Max Raabe:Der Verbündete im Kampf gegen Lady Gaga

"Hauptsache, mir quatscht keiner ins Zeug" - mit dem Sänger Max Raabe, einer Pudelmütze und einem elektrischen Bügeleisen quer durch Berlin.

Martin Zips

Hast du das Bügeleisen?", fragt er seine Assistentin. "Nicht, dass wir wieder das Bügeleisen vergessen haben. Auf einer Tournee brauche ich ein Bügeleisen."

Max Raabe: "Wollen Sie wirklich wissen, wie ernüchternd die Behausungen sind von Leuten, die Sie interviewen?" Max Raabe kultiviert Camouflage als Stilmittel.

"Wollen Sie wirklich wissen, wie ernüchternd die Behausungen sind von Leuten, die Sie interviewen?" Max Raabe kultiviert Camouflage als Stilmittel.

(Foto: Foto: ddp)

Ein großer, schlanker Kerl, gekleidet wie aus einer anderen Zeit, schubst die Ladentür der Berliner Musikalienhandlung Riedel auf. Die grauhaarige Dame an der Kasse erschrickt. "Guten Tag, Herr Raabe", wundert sie sich und verharrt drei, vier Takte vor dem Notenregal. Der Mann, der das "r" rollt wie einst Hans Albers, ist also wieder in der Stadt.

"Alles sooooo schrecklich aufgeräumt hier." Den Vokal ganz lang ziehen, das liebt er. Das, was bei seinem Freund Loriot das "Ach" ist, das ist bei Max Raabe das "o" in "sooooo", "Hallooooo" oder "Ohoooo". Eines seiner Markenzeichen. Raabe fischt ein Klavierarrangement aus dem Regal. Mal entdecke er neue alte Stücke auf Flohmärkten, sagt er, mal auf Schellackplatten, mal im Kurt-Weill-Archiv, mal in diesem Laden hier. 500 Lieder aus den 20er, 30er, 40er Jahren kann er auswendig.

Doch die akribische Ordnung, die neuerdings in diesem Notenladen herrscht, die passt ihm nicht. "Da kann man sich nicht ordentlich durchwühlen." Kurz blättert er den Song "Dream a little dream" auf. "Viele meinen ja, das sei von The Mamas & The Pappas. Na, in Wirklichkeit stammt auch das aus den 30ern."

In wenigen Tagen wird Raabe während einer weiteren US-Tournee bereits zum dritten Mal in der New Yorker Carnegie Hall singen. Auch in Russland, Japan und China füllte er zuletzt riesige Säle. Annie Leibovitz fotografierte ihn samt Palast Orchester, Marilyn Manson wollte ohne Raabe nicht Hochzeit feiern, und für den aktuellen DVD-Mitschnitt eines Raabe-Konzertes zeigt sich Hollywood-Kameramann Michael Ballhaus verantwortlich. Weltweit strahlen Fernsehsender den Ballhaus-Film aus. Dass Raabe gerade in Oslo eine französische Version seiner neuen Solo-CD "Übers Meer" aufgenommen hat und in wenigen Tagen auf der Eröffnung der Berlinale singen wird, ist da nur ein Randaspekt.

"Max würde jetzt gern ins Café Einstein fahren", sagt Raabes Assistentin Simone, die eine lustige blaue Pudelmütze auf dem Kopf trägt, was die Annahme, die beiden könnten vielleicht ein Paar sein, sofort zu einer absurden werden lässt. Raabe hat nicht unbedingt einen Hang zur Pudelmütze. Bei ihm leuchtet ein Einstecktuch aus dem Cord-Sakko. Eine silberne Kette, die zu einem Schlüsselbund in der Seitentasche seiner zu kurzen Hose führt, klappert, während er stolzen Schrittes den Notenladen verlässt.

Camouflage als Profession

Wie eine Figur aus einem George-Grosz-Gemälde reißt er am Straßenrand den Arm in die Höhe, um ein Taxi zu stoppen. Dabei hält er seine Lederhandschuhe fest in der Hand. Seine Assistentin trägt die Tüte mit dem soeben gekauften Bügeleisen. Seltsamerweise funktioniert es elektronisch. Bei Raabe hätte man eigentlich ein mit Kohlen betriebenes Exemplar erwartet.

Seine Profession ist die Camouflage. Besitzt er wirklich kein Handy, wie er behauptet? Surft er tatsächlich nie im Internet? Ist er wirklich fest liiert? Mit wem? Solche Fragen beantwortet er nur unzureichend. Lieber erzählt er, keineswegs unsympathisch, von früher. Aufgewachsen sei er auf einem Bauernhof in Westfalen. "Meine Eltern wissen bis heute nicht, welche Bedeutung die Carnegie Hall in Künstlerkreisen hat", sagt er, auf der Rückbank des Taxis. "Wenn sie Berlin hören, denken sie an die Grüne Woche." Sein Vater werde bald 83, seine Mutter 76. Erst gestern habe man miteinander telefoniert.

Das richtige Verhalten gegenüber einem Hund

Auf der Bühne benutzt Max Raabe niemals Handmikrophone. Damit sähe er zu sehr nach neumodischem Popstar aus. Er trägt maßgeschneiderte Fräcke sowie Stehkragenhemden aus der Schneiderei Adam in Charlottenburg. Und: Er bügelt selbst. Sagt er. Die Orchester-Arrangements schrieb jahrelang ein Mann namens Günther Gürsch. Da von vielen Schlagern keine Noten mehr existierten, hörte sich Gürsch die Instrumentalstimmen von Schellackplatten ab. Vor zwei Jahren starb er, er war 89. Musiker des Palast Orchesters versuchen nun, die Lücke zu füllen.

Als Max Raabe, 47, die Tür des gut besuchten Café Einstein öffnet, wird es drinnen still. Alle Blicke drehen sich auf das Gesamtkunstwerk, das allein wegen des Heinz-Rühmann-Gesichts, wegen des sehr korrekt gezogenen blonden Scheitels und den prägnant abstehenden Ohren hier von jedermann sofort erkannt wird. Manche erinnern sich wohl daran, dass Raabe vor knapp 20Jahren mit "Kein Schwein ruft mich an" einen Hit gelandet hat; einige dürften ihn in sehr deutschen TV-Shows wie "Willkommen bei Carmen Nebel" gesehen haben; der Rest sieht in ihm einen intellektuellen Verbündeten im Kampf gegen Lady Gaga.

Kein Gorilla-im-Zoo-Tätärätä

Raabes CD "Übers Meer" ist soeben in den Charts auf Platz 28 eingestiegen. Das ist außergewöhnlich für eine Aufnahme, auf der ein Sänger mit Klavierbegleitung ausschließlich Lieder von jüdischen Textern und Tondichtern singt, die alle vor den Nazis fliehen mussten. Diesmal also kein Der-Lenz-ist-da-Klamauk, kein Kaktus-Tschingderassabum und Gorilla-im-Zoo-Tätärätä. Diesmal klingt alles eher nachdenklich und melancholisch.

Gleich drei Kellner stehen Spalier, um Max Raabe zu begrüßen. Im hinteren ruhigen Nebenraum befinde sich, leider, eine italienische Großfamilie mit vielen Kindern, die sich vom Besuch im Wachsfigurenkabinett erhole. "Soooooo?", sagt Raabe und übersieht doch gerne das Schild "Geschlossene Gesellschaft" vor dem Séparée. Er ist ja nicht irgendwer. An seinem Stammplatz angekommen, gewährt er bei einer Tasse Grünen Tees huldvoll weitere Einblicke.

"Mein Bruder und ich haben bei der Ernte geholfen." Nach dem Abitur sei er nach Berlin gezogen, um Sänger zu werden - ein Aufbruch, kein Bruch mit der Familie. Mit Gelegenheitsjobs finanzierte er den Gesangsunterricht und die 110Mark Miete seiner Absteige in Neukölln. "Mein Lehrer hat sehr auf mich als klassischen Bariton gebaut und war irritiert, als ich mich dem seichten Fach zuwandte."

Hauptsache, die Show ist gut

Ob Raabe abends im Prominentenviertel am See mit Stehkragen vor dem Fernseher sitzt? Oder doch in der Trainingshose? Ob er schon morgens, beim Frühstück neben dem Toaster, ein Einstecktuch im Sakko trägt? "Wollen Sie wirklich wissen, wie ernüchternd die Behausungen sind von Leuten, die Sie interviewen? Ich stelle mir das unangenehm vor. Soll man sich die Schuhe ausziehen? Auf welchen Stuhl setzt man sich? Wie muss man sich gegenüber dem Hund oder der Katze verhalten?" Eigentlich hat er ja Recht. Hauptsache, die Show ist gut.

Dass der staatlich geprüfte Opernsänger am Ende nur zwei, drei klassische Liederabende gab und mit Freunden, die beispielsweise Raumfahrttechnik studierten, 1986 das Palast Orchester erfand, hat mehrere Gründe. Er glaube, dass seine Stimme über ein Mikrophon am besten zur Geltung käme, sagt er. Zudem nerve ihn die Besserwisserei von Buhrufern vom zweiten Rang. Außerdem sei er nicht sehr diszipliniert. Also doch lieber das leichte seichte Fach: "Im Ausland nehmen mich die Menschen vor allem als lustigen Deutschen mit ulkigem Dialekt wahr. Besonders dann, wenn ich meine Ansagen auf Englisch oder Japanisch vortrage."

Bis zu 120 Konzerte gibt er im Jahr, allein mit dem Palast Orchester. Ab Anfang April kommen noch Soloabende mit dem Pianisten Christoph Israel hinzu. "Die Tatsache, dass mir ab 20Uhr keiner ins Zeug quatscht, das macht mich ruhig." Und seine Rolle nerve ihn auch noch lange nicht. "Ich hoffe nur, dass mich jemand rechtzeitig wegschließt, bevor es peinlich wird."

Dann taucht eine kleine Frau neben Raabe im Einstein auf. Sie bleibt bewundernd vor ihm stehen und lächelt. Es ist Antje Vollmer, die Politikerin. Raabe nickt ihr zu. "Hallooo". Mehr reden mag er nicht. Nur nicht zu viel Nähe. Lieber den Menschen ein ewiges Rätsel bleiben. Raabe schaut auf die Tüte mit seinem Bügeleisen. Auch betrachtet er die italienische Großfamilie. "Sehen Sie? Das Kind spielt mit einem alten Jojo! Wie früher."

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