Mediaplayer:Hollywood-Girlie in der Hölle

Lesezeit: 2 min

Kann nicht nur Vampire küssen: Kristen Stewart in "Camp X-Ray". (Foto: Koch Media)

Von "Twilight" nach Guantanamo: In "Camp X-Ray" zeigt Kristen Stewart, was sie wirklich draufhat.

Von David Steinitz

Nicht, dass es im Gefangenenlager der Guantanamo Bay Naval Base keine drängenderen Probleme gäbe, aber wie zur Hölle soll man hier den finalen, siebten Band der Harry Potter-Reihe auftreiben?

Die ganze Willkür und Grausamkeit der amerikanischen Armee manifestiert sich für Häftling Ali, der seit Jahren in Guantanamo einsitzt, nicht in der Folter, auch nicht in den endlosen Verhören. Sondern in der Tatsache, dass diese amerikanischen Sadisten in ihrer Gefängnisbibliothek nur die ersten sechs Potter-Bände haben. Und er ums Verrecken nicht herausfinden kann, wie die Saga ausgeht - und ob Severus Snape nun zu den Guten oder zu den Bösen gehört.

Wem das jetzt ein wenig zu sehr nach der realitätsfremden Hollywood-Überwältigungsmaschinerie klingt, die sich auch Guantanamo einverleiben will, der liegt durchaus richtig - aber gleichzeitig auch gehörig falsch. Das Armee-Drama "Camp X-Ray" ist ein besonders interessantes Beispiel für Hollywoods derzeit häufige Mühen, einen Problemkomplex der Gegenwart mit den Mitteln der Fiktion in historischer Distanz zu erzählen. Nur dass zu den Folterorgien, die nach dem 11. September 2001 in Guantanamo begannen, eben noch überhaupt keine ernstzunehmende zeitliche Distanz besteht. Die nämlich war stets die Absicherung findiger Drehbuchautoren, die es mit echten Fakten und Zuständen zugunsten ihrer dramaturgischen Zaubertricks nicht allzu genau nahmen: ist ja eh schon alles so lange her.

Aber Filme über die langen Ausläufer von 9/11, von der Osama-Jagd in "Zero Dark Thirty" bis zum (Heimat-)Front-Drama "American Sniper" stehen zum Nachteil der Traumfabrik-Arbeiter unter strengster Beobachtung. "Camp X-Ray" nun unternimmt den waghalsigen Versuch, das amerikanische Militärgebaren des letzten Jahrzehnts in eine Form zu pressen, die sowohl der historischen Dimension als auch des Unterhaltungsbedürfnisses begeisterter Popcornesser gerecht werden will. Was dabei herauskommt? Ein sensationell merkwürdiger Mix aus ernstem Drama und trashigem B-Movie, das man sich unbedingt anschauen sollte, allein schon wegen Kristen Stewart.

Stewart ist in vielen Köpfen immer noch als Hollywood-Girlie abgespeichert, hat aber schon lange vor "Twilight" und vor allem danach tolle Filme gemacht. Hier spielt sie die US-Soldatin Cole, die, vollkommen unerfahren, aus einem kleinen Provinznest auf die berüchtigte Militärbasis kommt, wo mehr Menschen stationiert sind, als in ihrer Heimatstadt leben. Das dienstwillige aber überforderte Mädchen wird mit der Bewachung der Inhaftierten beauftragt. Und die erfolgt 24/7, denn: es soll um jeden Preis verhindert werden, dass ein Insasse die Zeit hat, Selbstmord zu begehen. Also drehen die Soldaten im Schichtbetrieb ihre Runden, prüfen mit Blick durchs verglaste Zellenfenster ob alles seine Ordnung hat. Eine merkwürdig zeitlose Tätigkeit im grellen Neonlicht des Trakts, das niemals erschlischt - eine Qual nicht nur für die Gefangenen.

Jungschauspielerinnen in Armeefilmen, das kann schnell einen ziemlichen Camp-Touch bekommen. Man denke nur an die arme Demi Moore im Schlamm von "Die Akte Jane". Stewart aber gelingt der Spagat zwischen Authentizitätsbedürfnis und Unterhaltungsfilm, den Regiedebütant Peter Sattler ihr zumutet, erstaunlich gut. Mit Häftling Ali (Peyman Moaadi, aus dem Berlinale-Gewinner "Nader und Simin - eine Trennung") baut sie eine fürs Hollywood-Kino so wichtige emotionale Beziehung auf, wie sie so mit Sicherheit nie möglich gewesen wäre im echten Guantanamo. Gleichzeitig vermittelt sie in den wenigen Szenen, in denen sie allein auf ihrer Pritsche liegt oder am umzäunten Strand joggt, allein durch die kleinen Verunsicherungen, die sich immer tiefer und stärker in ihr Gesicht eingraben, dass es in diesem Krieg gegen den Terror keine Gewinner geben kann. Weshalb sie Alis Frage, ob Snape aus "Harry Potter" denn nun verdammt noch mal gut oder böse sei, auch schließlich vollends aus der Fassung bringt.

Camp X-Ray - Eine verbotene Liebe (Koch Media) gibt es als DVD (12,99) und Blu-Ray (14,99). Als Video on Demand ist der Film zum Beispiel bei Google Play oder iTunes erhältlich (ab 3,99).

© SZ vom 27.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: