Süddeutsche Zeitung

Mediaplayer:Buchverbrennung mit Alexa

Ray Bradburys Klassiker "Fahrenheit 451" ist neu verfilmt worden. Jetzt brennen nicht nur Bücher, sondern auch Bilder.

Von  Fritz Göttler

"Kafka", sagt Captain Beatty von der Feuerwehr Cleveland, Ohio, als er den vergilbten Band aus einem der mit Büchern vollgestopften Regale in dem dunklen Raum zieht und kurz auf den Titel schaut: "Kafka, ein Pornograf und ein Perverser." Es ist eine verborgene, geheime Bibliothek, in der Jahrhunderte von Literatur und Philosophie gespeichert sind, den Augen des Staates entzogen. Nun wird sie brennen.

Bücher, die Pornografie und Perversität praktizieren und propagieren, sind den meisten Gesellschaften und Regierungen suspekt. Man fürchtet und hasst ihre Subversivität. In der Welt von "Fahrenheit 451" aber, wie sie Ray Bradbury in seinem legendären Roman 1953 beschrieben hat, sind Bücher überhaupt verboten und werden, sobald man sie aufspüren kann, systematisch vernichtet. Der Index ist generell. Die Idee, dass die Feuerwehr ausrücken muss, nicht um Brände zu löschen, sondern um Bücher zu verbrennen, ist verrückt und ungeheuerlich und hat eine bizarre innere Konsequenz. Wie ein Märchen hat diese Geschichte, die im Schatten der McCarthy-Kommunistenjagd geschrieben wurde, die Jahrzehnte überdauert und wurde nun, in den Trump-Jahren, erneut verfilmt, als TV-Produktion für HBO.

Schon 1966 hat François Truffaut den Roman in England verfilmt, mit Oskar Werner als Feuerwehrmann Montag, der einen radikalen Bildungsprozess durchmacht mit Hilfe der jungen Julie Christie. Truffaut hat, wie alle Filmemacher der Pariser Nouvelle Vague, Bücher geliebt, also auch Ray Bradburys Idee, dass einige unbelehrbare Librophile Bücher auswendig lernen, um sie so der Nachwelt zu bewahren. Der Film meditiert melancholisch über Individuum und Gesellschaft und erschreckt vor allem durch die bürgerliche Normalität, in der die Zukunftswelt sich präsentiert.

Der neue Film "Fahrenheit 451", spielt in einem Blade-Runner-Land. Er wurde inszeniert von Ramin Bahrani, der das Drehbuch schrieb mit Amir Naderi. Die beiden Iraner haben ganz eigene Erfahrungen mit Freiheit und totalitärer Kontrolle. Es gibt viele utopische Versatzstücke in ihrem Film: Eine Alexa-Frauenstimme dirigiert und kommentiert den Alltag, öffentlich und individuell. Die News gibt es live in Projektionen auf hohe Hausfassaden. Wenn die Bilder von einer gewaltigen Bücherverbrennung übertragen werden, scheinen die Häuser in Flammen zu stehen. Zu den Autoren, deren Bücher zerstört werden, gehören Faulkner, Darwin, Maupassant, Nabokov, Goethe und Dickens. Brennen müssen zudem Bilder von Vermeer und Magritte und die Sinfonien Beethovens.

Michael B. Jordan ist der neue Montag, er wurde bekannt durch einen "Rocky"- und den "Black-Panther"-Blockbuster. Sein Captain Beatty ist Michael Shannon, der zuletzt in Guillermo Del Toros "The Shape of Water" spielte. Immer wieder diskutieren die beiden über die Sinn der totalitären Gesellschaft. Durch die Millionen unterschiedlichen Meinungen, so erklärt es Beatty, kam es zum Aufruhr und Amerika schlitterte in den zweiten Bürgerkrieg mit acht Millionen Toten. Einmal nimmt er, wie zufällig, Hitlers "Mein Kampf" in die Hand. Als Montag der Versuchung erliegt und sich heimlich ein Buch einsteckt, um es zu lesen, sind das Dostojewskis "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch".

Das Buch hat in den letzten Jahren durch die Digitalisierung und den Primat des Visuellen seinen Statusverändert. Es ist Fremdkörper geworden, nostalgisch und museal. Truffaut und sein Kameramann Nicolas Roeg hatten noch mit aller Raffinesse das Sterben der Bücher gefilmt, wie die einzelnen Seiten sich zusammenrollten, braun wurden, dann schwarz. Die Neuverfilmung setzt am Schluss unsinnig auf jede Menge Action. Aber die Bücherverbrennungen sind auch hier von eigenartiger, perverser Magie. Es ist, als würde, indem die Bücher materiell vernichtet werden, ihr Geist sich freisetzen. Auch bei Captain Beatty klingt das durchaus mystisch: Wir sind nicht gleich geboren. Also müssen wir gleich gemacht werden durch das Feuer. Dann können wir glücklich sein.

Der Captain ist hier eine zerrissene Figur. Michael Shannon ist beinhart, wenn's um Indoktrination geht. Aber nachts hockt er einsam in seinem dunklen Wohnraum und schreibt kryptische Sätze auf Blätter Zigarettenpapier (die er dann verbrennt). "Leben, das ist leiden. Aber Leiden, das ist, Bedeutung finden in unserem Leiden." Und dann eben auch diese Feststellung: "Kafka", sagt er, mit dem Band in der Hand, "ein Pornograf und Perverser. Ich mag das an ihm".

Fahrenheit 451 ist auf DVD erschienen (Warner).

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SZ vom 15.10.2018
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