"Me Too" war ein Gewitter, und jetzt, wo der Sturm etwas nachlässt, kann man klarer sehen. Der Fall, mit dem alles begann, und einer, der nicht unter dem Dach "Me Too" hätte verhandelt werden dürfen, sind in der vergangenen Woche in eine neue Phase eingetreten: Der Ex-Filmmogul Harvey Weinstein wurde verhaftet, und der Komiker Aziz Ansari ist erstmals wieder aufgetreten, als Überraschungsgast in New Yorker Clubs. Die beiden Fälle könnten unterschiedlicher nicht sein.
Weinstein hat jahrelang und immer wieder seine Macht missbraucht. Ansari war nichts vorzuwerfen als ein missglücktes Rendezvous mit einer Bewunderin, die dann enttäuscht war, dass er aus der Nähe betrachtet doch nicht der Mann ihrer Träume war. Das ist kein Grund, jemanden aus seinem Job zu drängen. Ansari war trotzdem ein halbes Jahr lang weg vom Fenster. Er ist nicht mehr öffentlich aufgetreten. Die Menschen sind dann aber manchmal doch recht vernünftig, bei den Überraschungsauftritten soll das Publikum begeistert gewesen sein.
Es gibt kein Gesetz gegen Machtmissbrauch
Weil es bei "Me Too" nicht um eine bestimmte Art von Tat ging, sind natürlich auch die Auflösungen dieser Geschichten unterschiedlich. Die Forderung, nicht über Nuancen zu diskutieren, wie sie manche "Me Too"-Verfechterinnen äußerten - beispielsweise Schauspielerin Minnie Driver oder Senatorin Kirsten Gillibrand -, war von Anfang an absurd. Es hat nicht jeder, dem sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden, das gleiche Schicksal verdient wie Weinstein, der nun wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung vor Gericht gestellt wird.
Selbst wenn er nicht verurteilt wird: Die Weinstein-Company ist pleite, Harvey, einst der ungekrönte König von Hollywood, ist lediglich auf Kaution frei, eine Grand Jury in New York hat aber inzwischen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen ihn bestätigt und wirft ihm Vergewaltigung und erzwungenen Oralsex vor, die Staatsanwaltschaften in Los Angeles und London ermitteln noch. Das hat sich Weinstein selbst zuzuschreiben. Denn er hat systematisch Leute eingeschüchtert, Frauen unter Druck gesetzt, aber vieles ist verjährt. Der Fall von Rose McGowan, die ihre Schweigevereinbarung mit Weinstein brach, wird nicht einmal vor Gericht gehen.
Es gibt ja noch reichlich andere Fälle - und mehrere beschäftigen die Staatsanwaltschaften, die Aussagen prüfen. Kevin Spaceys Fall beispielsweise, gegen den in Los Angeles und London ermittelt wird. Zwanzig Vorwürfe wurden von Mitarbeitern des Londoner Old Vic Theatre erhoben, dessen künstlerischer Leiter Spacey von 2004 bis 2015 war. Er wird allerdings sicher versuchen zurückzukehren. Im Hollywood Reporter beklagt der Regisseur Barry Avrich, der gerade die Dokumentation "The Reckoning" über "Me Too" fertiggestellt hat, die Filmindustrie warte nur darauf, endlich die geschassten Übeltäter wieder heimholen zu können. Disney will beispielsweise John Lasseter, den Pixar-Chef, der ein halbes Jahr lang nach Hause geschickt wurde, wieder einsetzen, vorerst in "eingeschränkter Tätigkeit". Er war Mitarbeiterinnen mit unerwünschten Küssen und Umarmungen zu nahe getreten. Es gibt jetzt schon einen Hashtag: #toosoon - ging leider viel zu schnell.
In Deutschland wurde Dieter Wedel zum einzigen großen prominenten Fall. Recherchen der Zeit hatten ergeben, dass beim Saarländischen Rundfunk (SR) Beschwerden in Aktenschränken schlummerten wegen angeblicher Übergriffe bei der Arbeit an der Serie "Bretter, die die Welt bedeuten". Eine Schauspielerin hatte angegeben, Wedel habe sie bei seinem Vergewaltigungsversuch gewürgt, sie hatte Verletzungen, die sie an der weiteren Arbeit hinderten. Man habe damals nicht angemessen reagiert, räumte der SR inzwischen ein - der damalige Programmdirektor habe 1981 von den Vorwürfen erfahren. Auch die Bavaria ging ihre Akten durch und gab dann bekannt, es gebe keine Belege für körperliche Übergriffe von Wedel, als er für die Bavaria arbeitete, allerdings hätten Befragungen ergeben, dass Wedels Verhalten heute bei der Bavaria nicht mehr tolerabel wäre. Das ZDF fand auch nichts, merkte aber an, dass dort viele Akten gar nicht mehr existieren, weil die Lagerfrist abgelaufen ist. Noch einen Film wird er nicht machen, Wedel ist 76 Jahre alt. Beim SR will man sich jetzt eher darauf konzentrieren, künftigen Machtmissbrauch zu unterbinden.
Es gibt kein Gesetz gegen Machtmissbrauch, meist lässt er sich sowieso nicht nachweisen. Die Schauspielerin Ashley Judd, die Harvey Weinstein einst abblitzen ließ, versucht gerade, ihn auf Schadenersatz zu verklagen, weil er ihre Karriere behinderte - um sie zu bestrafen.