Sexuelle Kommunikation ist auch deshalb so schwierig, weil sie von so vielen Themen überlagert wird. Nicht nur vom Drang, in dieser sehr verletzlichen Situation von seinem Gegenüber gemocht zu werden. Sondern auch von Geschlechterrollen und Narrativen, die Männer wie Frauen gefangen halten. Die Vorstellung vom aktiven, erobernden Mann. Von der passiven Frau, die überredet werden will. Diese Motive mögen altbacken klingen, längst überholt, aber tatsächlich wirken sie auch 2018 noch. Gerade und vor allem bei so etwas intimem wie Sex.
Wie überwindet man diese Rollen? Indem man offen über Sex redet. So wie Linda Becker und Ariane Alter in ihrem Podcast "Im Namen der Hose". Ein feministischer Podcast, ein Aufklärungspodcast, der beide Geschlechter ermächtigen will. "Unser Ziel ist es", sagt Linda Becker, " ganz vielen Frauen - aber auch Männern - das Gefühl zu geben: Sagt, was ihr nicht wollt. Redet darüber, wie ihr wollt. Und sagt vor allem auch endlich, was ihr wollt." Reden als Chance.
Der Kampf gegen solche Erfahrungen, wie Grace und Ansari sie machen mussten und wie viele Menschen sie in ihrem Leben machen müssen, ist ein Kampf gegen die Sprachlosigkeit. Ein Kampf, den auch Männer führen müssen.
Der Autor Christian Seidel hat ein Buch über männliche Sexualität geschrieben, das dieser Tage erscheint. Gerade in Zeiten der "Me Too"-Debatte sei es mehr denn je nötig, sich mit männlichem Sex zu beschäftigen, sagt Seidel. Und weiter: "Sex bedeutet, dass man sich sehr stark aufschließt füreinander. Das heißt, dass man unbedingt die Gefühle einschalten muss." Eben das aber falle vielen Männern schwer. Emotionen wegzuschieben, sie nicht zu zeigen, sie gar nicht erst zuzulassen, das ist noch immer tief verankert in der männlichen Geschlechterrolle.
Ethischer Sex ist nicht leicht. Aber er wird auch nicht die Erotik kosten
"Der Schlüsselbegriff ist Empathie. Die eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse hinterfragen", sagt Seidel. Innehalten, sich Zeit nehmen, um herauszufinden, was das Gegenüber für Vorstellungen hat von so einer Begegnung. Wer solche Gefühle zulässt, trägt auch ihre Konsequenzen. Wer spürt, dass es seinem Gegenüber nicht gut geht, der muss aufhören. Und nochmal: Wem das jetzt zu hippiesk verweichlicht klingt, der denke doch noch einmal drüber nach, was denn das Gegenteil bedeuten würde. Sex als gefühlskaltes Durchhämmern der eigenen Vorstellungen. Masturbation am Menschen.
Empathie, sich in das Gegenüber hineinfühlen. Das klingt nach einer wahnsinnig simplen Lösung für ein komplexes Problem. Aber die einfachsten Lösungen sind natürlich die schwersten. "Männer wie Frauen müssen aufpassen, dass sie die Grenzen anderer Menschen nicht überschreiten", sagt Podcast-Autorin Linda Becker. "Auch wenn es schwierig ist und es bedeutet, dass man nicht so einfach dahinleben kann, sondern nachdenken muss."
Wie groß der Widerstand gegen das Nachdenken und die Reflexion in der sexuellen Kommunikation tatsächlich ist, spürt man ganz deutlich in der Debatte um eine Reform des Sexualstrafrechts wie sie kürzlich in Schweden beschlossen wurde. Dort soll bald gelten: "Nur Ja heißt Ja". Einvernehmlicher Sex braucht dann eine eindeutige Zustimmung. Aufgebrachte Kommentatoren rufen bereits das Ende der Erotik aus, den Beginn eines neuen Zeitalters der Prüderie. Dass der Vorschlag, mehr und gleichberechtigter über Sex zu reden, solche Reaktionen hervorruft, zeigt, in welch desolatem Zustand die sexuelle Kommunikation ist. "Nur Ja heißt Ja" ist kein Angriff auf die sexuelle Freiheit. Es ist die Chance, echte sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung im offenen Gespräch, in der offenen Kommunikation zu finden. Vielleicht nicht als Gesetz. Aber unbedingt als Geisteshaltung.
Ethischer Sex ist nicht leicht. Er verlangt Anstrengung, er verlangt Empathie, er verlangt ein Nachdenken über die eigene Rolle, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Er wird nicht die Erotik kosten und auch nicht den Spaß. Aber viele weinende Menschen im Taxi.