Süddeutsche Zeitung

Mediaplayer:Erst die Orgie, dann der Kater

In "Nacktbaden" und "Spring Awakening" zeigt sich, wie griechische Filmemacher die Krise in ihrem Land verarbeiten.

Von Natalie Broschat

Was macht die Griechenlandkrise eigentlich mit dem griechischen Film? Da das Kino im Vergleich zu anderen Künsten wegen seiner aufwendigen Produktionsbedingungen eine etwas verlängerte Reaktionszeit hat, sind die Krisenauswüchse erst jetzt auch in den Spielfilmen zu spüren. Einmal, weil es einige Filmemacher gibt, die ins Ausland abwandern. Das prominenteste Beispiel ist wohl der Regisseur Yorgos Lanthimos, der seine Tragikomödie "The Lobster" mit Colin Farrell und Rachel Weisz in den Hauptrollen als griechisch-britisch-französische Koproduktion realisierte. Hollywood wurde auf ihn aufmerksam. Einen Film mit Nicole Kidman hat er bereits abgedreht, gerade steht er mit Emma Stone für eine neue Produktion am Set.

Etwas weniger Aufmerksamkeit bekommen dagegen die griechischen Filmemacher, die weiterhin von den Nöten in der Heimat erzählen, jenseits des Glamours, in den Verstrickungen des Alltags. Das Münchner DVD-Label Pierrot le Fou bringt nun zwei wilde Independent-Produktionen aus dem jüngeren griechischen Kinoschaffen zumindest als Heimvideo heraus, die von den Krisenbewältigungsstrategien der Jugend erzählen. Der eine ist "Spring Awakening" von Constantine Giannaris - der Regisseur ist ein Spezialist für Genrekino mit viel Sex und Crime. Der andere heißt "Suntan/Nacktbaden", Regie führte der Athener Filmemacher Argyris Papadimitropoulos, der am liebsten zynische Tragikomödien dreht.

"Spring Awakening" ist ein experimenteller Erotikthriller, in dem sich eine Gruppe unzufriedener Jugendlicher radikalisiert. Die Teenager besetzen ein Haus, dröhnen sich zu, schießen in einem Steinbruch mit Maschinengewehren umher und paaren sich einmal quer durch die Gang und zurück. Dieser adoleszente Überdruck hält so lange an, bis jemand bei den Gewaltspielchen stirbt. Der Film beginnt mit der Befragung der Gang durch die Polizei und hangelt sich in Rückblenden zurück durch die Geschichte. Dabei werden immer wieder Fotografien zwischengeschaltet, um bestimmte Ereignisse und Situationen zu betonen, sie festzuhalten. Darunter sind die Jugendlichen oder ein traurig dreinblickendes Elterngesicht. Die Eltern warten nämlich im Gefängnis auf Informationen, wie es mit ihren rebellischen Kindern weitergehen wird.

Die Geschichte ist eine lose Variation des Skandaldramas "Frühlings Erwachen" von Frank Wedekind. "Eine Kindertragödie" hatte der Dramatiker sein Stück genannt, in dem es auch um eine Gruppe entfesselter, perspektivloser Jugendlicher geht - die ideale Blaupause für Griechenland mit einer Jugendarbeitslosigkeitsquote von 40 Prozent. Constantine Giannaris macht daraus eine neonfarbene Bilderorgie, die deutlich von Desillusionierungsfilmen wie "Kids" oder "Spring Breakers" inspiriert ist.

Auch im Film "Nacktbaden" steht der Exzess im Vordergrund, er spielt im verschwitzten Monat August auf der Partyinsel Andiparos. "Im Sommer geht's hier ab, mein Freund. Hier kriegst du alles, was du willst", sagt Inselurgestein Takris zum neuen Inselarzt Kostis. Der ist fasziniert von den Jugendlichen, die eine Party nach der anderen feiern und am Strand nackt baden. Sie leben ohne Rücksicht auf Verluste oder sensible Herzen ganz ungezwungen von Tag zu Tag.

Die hübsche Anna verdreht dem übergewichtigen Kostis den Kopf, sodass er mehr und mehr seine Patienten vernachlässigt, den Halt verliert und schließlich sein Leben riskiert. Aber man merkt, dass die Jugendlichen im Film "Nacktbaden" eine ganz andere Radikalisierung durchlaufen als ihre Altersgenossen in "Spring Awakening". Die Inselkids feiern die Wirtschaftskrise einfach davon, die Teenager in "Spring Awakening" steigern sich in einen Gewaltrausch im Stil von "Clockwork Orange" oder "Funny Games": Sie fallen über eine deutsche Familie her, eine Katastrophe mit Ansage, und natürlich auch ein bitterer politischer Kommentar. Eins der Mädchen sagt schon zu Beginn: "Alle starren einen an, aber man kann nicht bremsen. Dieser Moment dauert ewig. Dann fällt man."

Spring Awakening und Nacktbaden sind als DVD und Blu-Ray erhältlich (ab 13,99 Euro) sowie als Video on Demand verfügbar.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3474762
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.04.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.