"Zwischendurch denk' ich: Boah, ist das schön", sagt eine begeisterte Endzwanzigerin in der Pause, und damit meint sie nicht, dass die Frauen an diesem Tag die Männertoiletten benutzen dürfen, sondern die Situation an sich. Die Stimmung. Die Atmosphäre von Auflehnung, Aufbruch und Solidarität. 350 Frauen haben sich in den Kammerspielen des Bonner Theaters in Bad Godesberg versammelt zum "Ersten bundesweiten Treffen der Theatermacherinnen" mit dem Titel "Burning Issues". Für mehr als hundert weitere gab es nur einen Platz auf der Warteliste. Die "brennenden Themen" scheinen sehr vielen auf den Nägeln zu brennen.
Es ist nicht wirklich das "erste" Frauentreffen dieser Art, das gibt die Bonner Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp bei ihrer Begrüßung vor glitzerndem Goldlamettavorhang unumwunden zu, aber so verkauft sich's besser. "Wir sind eben kleine PR-Schlampen", sagt die Theaterchefin und gibt damit gleich mal die Tonlage vor für diese Zusammenkunft unter Ausschluss von Männern, die aber ausdrücklich nicht "gegen die Männer" gedacht ist: Humorvoll, selbstironisch soll es zugehen. Kein "Jammertag" soll es werden, sondern ein Tag zum Netzwerken und Schulterklopfen.
Ausgeheckt haben Nicola Bramkamp und die Schauspielerin Lisa Jopt, Vorsitzende des Vereins Ensemble-Netzwerk, die Idee bereits vor einem Jahr. Weil sie gespürt haben, "dass wir an einem Wendepunkt der Frauenbewegung stehen". Viele der jahrzehntelang diskutierten Forderungen wie die nach gleicher Bezahlung von Männern und Frauen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder nach mehr Frauen in Führungspositionen sind inzwischen gesellschaftlicher Konsens. Nur im Theater mit seinen hierarchischen und patriarchalischen Strukturen gibt es kaum Fortschritte. "Das muss sich ändern!", fanden die beiden Initiatorinnen. "Die Analysephase ist vorbei. Die Forderungen liegen auf dem Tisch." Nun gelte es, für einen "Paradigmenwechsel" zu kämpfen. Durch die "Me Too"-Debatte und den offenen Brief des Wiener Burgtheater-Ensembles zum Thema Machtmissbrauch von Intendanten hat ihr Anliegen noch einmal an Fahrt aufgenommen. Daher die Devise: "Wir sollten diese Welle jetzt surfen."
Stichwort "Gender Pay Gap". Nicola Bramkamp erzählt, wie entsetzt sie war, als sie vor fünf Jahren ihren Job als Schauspielchefin in Bonn antrat und Einblick in die Gehaltslisten bekam: Frauen wurden grundsätzlich schlechter bezahlt als Männer. Fast 1000 Euro Unterschied bei einer 40-jährigen Schauspielerin im Vergleich zu einem gleichaltrigen Mann. Bramkamp hat das geändert, allerdings um den Preis, dass sie eine Stelle abbauen musste. Denn mehr Geld gab es natürlich nicht. Auch auf das extreme Gehaltsgefälle zwischen Bühnenbildnern (meist männlich) und Kostümbildnern (meist weiblich) weist Bramkamp hin. Überhaupt sei Deutschland europäisches Schlusslicht bei der gleichen Bezahlung von Männern und Frauen im Kulturbereich. "Das ist beschämend."
Beschämend sind auch die Zahlen der 2016 veröffentlichten Studie "Frauen in Kultur und Medien" des Deutschen Kulturrats. Demnach ist der Anteil von Direktorinnen im Theaterbereich zwischen 1994 und 2014 von 19 auf 22 Prozent gestiegen. Lausige drei Prozent in 20 Jahren! 78 Prozent der Intendanzen haben Männer inne. Bei 70 Prozent der Inszenierungen führen Männer Regie. Sie sind es, die unsere Sehweisen prägen.
Solche Bestandsaufnahmen sind Argumente für eine Quote, wie die Regisseurinnen Angelika Zacek und France Damian vom Verein Pro Quote Bühne sie vertreten. Sie fordern eine 50-Prozent-Quote in allen Bereichen. Transparenz bezüglich der Mittel, Männergagen für alle, paritätische Besetzung von Kommissionen - alles Wege hin zu einem Theater, das Gleichberechtigung lebt und Rollenbilder hinterfragt. "Unsere Bewegung ist nicht mehr aufzuhalten", ruft France Damian. "Zeit, ins Rampenlicht zu gehen!"
Am radikalsten setzt demnächst wohl die Regisseurin Anna Bergmann am Staatstheater Karlsruhe eine Frauenquote um. Wenn die 39-Jährige im Herbst ihr Amt als Schauspieldirektorin antritt, wird sie ausschließlich mit weiblichen Regiekräften arbeiten. 100 Prozent Frauenquote - ein Experiment. "Es gibt einfach eine große Menge hervorragender Regisseurinnen. Diesen Künstlerinnen möchten wir in den nächsten drei Jahren einen Freiraum schaffen und eine Bühne bieten", sagt Bergmanns künftige Stellvertreterin, die Dramaturgin Anna Haas. Auch sie ist nach Bonn gekommen, um Erfahrungen auszutauschen und über "brennende Anliegen" zu diskutieren. Zum Beispiel über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
"Kinderbetreuung ist auch Arbeitgebersache", hatte Nicola Bramkamp in ihrer Eröffnungsrede gesagt. Aber es fehle oft an Unterstützung. Als sie sich vor der Leitung des Bonner Schauspiels um eine andere Führungsposition beworben hatte, sei sie im Vorstellungsgespräch gefragt worden, ob sie noch ein zweites Kind wolle. Auf die Frage "Wieso?" bekam Bramkamp zu hören, der Job sei "mit Kind und Schwangerschaft nicht zu wuppen". Der Intendant, der sie das fragte - und sie nicht nahm -, war selber mehrfacher Vater.
Im neunten Monat schwanger mit dem zweiten Kind war Yvonne Büdenhölzer, die Leiterin des Berliner Theatertreffens, eine symbolträchtige Figur bei dem Treffen. In ihrer Keynote plädierte sie für einen Betreuungszuschuss für Frauen mit Familie.
Für eine Theatertreffen-Einladungs-Quote plädierte sie (verständlicherweise) nicht. Auch wenn die Zahlen niederschmetternd sind: Im letzten Jahr war mit Claudia Bauer eine einzige Regisseurin in der Auswahl der zehn "bemerkenswertesten" Inszeniernungen vertreten, in diesem Jahr sind es drei. Unter den 230 seit Gründung des Berliner Theatertreffens eingeladenen Regisseuren sind überhaupt nur 28 Frauen.
Woran liegt das? Stimmt Büdenhölzers These, dass es unter den Regisseurinnen "mehr Handwerkerinnen" gibt als Künstlerinnen mit markanten Handschriften? Und wenn ja, warum? Klar, Männer sind die größeren "Behaupter", wie Büdenhölzer sagt, und Frauen sehr viel kritischer mit sich selbst. Aber letztlich stößt man auch hier wieder auf ein strukturelles Problem und an gläserne Decken.
Und der Komplex "Me Too"? Der scheint so ein heißes "issue" zu sein, dass er weitgehend ausgespart blieb, jedenfalls im ersten Teil der Veranstaltung, zu dem einige Journalistinnen zugelassen waren, bevor später die vertraulichen "Open Space"-Runden begannen. Verwiesen wurde auf Anlaufstellen und rechtliche Mittel gegen Diskriminierung. "Nutzt das! Solidarisiert euch! Steht auf, wenn wieder ein Regie-Choleriker seine Macht missbraucht, und verlasst die Probe!", so die Appelle. Angelika Zacek rief dazu auf, offen über Missstände zu reden und Fälle zu nennen: "Schweigen ist systemerhaltend."
Kurz vor dem Bonner Treffen hatte der Deutsche Bühnenverein, der in dieser Sache bislang unteraktive Arbeitgeberverband der Theater, schnell noch Maßnahmen angekündigt. So werde eine "neutrale Beratungsmöglichkeit für Betroffene sexueller Belästigung" eingerichtet, also so etwas wie ein anonymes Nothilfetelefon. Außerdem will der Bühnenverein einen "Verhaltens- und Wertekodex" entwickeln, mit "Regeln für einen angstfreien zwischenmenschlichen Umgang im Theater und Orchester". Es tut sich was.
"Die Debatten haben das System noch nicht so verändert, dass man offen reden kann."
Und trotzdem: Setzt man sich in der Mittagspause zu einigen Teilnehmerinnen an den Tisch - es gibt vegane Suppe -, kommt man zwar sehr angeregt miteinander ins Gespräch, aber von (sexuellen) Übergriffen erzählt niemand, und schon gar nicht werden Namen genannt. "Das bleibt einfach schwierig", sagt die Schauspielerin Veronika Nickl. "Wenn ich anfange zu erzählen, was mir wo passiert ist und mit wem, werde ich als hysterisch, zickig und systemschädigend hingestellt." Die Machtfülle von Intendanten sei gewaltig. "Als Schauspieler bist du jederzeit auf der Abschussliste, da gibt es keinen ausreichenden Schutz. Ich kann es mir nicht erlauben, meinen Job für eine Wahrheit zu riskieren."
Die Schauspielerin Jele Brückner kann ihr da nur beipflichten: "Die aktuellen Debatten haben das System noch nicht so verändert, dass man offen reden kann, ohne seine Existenz zu gefährden. Das dauert länger. Wir sind noch nicht an dem Punkt."
Also wird sich doch nichts ändern? Nein, das glaubt keine der Frauen an diesem Mittagstisch. Schon intern sei vieles in Bewegung geraten. Es gebe eine "verschärfte Wahrnehmung", eine "andere Gesprächskultur". "Es gibt jetzt kein Zurück mehr", sagt die Schweizer Dramatikerin und Regisseurin Sabine Harbeke. "Aber für Veränderung braucht es nicht nur die persönlichen Geschichten, sondern auch unsere kollektive Stimme: Es reicht!"