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"The Lobster" von Yorgos Lanthimos - ein zärtlicher, bitterer Film übers Begehren.

Von Fritz Göttler

Warum ein Hummer, fragt die Direktorin des Hotels, als sie David nach der Ankunft in seinem Zimmer besucht - sie will ihn offiziell darauf vorbereiten, was ihn erwartet, wenn er die Bedingungen seines Aufenthaltes nicht erfüllen kann. Wenn er es nicht schafft, unter den anderen Gästen eine Frau zu finden, die zu ihm passt und mit der er dann sein Leben zusammen führen wird - wenn er also den kriminalisierten Zustand des Alleinseins nicht überwinden kann und daher, wie vorgeschrieben, in ein Tier umgewandelt werden muss. Ein Tier seiner Wahl.

Warum also will er ein Hummer werden. David sitzt auf seinem Bett, zusammengekauert, ein bisschen armselig, aber er antwortet spontan und mit Überzeugung: Weil die Hummer über hundert Jahre alt werden, Blaublütler sind und ihr ganzes Leben lang fruchtbar bleiben. . .

"The Lobster" ist der erste nicht in Griechenland gedrehte Film von Yorgos Lanthimos, der 2011 weltberühmt wurde, als er mit Athina Rachel Tsangari und ein paar Kumpels, in Reaktion auf die gesellschaftliche und ökonomische Krise ihres Landes, eine griechische Neue Welle schuf und auf Festivals eine Handvoll Preise abräumte, mit Filmen wie "Dogtooth" und "Alps" und "Attenberg" (von Tsangari, deren neuer Film "Chevalier" gerade bei uns läuft).

Sitzengelassen: Colin Farrell will (noch) kein Hummer werden. (Foto: AP)

David ist von seiner Frau verlassen worden, eines anderen Mannes wegen, und damit nicht nur traurig-apathisch, sondern auch in den Zustand unerlaubter anomaler Einsamkeit versetzt worden. Also wird er ins Hotel in den Wäldern verfrachtet und hat nun 45 Tage Zeit, durch Fraufindung und Paarbildung den Normalzustand wiederherzustellen. Es geht alles nach Vorschrift in dem Hotel, und wie überall ist die Regulierung umso entspannender je absurder sie wirkt. Auf Gesellschaftsabenden sitzen die Gäste zusammen, grotesk uniformiert, die Männer in dunklen Anzügen, die Frauen alle im gleichen blumengemusterten Sommerkostüm, das aussieht, als wäre es aus Vorhangstoff gefertigt. Das Zimmermädchen hilft dezent bei der sexuellen Stimulierung, bricht kurz nach der Erektion ab. Onanie im Zimmer aber ist - einhändig praktiziert! - verpönt. Zur Strafe wird die Hand in einen glühenden Toaster gesteckt. David hat seinen Bruder im Zimmer, auf dem Boden liegend, ihn mit treuen Augen beobachtend, er ist zum Hund geworden.

Das Kino kehrt in den Filmen von Yorgos Lanthimos und Athina Rachel Tsangari zu seinen Anfängen zurück, zur spielerischen Ethnologie von Lumière und von Flaherty. Das Hotel in "The Lobster" ist eine Mischung aus Zauberberg, Besserungsanstalt und englischem Internat - der Film wurde in Irland gedreht. Die Konversation wird ganz sorgfältig praktiziert, wie in einem Sprachkurs, der Tonfall ist höflich und leise, ein wenig aufgeraut durch Streicherklänge von Schnittke und Strawinsky - und keinem steht das besser als Colin Farrell als David, bieder und bauchig, mit Brille und Schnauzer und grouchodichten Augenbrauen.

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Sein hinterlistiger Versuch, sich einer hartherzigen Frau als Ehe-Partner anzudienen, scheitert auf blutige Weise, dann gelingt ihm die Flucht in den Wald, wo er sich einer revolutionären Gruppe anschließt, den "Einsamen", die geführt werden von der eher griesgrämigen Léa Seydoux. Es ist nicht die Freiheit, die er hier findet, denn hier ist Zweisamkeit streng untersagt, es herrscht Angst vor quirligen "jeux interdits", und jede Annäherung, jeder Flirt wird mit dem grausamen roten Kuss bestraft.

Es ist ein unerbittlicher kleiner Film übers menschliche Begehren. "Es wird Nacht, weil man sich schlafen legt; man isst, weil es Mittag wird. Es gibt keine gesellschaftlichen Neigungen, sondern nur gesellschaftliche Mittel, die Neigungen zu befriedigen", schreibt Gilles Deleuze: "Der Mensch hat keine Instinkte, er schafft Institutionen." Ein bitterer, zärtlicher Film, und herzzerreißend ist der Moment, wenn eine junge Frau, die keinen Partner fand, sich für ihren letzten Menschenabend den Film "Stand By Me" wählt, mit River Phoenix. Einer der schönsten Filme über Gemeinschaft und Solidarität.

The Lobster ist als DVD und Blu-Ray erschienen (ab 9,99 Euro) sowie als Video on Demand erhältlich, zum Beispiel bei Google Play oder Amazon (ab 3,99 Euro).

© SZ vom 09.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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