Media Player:Hey, Baby!

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Der alte Mann und die alten Ladies. Al Pacino als Sänger, der sich mit Koks und Whiskey fit hält: "Hey, Baby Doll".

Von Sofia Glasl

Schnell noch den Selbstbräuner aufgelegt und den Bauchweggürtel umgeschnallt, eine Nase Koks aus dem monströsen Kruzifixanhänger geschnupft und lieber vier als zwei Finger breit Whiskey hinter die Binde gekippt - dann kann es losgehen. Danny Collins betritt die Bühne. Das Hemd über der Tom-Jones-Brusthaarfrisur fast bis zum Gürtel geöffnet, einen Seidenschal nonchalant um den Hals drapiert, liefert er eine schwungvolle Show. Wenn er seinen Evergreen "Hey, Baby Doll" schmettert, rastet die Menge aus. Die Menge, das sind genauso alte Senioren wie er selbst, vielmehr: Seniorinnen, aufgedonnert mit paillettenbesetzten T-Shirts und lilastichigen, lockengewickelten Silberfrisuren. Das Konzert ist ein voller Erfolg.

Was wie die Abschiedstournee einer alkoholkonservierten und von Schönheits-OPs in Form gehaltenen Bühnenmumie à la Neil Diamond, Paul Anka und Tom Jones klingt, ist eine der unterhaltsamsten Schauspielleistungen des Jahres. Denn Danny Collins, das ist ein außer Rand und Band geratener Al Pacino in der Titelrolle des gleichnamigen Films von Dan Fogelman. Dieser hatte bereits mit den Drehbüchern zu "Crazy, Stupid, Love", "Rapunzel - neu verföhnt" und "Cars" sein Talent für witzige Dialoge bewiesen und gibt mit "Danny Collins" nun sein Regiedebüt.

Die Rolle des abgehalfterten Rockstars ist keine neue, bietet aber in die Jahre gekommenen Schauspielern immer wieder die Möglichkeit, die eigene Karriere zu bespiegeln. Das kann selbstironisch ausfallen wie bei Meryl Streep in "Ricki and the Flash", bittersüß wie bei Sean Penn in "Cheyenne" oder düster wie bei Jeff Bridges in "Crazy Heart". Al Pacino traut sich als Danny Collins, was nicht viele seiner Kollegen wagen: Er macht sich zugleich würdevoll und selbstvergessen über den eigenen Status als Superstar lustig. Dabei verleiht er seiner grotesk überzeichneten Figur Menschlichkeit. Das fängt schon bei Danny Collins' zum Hauptberuf gemachter Fähigkeit an: dem Singen. Nein, singen kann Al Pacino nicht, er versucht aber auch gar nicht erst so zu tun, als könne er es. Die alten Hits muss Danny eh nur wie ein Mensch gewordener Wurlitzer krächzend anspielen, dann trägt das Publikum ihn durch die Songs. Neue Lieder will keiner hören. Was Danny will, ist egal.

Er ist zu alt für das Geschäft und das weiß er auch. Seine Verlobte ist halb so alt wie er und betrügt ihn mit dem Pförtner, veranstaltet aber zu seinem 70. Geburtstag eine Überraschungsparty. Frank - schön ungehobelt gespielt von Christopher Plummer - macht ihm, dem großen John-Lennon-Fan, ein Geschenk, das seine drogenumwölkte Luxuswelt erschüttern wird: einen Brief, den Lennon 1971 an ihn adressierte. Eine Reaktion auf ein Interview, das Collins kurz zuvor gegeben hatte, in dem er die Sorge äußerte, zu großer Erfolg und zu viel Reichtum könnten sein Leben und seine Kunst zerstören. John Lennon widerspricht ihm und gibt ihm seine Telefonnummer, um die Frage zu diskutieren. Doch der Brief kam nie bei Danny an, sondern landete in der Redaktion des Musikmagazins und wurde für viel Geld an einen Sammler verkauft. Dan Fogelman nahm hier die Geschichte des britischen Folk-Musikers Steve Tilston zum Ausgangspunkt seines Films. Dieser hatte 2005 tatsächlich besagten Brief zugespielt bekommen.

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Jetzt, fast 45 Jahre später, ist John Lennon lange tot, und Danny hat sein selbst heraufbeschworenes Los schicksalsergeben erfüllt, sein Werk dem kulturellen Ausverkauf geopfert, seine Seele gleich mit dazu. Der Brief fasst dies im Zeitraffer zusammen. Die Krise folgt, der restliche Plot des Films ist nicht überraschend - ein verlorener Sohn samt Frau und Kind, eine Romanze mit einer bodenständigen Hotelmanagerin werden aneinandergereiht. Doch so belanglos die Handlung wirken mag, der Cast trägt den Film mit Leichtigkeit - allen voran natürlich Pacino und Plummer, aber auch Bobby Cannavale als Sohn Tom und Annette Bening als Hotelière Mary. Denn so wird neben dem aufgeplusterten Bühnengockel auch der sich seiner Fehler und Macken bewusste Danny sichtbar, der sich nach einem ganz lennonhaften "Working class hero"-Leben sehnt.

Mr. Collins' zweiter Frühling ist auf DVD und Blu-ray erschienen (ab 8,99 Euro) sowie als Video on Demand erhältlich (ab 3,99 Euro).

© SZ vom 05.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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