Mediaplayer:Leichen im Gepäck

Mediaplayer: Die Arbeit in den Krisengebieten bleibt nicht ohne Folgen für die Journalisten.

Die Arbeit in den Krisengebieten bleibt nicht ohne Folgen für die Journalisten.

(Foto: Netflix)

Ein Dokumentarfilm über Kriegsreporter: "Dying to Tell" erzählt von der Arbeit in Krisengebieten und den Folgen für die Journalisten.

Von Vanessa Prattes

Der Psychiater Anthony Feinstein hat 2003 in seinem Buch "Dangerous Lives: War and the Men and Women Who Report It " die Traumata von Kriegsberichterstattern untersucht. Dabei kamen die häufigsten Symptome aus der Kategorie Wiedererfahrung. Journalisten gaben an, Bilder von Gewalterfahrungen kämen ihnen erneut in den Sinn und jede Erinnerung brächte die damalige Situation zurück.

Diesem Thema widmet sich nun auch der in Argentinien geborene und in Spanien lebende Journalist und Filmemacher Hernán Zin in seiner Dokumentation "Dying to Tell", die auf Netflix zu sehen ist.

Erster Schauplatz: Afghanistan 2008. "Wie viel Schuss feuerst du pro Nacht ab?", wird ein junger Mann gefragt. "Wahrscheinlich mindestens 15 Schuss pro Nacht. Innerhalb von vier Monaten waren es etwa 2180. Ein Rekord." Das erwidert der 23-Jährige in Sporthosen stolz. Eine Szenerie inmitten eines Kreises junger Männer. Sie erinnert an die Atmosphäre eines Jugendzeltlagers. Nur die Granate unweit der Feldbetten stört die Idylle. Wovon sie träumen, wenn sie aus dem Krieg zurück kommen? Von "einem verdammten amerikanischen Cheeseburger", erschallt es in der Dunkelheit, als weitere Granaten abgeschossen werden.

Der Zuschauer nimmt die Rolle eines schweigenden Psychologen ein

Doppelstockbetten mit Postern von Frauen in Dessous verzieren die Wände, ein aufgeschlagenes Harry-Potter-Buch liegt herum. Später spielen sie ein Ego-Shooter-Spiel auf der Konsole. Es scheint, als habe die Grausamkeit des Krieges inmitten der jugendlichen Naivität keinen Raum. "Es hat mich am Krieg immer verwundert, dass Erwachsene den Krieg beschließen und Kinder ihn kämpfen", hört man die Stimme des Regisseurs aus dem Off. Die Naivität der jungen Soldaten vergleicht er mit seiner eigenen, zu Beginn seiner Karriere als Kriegsreporter.

Hernán Zin porträtiert Kollegen, die vom IS entführt, bei Anschlägen in Syrien verwundet wurden oder in Bosnien, im Irak und in Afghanistan ihre Geschichten geschrieben haben. In Interviews erzählen spanische Journalisten verschiedener Generationen, wie sie ihr Beruf beeinflusst hat und warum sie bereit waren, ihr Leben zu riskieren. "Die Palästinenser nannten mich Eric den Verrückten", erzählt einer, "weil ich keine Angst hatte. Und das ist nicht gut, weil Angst dabei hilft, zu entscheiden, ob man einen Schritt weiter geht oder nicht".

Der Zuschauer nimmt die Rolle eines schweigenden Psychologen ein, der in das Seelenleben der Reporter blicken darf. "Im Krieg bedeutet eine Woche ein ganzes Leben. Es gibt keine Tricks, keine Masken. Kriege sind geprägt von Hektik, Ekstase, Angst, sozialem Engagement und Empathie", sagt Zin, der 20 Jahre lang als Kriegsberichterstatter arbeitete, bis er 2012 nach einer schwerwiegenden Reihe von Panikattacken in Afghanistan seinen Beruf als Kriegsreporter aufgeben musste.

Die Protagonisten des Films werden auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod gezeigt. Lauthals schreien die Leute am Straßenrand: Nein zum Krieg!, Nein zum Krieg!, während der Sarg des spanischen Journalisten José Couso, vorbeigetragen wird. Dazu werden Originalaufnahmen des Anschlages auf das Hotel in Bagdad gezeigt, bei dem José Couso 2003 ums Leben kam. Sein Tod schlug in Spanien große Wellen.

Neben einer vorsichtig angedeuteten Kritik am Irakkrieg gibt es aber kaum politische Kontextualisierungen. In dem Neunzigminütigen Film wird der Zuschauer mit erschütternden Bildern von Kriegsschauplätzen konfrontiert, man bangt fast wie in einem Thriller um die Leben der Journalisten. Durch den schnellen Wechsel der Schauplätze geraten die Ursachen für den Zustand der Krisengebiete eher in den Hintergrund, eine genauere Auseinandersetzung wird verwehrt.

Aber die eingangs erwähnte Schwierigkeit, nach der Arbeit im Kriegsgebiet zurück in den Alltag zu finden, veranschaulicht der Film trotzdem sehr eindrucksvoll. "Wie ziehen auf der Suche nach Abenteuern in den Krieg und kehren mit einem Koffer voller Leichen zurück", zitiert Zen den spanischen Schriftsteller Pérez-Reverte Gutiérrez.

Dying to Tell ist beim Streamingdienst Netflix abrufbar.

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