Süddeutsche Zeitung

Mediaplayer:Einsamer Pate

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Ein Fiasko: John Travolta spielt den amerikanischen Mafiaboss John Gotti im Film "Gotti". Eine schillernde Figur, ein guter Drehbuchstoff. Aber das Projekt wurde von langwierigen Streitigkeiten gebeutelt - das sieht man.

Von Sofia Glasl

Eigentlich standen die Vorzeichen nicht schlecht, dass eine Verfilmung der Lebensgeschichte des berüchtigten Mafiabosses John Gotti ein Erfolg werden könnte. Gotti führte zwischen 1985 und 2002 eine New Yorker Mafiafamilie und war eine der schillerndsten Figuren der amerikanischen Cosa Nostra. Als geborener Selbstdarsteller verhöhnte er regelmäßig die Staatsanwaltschaft, weil diese ihm nichts nachweisen konnte und sprang, anders als seine Kollegen, gerne vor jede Fernsehkamera. Die Presse gab ihm den Spitznamen "Teflon Don", weil an ihm alle Gerüchte und Verdächtigungen wie Butter an der heißen Pfanne abschmierten. Einen Film über diese wilde Figur zu machen, wurde für Hauptdarsteller und Produzent John Travolta zum Herzensprojekt.

Das war vor acht Jahren. In der Zwischenzeit wurde das Projekt gebeutelt von obskuren Streitigkeiten und Besetzungstohuwabohu. Der Schauspieler Joe Pesci zog vor Gericht, weil er für eine Rolle 30 Kilo zunehmen und dann plötzlich eine andere Figur spielen sollte. Nick Cassavetes und Oscar-Preisträger Barry Levinson waren für die Regie im Gespräch. Letztendlich erbarmte sich Kevin Connolly, in den USA vor allem als Schauspieler aus der Serie "Entourage" bekannt, weniger für seine Regiearbeiten. Schließlich verkauften die Produzenten das fertige Werk an einen Verleih, von dem sie es aber schnell wieder zurückkauften, weil der angeblich zu wenig tat, um Aufmerksamkeit zu generieren und den Film zum Gesprächsstoff zu machen. Wer genau diese Entscheidung getroffen hat, ist nicht genau nachzuvollziehen. Aber wie chaotisch die ganze Sache ist, kann man allein daran ablesen, dass im Abspann sage und schreibe 58 Produzenten aufgelistet sind.

Dass "Gotti" doch noch irgendwie fertig wurde, ist John Travolta zuzuschreiben, der sich mit der Rolle des Paten wohl ein Comeback als Charakterdarsteller erhofft hatte. Vermutlich machte er dann dem Leiter der Filmfestspiele von Cannes, Thierry Frémaux, das sprichwörtliche Angebot, das dieser nicht ablehnen konnte, denn offensichtlich zähneknirschend zeigte der den Film dieses Jahr im kleinsten Kino und ohne roten Teppich. Die Presse stürzte sich auf den Film, es hagelte Verrisse. Auf der Online-Plattform Rotten Tomatoes bekam "Gotti" eine Null-Prozent-Wertung - kein Kritiker hatte etwas Nettes über den Film zu sagen. Das muss man erst mal schaffen.

Immerhin hat es noch für einen Heimvideo-Start in Deutschland gereicht. Jetzt kann man sich auch hier ein Bild von dem ganzen Desaster machen. Wäre die Kamera nicht so wackelig und machten es unmotivierte Zeitsprünge nicht nahezu unmöglich, der Chronologie zu folgen, man könnte sich darüber echauffieren, dass John Gottis Verbrechen verharmlost werden. Da hat jeder bekommen, was er verdient, und der immer gut angezogene Mobster war eigentlich nur ein fürsorglicher Familienvater. Dass sein zweiter Spitzname "Dapper Don", also "schnieker Boss" im Deutschen holprig-poetisch mit "aparter Pate" übersetzt wird, stimmt dann schon fast wieder milde.

Der Einzige, der all dies mit stoischem Ernst über sich ergehen ließ, war John Travolta, und man kann ein wenig Mitleid mit ihm haben. Er schürzt die Lippen mit der Verachtung eines Robert De Niro, hebt die Schultern mit der Gravitas eines Joe Pesci und grinst Gerichtsverfahren weg wie Ray Liotta. Alle sollen wissen: Er hat das Gesten-ABC des Mafiadarstellers verinnerlicht und "Gotti" sollte nicht weniger als eine Mafia-Saga im Stile von Martin Scorseses "Good Fellas" werden. Doch Travolta hat sich nun mal seit dem Durchbruch mit "Saturday Night Fever" (1977) als cool-schlurfiger Macho durch seine Karriere gesungen und getanzt. Nur deshalb funktionierte sein Comeback als Gangster in "Pulp Fiction". Nicht, weil er den abgebrühten Killer so glaubwürdig rüberbringt, sondern weil Quentin Tarantino ihn in einen Gangsteranzug steckte und sich selbst imitieren ließ. Tanz-Travolta spielt den Mobster-Gotti nun auch wie eine Mafia-Karaoke-Darbietung. Zugegeben mit viel Inbrunst, aber genauso wie dem gesamten Film steht ihm ständig die Frage "Was würde Scorsese tun?" ins Gesicht geschrieben - und niemand scheint so recht eine Antwort gefunden zu haben.

Gotti ist auf DVD und Blu-ray erschienen.

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Quelle:
SZ vom 10.12.2018
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