Matthias Schmidt: "Fritz Kreisler - Ein Theater der Erinnerung":Listiger lauschen

Matthias Schmidt: "Fritz Kreisler - Ein Theater der Erinnerung": Wie lüftet man das Geheimnis seines Violinspiels? Fritz Kreisler.

Wie lüftet man das Geheimnis seines Violinspiels? Fritz Kreisler.

(Foto: imago/Leemage)

Was es heißt, Musikvirtuosen zu porträtieren, denen die Nachwelt keine Kränze flicht.

Von Harald Eggebrecht

Wie lüftet man das Geheimnis seines Violinspiels? Fritz Kreisler.

Instrumentalvirtuosen, Dirigenten und Sänger gehören zu jener Spezies musikalischer Artisten, denen - frei nach Schiller - die Nachwelt keine Kränze flicht. All die grandiosen Violinköniginnen und -fürsten, Celloheroinnen und -helden, Klavierlöwen und -löwinnen, die Trompetensieger und Flötengötter, dann die Stars auf den Opernbühnen und Liederpodien, die Pult-Imperatoren und Taktstockschwinger - ihnen widmet der Verlag Edition text + kritik nun eine eigene Reihe: "Solo".

Fünf Bücher sind schon verfügbar: Über den Tenor aller Tenöre, Enrico Caruso, hat der Karlsruher Musikwissenschaftler Thomas Seedorf geschrieben. Das Porträt des Geigerkönigs Fritz Kreisler ist dem Basler Musikprofessor Matthias Schmidt mit 170 Seiten besonders umfangreich geraten. Den rätselvollen Pianisten Eduard Erdmann versucht der Münchner Musikologe Oliver Fraenzke zu erfassen. Zwei Bände widmen sich lebenden Persönlichkeiten: die Australierin Simone Young wird von Kerstin Schüssler-Bach porträtiert und den Anwalt der Moderne, Michael Boder, rückt der versierte Musikautor Jürg Stenzl ins Profil.

Das interessanteste Buch der Reihe ist dem Geigerkönig Fritz Kreisler gewidmet

Seedorfs Caruso-Biografie ist dabei selbstverständlich seriös geraten, aber arg glatt und etwas unpersönlich. Nun gibt es zu Caruso eine Riesenmenge an Büchern und Darstellungen. Insofern leuchtet es ein, dass Seedorf nichts umwälzend Neues finden konnte. Caruso nur besonders zu preisen, wäre so müßig wie wohlfeil. Und doch würde etwas mehr persönliche Faszination und damit der Versuch, sich der Jahrhundertstimme und der in ihr anklingenden Gesangsästhetik zu nähern, dem Ganzen nicht schaden.

Dagegen bleibt Oliver Fraenzke allzusehr in einer schwerfüßigen Biografik befangen bei seinen Bemühungen, der Seltsamkeit des Komponisten und Pianisten Eduard Erdmann auf die Spur zu kommen. Zur zentralen Frage "Was spielt er wie"? findet Fraenzke überhaupt keinen Ansatz. Seine Kommentare zu Aufnahmen von Erdmann fallen dürftig aus und machen die einstige Faszination dieses ungewöhnlichen Musikers kaum spürbar. Das Erdmann bei aller Eigenwilligkeit dennoch NSDAP-Mitglied wurde, um auftreten zu können, stimmt bitter. Doch seine Freundschaft zum ins Exil gegangenen Ernst Krenek und zu anderen verfemten Musikern rissen nicht ab. Wer also Erdmann jenseits seiner Biografie als Klavierspieler entdecken will, muss sich ein eigenes Bild anhand der Aufnahmen machen.

Matthias Schmidt: "Fritz Kreisler - Ein Theater der Erinnerung": Matthias Schmidt: Fritz Kreisler - Ein Theater der Erinnerung. Edition Text + Kritik, München 2022. 168 Seiten, 24 Euro.

Matthias Schmidt: Fritz Kreisler - Ein Theater der Erinnerung. Edition Text + Kritik, München 2022. 168 Seiten, 24 Euro.

(Foto: Edition Text + Kritik)

Die beiden Porträts der lebenden Dirigenten sind jedes auf seine Weise stimmig. Kerstin Schüssler-Bach schildert den langen Weg Simone Youngs von Australien in die europäischen Metropolen und an die Pulte der bedeutendsten Opernhäuser als vitalen emanzipatorischen Weg zu Selbstbestimmung und Selbstbewusstsein einer international erfolgreichen Orchester- und Opernleiterin.

Klar wird, dass Youngs Erfolg auch mit ihrer Teamfähigkeit zusammenhängt. Und dass sie auch dabei eine Pionierin ist, schildert ihre Biografin überzeugend. Auch Michael Boder wird von Jürg Stenzl als passionierter Teamworker beschrieben, dem Startum und Maestroherrlichkeit entschieden abgehen. Michael Boder, 1958 in Darmstadt geboren, überzeugt Musiker und Sänger, mit denen er zusammenarbeitet, durch Werk-Kenntnis und so kameradschaftliche wie dirigentische Verlässlichkeit. Davon zeugen auch die Zeugnisse von Musikern, die Stenzl zum Lobe seines "Helden" am Ende zitiert. Das reicht von Komponisten wie Friedrich Cerha, Aribert Reimann oder Henze über Intendanten und Regisseure wie Pamela Rosenberg, Ioan Holender oder Stefan Herheim bis zu Sängerinnen wie Marlis Petersen und Barbara Hannigan.

Das in Ansatz und Durchführung interessanteste Buch der Reihe ist allerdings dem Basler Musikwissenschaftler Matthias Schmidt über den Geigerkönig Fritz Kreisler gelungen, auch wenn es insgesamt etwas zu lang geraten ist.

Schmidt zeigt, wie Kreisler sich selbst zum Akteur eines "Theaters der Erinnerung" gemacht hat, zum Teil seine Lebensgeschichte mit schöpferischer Fantasie anreicherte und überformte, um so eine Biografie zu kreieren, die nicht nur zu einem der bedeutendsten Geiger aller Zeiten passte, sondern ihn auch als den legitimen Erben des Musiklebens des 19. Jahrhunderts in Wien erscheinen ließ, eines Wiens, in das auch Gustav Mahler und Arnold Schönberg gehören, mit denen Kreisler sehr verbunden war. Schmidt schildert auch, dass Kreisler seine jüdische Herkunft mehr oder weniger verschleiert hat besonders unter dem Management seiner Gattin Harriet, die sogar versuchte, mit Hitler-Deutschland auszukommen - Kreisler lebte bis 1939 in Berlin, trat aber schon seit 1933 nicht mehr in Deutschland auf.

Neben der Klärung bisheriger biografischer Unschärfen besticht Schmidt durch seine Versuche, dem Zauber von Kreislers Violinspiel nahe zu kommen anhand exemplarischer Aufnahmen wie der des Brahms-Violinkonzerts mit dem London Philharmonic Orchestra unter John Barbirolli von 1936. Ob Trillerlänge und -intensität, ob Vibrato- oder Bogendruckvarianten, Schmidt lauscht ganz genau in diese tatsächlich eindrucksvolle Aufnahme hinein, um das Geheimnis der Kreislerschen Wirkung zu lüften. Und am Ende entsteht ein eindrucksvoll differenziertes Bild eines der bedeutendsten Musiker des 20. Jahrhunderts.

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