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Mediaplayer: Meergrüne Träume hat Dany, gespielt von Freya Mavor.

Meergrüne Träume hat Dany, gespielt von Freya Mavor.

(Foto: Kris Dewitte/Tiberius)

Eine Frau will ans Meer, in einem grünen Thunderbird. Unterwegs holt der Schrecken sie ein. Ein Thriller im Stil der Siebziger von Comic-Star Joann Sfar.

Von Fritz Göttler

"Warum nehmen Sie nicht Francine, die schreibt wie ein Gewehr!?" Dany sträubt sich, der Chef hat noch einen dringenden Auftrag, ein Exposé muss heute Abend noch getippt werden, fünfzig Seiten, er braucht es für seinen Flug morgen nach Genf. Dany ist nicht so recht überzeugt, ich schaff nur sechs Seiten in der Stunde, sagt sie, aber Francine ...

Eine Pariser Werbeagentur, im Sommer 1972, an die Wände sind Entwürfe gepinnt in diversen Stadien, man sieht also gleich, was Michels, des Chefs (Benjamin Biolay), Sache ist - Abläufe in ihre einzelnen Bewegungen zerlegen und neu montieren, mit kaum wahrnehmbaren Andeutungen pointieren, Sachen auf den Punkt bringen, Reaktionen berechnen, Szenarien entwerfen. Manipulation und Mise en Scène. Joann Sfar ist berühmt geworden durch seine Comics, seine saftigen Romane und durch seinen fantasievollen Film über den Sänger Gainsbourg. "The Lady in the Car with Glasses and a Gun" ist sein dritter Film.

"Francine ist schnell, aber sie kapiert nichts ..." Der Chef ist beharrlich und bessert gleich nach, Dany soll bei ihm schreiben, kann die Nacht bleiben, da würde sie auch Anita wiedersehen, einst ihre gute Freundin, jetzt Michels Frau. Dreieinhalb Jahre haben sie sich nicht mehr gesehen, Anita spricht oft von Dany, von den verrückten Zeiten damals. Michel spielt, während er redet, mit einem kleinen Elefanten, einer jener Tierfiguren, die auf einen Knopfdruck wie leblos in sich zusammenknicken.

Dany willigt ein. Sie trägt eine Brille mit großen Gläsern, das rote Haar streng an den Kopf gebunden, einfaches Minikleid, hohe Absätze - Freya Mavor spielt sie dezent durchtrieben als Typus einsame Sekretärin, konzentriert, aber irgendwie unberechenbar, bereit, auf Knopfdruck sich zu entflammen. In einer bizarren kleinen Anfangssequenz sah man sie tanzen am Meer, ein bisschen steif, wie ein Kind.

Am nächsten Tag fährt Dany die Familie zum Flugplatz, nun soll sie das Auto zum Haus zurückbringen. Da beginnt Danys Problem. Sie hat noch nie das Meer gesehen. Und schon zieht sie rasant den Wagen quer über die Straße, die zurück nach Paris führt, und steuert Richtung Côte d'Azur. In einem meergrünen Thunderbird.

Ein Frauen-Aufbruchsfilm, das war ein großes Genre im Kino der Siebziger also, dem Joann Sfar eine stilsichere Hommage widmet. Eine Frau zieht los zum bislang nur erträumten Abenteuer, und dieser Aufbruch bedeutet immer Gefahr und Mysterium. Das große Vorbild für diese Geschichten ist Hitchcocks "Psycho" aus dem Jahr 1960, da fährt eine Frau los mit Geld, das ihr nicht gehört, um mit dem geliebten Mann eine Existenz aufzubauen, und der Film erzählt ausführlich, von welchen Hoffnungen, Bedenken und Ängsten sie dann auf der Route gepeinigt wird. Der Roman von Sébastien Japrisot, nach dem die "Dame im Wagen mit Brille und einem Gewehr" entstand, ist von 1966. Eine erste Verfilmung gab es 1970, von Anatole Litvak, mit Samantha Eggar und Oliver Reed.

Dany wird dumm angeredet von Männern in den kleinen Orten an Tankstellen, und vor allem behauptet jeder auf der Strecke, er hätte sie am Tag vorher doch bereits gesehen. In einer Toilette wird sie von einem Unbekannten heftig attackiert. Dany reagiert erbittert und aggressiv auf die permanenten Doppelgänger- und Déjà-vu-Effekte. Eine Leiche taucht auf, und ein Gewehr, im Kofferraum.

Joann Sfar inszeniert seine "Lady" als Phantomfilm, er ist vom Übernatürlichen fasziniert und nimmt den Thriller als Ersatz - Dany ist auch eine Stellvertreterin für die wilde Heldin, die er gern auf die Leinwand bringen würde, Frankensteins Braut: "Eine Frau, die sich schuldig fühlt und schließlich die ganze Welt tötet."

Bisher kann er solche Geschichten nur in der Literatur erzählen, impulsiv, überschwenglich, obszön - im vorigen Jahr erschien auf Deutsch "Pietrs Reise", ein Abenteuerroman, der im Original "Le plus grand philosophe de France" heißt: "Von ganzem Herzen danke ich allen Filmfinanziers, deren Mangel an Mut und Fantasie mich zum Roman geführt haben." Der Philosoph ist Spinoza, der große Denker und Brillenschleifer.

The Lady in the Car with Glasses and a Gun ist auf DVD und Bluray bei Tiberius erschienen.

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