Süddeutsche Zeitung

Mediaplayer:Hilfe von Mama

Mit "Die Welt gehört dir" drehte Romain Gavras einen Film, der wie gemacht ist für eine Zeit, in der Szenen zu GIFs reduziert werden.

Von Jonas Lages

Drei Jungs stehen nachts vor einer Gefängnismauer. Glaubt man ihren Blicken, scheinen sie an einem Überschuss an Testosteron zu leiden. Doch das kann gleich abgebaut werden: Sie befreien Ibra, den besten Freund ihres Anführers. Vor der Zelle angelangt, fällt der auch gleich weinend auf die Knie und nimmt seinen Freund in den Arm. Da zeigt sich: Ibra ist ein Pitbull.

Gleich mit der Anfangssequenz verdeutlicht Romain Gavras, dass er in "Die Welt gehört dir" die Konventionen des Gangsterfilms nur bedient, um sie enttäuschen zu können. So wird der Film zu einer urkomischen Dekonstruktion des Genres, die das Kunststück fertigbringt, ein Reigen verballerter Vorstadt-Gangster vorzuführen und zugleich in ihren Sorgen ernst zu nehmen.

Romain Gavras, Sohn des Filmemachers Costa Gavras, gründete in den Neunzigern das Kurzfilmkollektiv Kourtrajmé und machte sich mit Musikvideos für Kanye West und M.I.A. einen Namen. Darin verdichtete er das raue Leben in den Banlieus. Und dorthin kehrt er nun mit seinem zweiten Spielfilm zurück, allerdings sehr viel leichtfüßiger und lustiger gestimmt.

Ein Kleinganove leistet sich einen letzten Deal, bevor er aussteigt. Und natürlich geht alles schief. Gavras verwendet diese altbekannte Schablone aus dem Mobster-Repertoire, um die Geschichte einer Emanzipation zu erzählen, die zu einer surrealen Reise durch völlig absurde Szenerien wird.

François, Bierbauchträger und Freizeitdealer, wohnt mit Mitte 30 noch bei seiner Mutter Danny, die ihm seine Hemden aussucht und die Marmelade auf den Toast schmiert. Sie ist die dominierende Familienmatriarchin, eine Königin des schlechten Geschmacks, grandios überzeichnet gespielt von Isabelle Adjani. Wenn sie ihrem Sohn nicht auf Facebook nachstellt, klaut sie mit ihren Kumpaninnen die Kleiderstangen der Galeries Lafayette leer.

François will dieser Hölle der mütterlichen Bevormundung entfliehen. Sein Traum: Wassereis nach Nordafrika exportieren. Der Vertrag für den Lizenzkauf steht schon. Dummerweise hat Danny seine Ersparnisse verzockt. Und so sieht sich François gezwungen, einen letzten Auftrag seines Bosses auszuführen: ein Drogendeal in Spanien. Der Dealer entpuppt sich leider als Hooligan-Tourist im Sangria-Modus und haut mit dem Geld ab. Also lässt der verzweifelte François seine Mama einfliegen. Als die dann die Tochter des Dealers kidnappt, fängt der Spaß erst so richtig an. "Es ist verwirrend, ergibt aber Sinn", sagt Vincent Cassel in einem Gastspiel als Gangster-Kleingeist über seine heiß geliebten Illuminati-Verschwörungstheorien. Das Drehbuch von "Die Welt gehört dir" funktioniert genauso: Die Erzählstränge sind scheinbar konfus verknotet, insbesondere der Einstieg ist behäbig, aber am Ende löst sich der Knoten so zufriedenstellend wie bei einer Geschenkschleife.

Zwischendurch amüsieren herrlich schräge Momentaufnahmen, die wirken, als sollten sie das perfekt GIF ergeben. Etwa wenn zwei Kleinganoven ihre Schlägerei per Livestream übertragen oder François mit seiner Mutter in einer bourgeoisen Patisserie sitzt und so traumschwer in sein Pistazien-Eclair beißt, als würde er seine eigene Zukunft verspeisen. Besonders in diesen minutiös komponierten Tableaus zeigt sich Gavras Erfahrung als Musikvideo-Regisseur. Das mag manchem artifiziell erscheinen, aber unsere hyperreale Gegenwart ist ja längst durchwirkt von solchen visuellen Mustern: hallo Instagram. Gavras hat also einen sehr zeitgenössischen Film gedreht, der zugleich sein Traditionsbewusstseins schon im Titel führt. "The World Is Yours": diesen Leitspruch des Raubtierkapitalismus las das "Scarface" Tony Montana in Miamis sternlosem Nachthimmel als Werbeslogan auf einem Luftschiff. Später säumte die Sentenz den Springbrunnen, in den seine Leiche stürzt. "Die Welt gehört dir" dreht diese Maxime, die schon in Howard Hawks "Scarface" prangte, nun um: All jene, die andere ausbeuten und nicht genug haben können, scheitern hier.

Nur François, der von einem bürgerlichen Leben träumt, reüssiert. Doch auch er findet sein Ende in einem Wasserbecken. Aber nicht bäuchlings als Leiche. Sondern auf dem Rücken treibend als Spießer im Reihenhaus mit Pool.

Die Welt gehört dir ist auf Netflix abrufbar.

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SZ vom 17.12.2018
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