Süddeutsche Zeitung

Maxim Gorki Theater:Darf der das?

Christian Weise und Soeren Voima gelingt ein böser "Othello". Den Titelhelden spielt ein Weißer - ein Fremdkörper ist er trotzdem.

Von Peter Laudenbach

Wer heute den "Othello" inszenieren will, bekommt schnell ein Problem: Kann ein weißer Schauspieler den Titelhelden, den "Mohr von Venedig" (Shakespeare), spielen? Darf er sich schwarz schminken - oder ist Blackfacing als theatralisches Mittel der rassistischen Minstrel Shows für alle Zeiten kontaminiert und automatisch rassistisch? Matthias Lilienthal zumindest, der Intendant der Münchner Kammerspiele, plädiert da sehr entschieden für politische Korrektheit: Für ihn sei es derzeit undenkbar und "unerträglich", einen Weißen den Othello spielen zu lassen, erklärte er vor Kurzem in einem 3sat-Interview.

Ginge es nach Lilienthal und der Diskurspolizei, hätten berühmte Inszenierungen wie Peter Zadeks Hamburger "Othello" mit einem schwitzenden, animalischen, schwarz beschmierten Ulrich Wildgruber oder George Taboris Wiener "Othello" mit einem ebenfalls schwarz geschminkten, melancholisch-ironischen Gert Voss niemals das Licht der Theaterwelt erblicken dürfen. Es sind Inszenierungen, die die Mechanismen der Diskriminierung, des gesellschaftlichen Ausschlusses und der rassistischen Projektion vorführen und kritisieren. Aber ihr Anti-Rassismus muss dem ungenauen Blick entgehen, der Schminke reflexhaft für ein rassistisches Zeichen hält. Wie um sich vor der Komplexität des Konfliktfeldes zu schützen, will ein naiver Naturalismus vorschreiben, dass schwarze Bühnenfiguren nur von schwarzen Darstellern gespielt werden dürfen. Dass Schauspielerei mit Spiel, Rollenwechsel, angetäuschten Identitäten und Perspektivreichtum zu tun hat und genau darin zum politischen Erkenntnisinstrument werden kann, ist ein Gedanke, der in Lilienthals Argumentation offenbar keinen Platz hat.

Othellos Außenseitertum ist nicht zwangläufig eine Frage der Hautfarbe

Wie es aussieht, hat Taner Șahintürk Glück gehabt, dass er nicht in München engagiert ist. Er spielt am Berliner Maxim-Gorki-Theater in Christian Weises Inszenierung den Othello. Șahintürk zeigt in seinem sehr direkten, eher kraftvollen als subtilen Spiel, dass das Außenseitertum des Aufsteigers Othello, der von der Mehrheitsgesellschaft gleichzeitig benutzt und verachtet wird, nicht zwangsläufig und ausschließlich eine Frage der Hautfarbe, sondern eine der Blicke der anderen ist. Am Gorki-Theater hat man den etwas klemmigen Dogmatismus, mit dem Lilienthal und andere argumentieren, nicht nötig, schon weil Fragen nach Diversität, Identitätskonstruktionen und der Repräsentanz von Minderheiten ohnehin Kern des Gorki-Programms sind.

In Weises Inszenierung und der so klugen wie komischen Textfassung von Soeren Voima werden sie in aller Widersprüchlichkeit, Doppelbödigkeit und Ambivalenz durchgespielt. Șahintürks Othello ist weiß, ein Fremdkörper ist er trotzdem. Denn die übrigen Figuren sind clownesk weiß geschminkt, es sind hochtourig laufende Virtuosen des Grimassierens. All die Senatoren, Offiziere, der Herzog von Venedig, der Intrigant Jago (den ein großartiger Thomas Wodianka wie einen Gustaf Gründgens auf Speed spielt) und der Dummkopf Rodrigo (dem Till Wonka aus Gründen der gut gelaunten Diskriminierung einen sächsischen Dialekt verpasst) sind ohne Angst vor den Freuden des höheren Knallchargentums in die Groteske getrieben. Das geht als überdrehtes Volkstheater im Frontalangriffsstil los. Alle wissen hier, dass sie voreinander das Theater ihrer sozialen Rollen am Hofe und in der Stadt spielen.

Kein Wunder, dass sich die Wandtäfelung des Zuschauerraums auf der steil ansteigenden, gestaffelten, sich wie in einem alten Hoftheater nach hinten verengenden Guckkastenbühne fortsetzt (Bühne: Julia Oschatz). Venedig ist hier keine Stadt, sondern eine Bühne - "Othello" als eine Farce der Commedia dell'arte. Logisch, dass sich der Intrigant Jago irgendwann bei einem anderen Shakespeare-Stück bedient und erklärt, die ganze Welt sei eine Bühne und wir alle nur Spieler, "aber nicht jeder ist ein guter Schauspieler".

Nur Othello wirkt zwischen all den Jahrmarktfiguren wie ein etwas naiver, der Berechnung nicht fähiger, dauerstaunender Mann, der ganz seiner Liebe zu Desdemona (Aram Tafreshian) vertraut. Seine scheinbare Naivität täuscht. Othello ist ein Aufsteiger in einer feindlichen Umgebung, der gelernt hat, gute Miene zum bösen Spiel der Diskriminierung zu machen. Voima hat ihm einen bitteren Hass-Monolog geschrieben, bei dem man plötzlich versteht, weshalb die anderen in aller Unschuld so übertrieben und unwirklich agieren: Wir sehen all die Vertreter der weißen Mehrheitsgesellschaft wie durch einen Zerrspiegel von Othellos Wahrnehmung - lauter grinsende, aufgekratzte, mitleidlose, seltsam eindimensionale Monster.

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SZ vom 26.02.2016
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