Mediaplayer:Nackt unter Leder

Zwei Mal Alain Delon, zwei Mal Mexiko, dazu viel Revolution und Freiheitskampf: Die DVDs der Woche mögen sich mit Stoffen aus der Nachkriegsmoderne beschäftigen, aber aktuell sind sie trotzdem.

Von Fritz Göttler

Redakteure kennen wenig Nachsicht, sie sind pedantisch, pingelig und gnadenlos. Frank Jacson muss das erleben, als er dem älteren, auch von ihm hoch respektierten Mann zur Begutachtung einen Aufsatz vorlegt, den er geschrieben hat. Der Alte fängt an zu lesen und greift zum Stift, macht gleich nach wenigen Zeilen erste Korrekturen in dem Text. Es ist der August 1940. Bei einem zweiten Versuch, ein paar Tage später, der genauso abläuft, greift dann Frank nach dem Eispickel, den er in seinem Mantel versteckte, und bohrt ihn dem Mann am Schreibtisch in den Kopf. Der attackierte Korrektor ist Leo Trotzki, der Lenins Kampfgenosse war in der russischen Revolution, aus Stalins Sowjetunion verbannt wurde und Asyl fand in Mexiko. Und Frank schlägt natürlich nicht aus Autorenfrust zu, er heißt eigentlich Ramón Mercader und agiert im Auftrag des stalinistischen Geheimdienstes. Joseph Losey hat 1972 die "Ermordung Trotzkis" inszeniert, mit Richard Burton als Trotzki. Alain Delon ist sein Mörder, Romy Schneider dessen Geliebte, weshalb der Film bei uns "Das Mädchen und der Mörder" hieß. Auch Losey steckte in einer Art kreativem Exil, er musste als Linker Hollywood in den Fünfzigern verlassen und war nach Europa gegangen. Man kann sich in diesen Film verlieren wie in die dichten surrealen Murales, die Diego Rivera zur mexikanischen Geschichte schuf. Einmal springt Frank, als über ihm eine Glocke zu dröhnen beginnt, verbissen ans Seil, das da herabhängt, als könnte er so das Monstrum zum Schweigen, die Geschichte in ihrem Ablauf zum Halt bringen.

Noch mal Delon, vier Jahre früher, diesmal als dynamischer Dozent, sportlich und intellektuell, mit Brille - was haben Sie von Swedenborg, fragt er mal, als er den Buchhändler seines Vertrauens aufsucht. Dessen Tochter hat sich in Delon verguckt, Marianne Faithfull, und eines sehr frühen Morgens lässt sie ihren Mann weiterschlafen, streift sich eine Motorradlederkluft über und fährt los, zum Geliebten, nach Heidelberg. Immerhin: der hatte ihr die Maschine vors Haus gestellt. Der Kultautor André Pieyre de Mandiargues hat sich das alles ausgedacht. "The Girl on a Motorcycle", 1968, ist vom großen britischen Kameramann Jack Cardiff gedreht, heißt bei uns "Nackt unter Leder" und ist ein verqueres Gegenstück zur Pariser Nouvelle Vague. Jede Menge Rückprojektion, also wundervoll emblematisch.

Noch mal mexikanische Geschichte, Revolution und Freiheitskampf, die Mechanik der Machtwechsel: "Viva Zapata", 1952, von Elia Kazan, der ebenfalls in die Kommunistenjagd der Fünfziger verstrickt war. Marlon Brando als Emiliano Zapata, der Bauer, der um sein Land kämpft und zum Führer eines Volksaufstandes wird. Ein politischer Kostüm-Film, der seine Travestie offen propagiert, Commedia dell'arte mit method actors. Roland Barthes kritisierte heftig das unentschlossene Zeichensystem Hollywoods in den Fünfzigern, "ein herabgesunkenes Schauspiel, das die naive Wahrheit ebenso fürchtet wie die völlige Künstlichkeit". Er schrieb über die Frisuren der Römer in Joseph L. Mankiewiczs "Julius Caesar", wo Brando den Mark Anton spielt. Was hätte er über Brandos Haarfransen und Schnauzer als Zapata geschrieben?

Vom Arbeitskampf in einer französischen Fabrik erzählt Stéphane Brizé in seinem neuen Film "En guerre/Streik", der gerade in den Kinos angelaufen ist, von einer emotionalen Ausbeutung einer bürgerlichen Frau in dem Film davor, "Ein Leben", 2016, Nach Guy de Maupassant: "Die Gewohnheit legte eine Schicht der Resignation über das Leben, wie der Kalkabzug, den manches Wasser auf den Dingen ablagert ... Eine Art nachdenklicher Melancholie entwickelte sich in ihr, eine unbestimmte Ernüchterung, am Leben zu sein."

Ein trauriges Lehrstück aus Österreich, Ruth Beckermanns Film "Waldheims Walzer". Über den Ex-Uno-Generalsekretär, der dann im Wahlkampf 1986 für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten mit seiner SA-Vergangenheit konfrontiert wurde. Es geht um politische Unbeflecktheit und die Selbstgefälligkeit der Moral! Um nationale Identität und Antisemitismus. Die TV-Gerät-Aufnahmen von damals machen groteske Holzschnittfiguren aus den Politikern. Natürlich wurde Waldheim trotzdem gewählt. Was wirklich Wählerentscheidungen motiviert, in dieser Hinsicht ist dieser Film ganz aktuell für die kommenden Wochen.

Immer wieder, wird Roland Barthes zitiert, die sehr alte Mystifikation, 'die von jeher die Geschichte auf Natur gründen möchte'. (Edition Salzgeber)

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SZ vom 29.04.2019
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