Das T-Shirt war wieder gelb-orange, die Haare wirr, die Brille saß auf dem Kopf - Querulantigeres war nicht zu erspähen, als Matthias Lilienthal das Programm der neuen Spielzeit der Münchner Kammerspiele vorstellte. Die erste Inszenierung wird "Der Kaufmann von Venedig" und Schauspielhaus, Spielhalle und Werkraum heißen jetzt Kammer 1, 2 und 3.
Seit er als Nachfolger von Johan Simons präsentiert wurde, war zumindest München aber ganz wuschig wegen ihm.
Warum eigentlich?
Warum es viele Menschen beschäftigt, dass Lilienthal die Kammerspiele übernimmt:
Die Kammerspiele sind eines der bedeutendsten Theaterhäuser und befinden sich gerade in ihrer absoluten Blüte. Es ist ein klassisches Stadttheater - und das übernimmt nun jemand, der in den vergangenen Jahren hauptsächlich frei kuratiert hat. Das ist eine völlig andere Struktur und von der Fremdheit der Gefühle her so, als würden die Show-Basketballer von den Harlem Globetrotters plötzlich in der Bundesliga spielen.
Warum sein Programm das am sehnlichsten erwartete des Jahres ist:
Auch da geht es wieder um die große Bedeutung der Kammerspiele. Wenn Lilienthal beispielsweise Nürnberg übernommen hätte, hätte man sich wahrscheinlich gedacht: Joa, dem Laden tut ein bisschen frischer Wind mal gut.
Die Kammerspiele gelten als eines der besten Ensembles im deutschsprachigen Raum - und mit Ensembletheater hatte er in seiner jüngeren Vergangenheit nicht sehr viel zu tun.
Es gibt aber auch einen Hinweis auf Kontinuität, der überrascht: Monatelang war zu hören, dass das Ensemble praktisch aufgelöst wird. Das wird nicht so sein, es wird ziemlich hohe Kontinuität geben, teilweise bedingt dadurch, dass Lilienthal einige Inszenierungen aus der Ära Johan Simons übernimmt.
Etwa ein Drittel der Besetzung geht vermutlich aber weg - teilweise exponierte Figuren wie die Darsteller aus den Benelux-Ländern. Ein klein bisschen wirkt das so, als wenn der Thomas Müller zum Nachfolger vom Pep sagt: Rutsch mir den Buckel runter, ich geh zu Sechzig.
Was die leichte Lösung vom Ensemble bedeutet:
Es geht bei dem Programm um etwas, was nicht neu ist, hier aber, so die Erwartung, noch radikaler gedacht wird als an vielen anderen Häusern: die Integration von freien Gruppen beziehungsweise der Ästhetik der freien Szene ins Stadttheater. Aber eigentlich hat an den Kammerspielen schon Frank Baumbauer damit angefangen.
Lilienthals Vision für die Kammerspiele:
Im Prinzip geht es um eines: Theater soll für alle sein - was auch kein neuer Gedanke, aber ein schöner ist. Dafür will Lilienthal die Hemmschwellen des Publikums senken. Er führt eine Theaterflatrate für junge Leute ein: ein Jahr alles außer den Konzerten gucken für 80 Euro. Das Theater soll in die Stadt hineinwirken - das sagte Johan Simons auch schon und stellte Biertische auf die Maximilianstraße.
Lilienthal und seine Kritik am Münchner Mietmarkt:
Ein sehr ähnliches Projekt wie die "Shabby Shabby Apartments" hat er schon 2014 in Mannheim gemacht - und Mannheim hat sicherlich nicht so ein großes Wohnraumproblem wie München. Das spricht dafür, dass Lilienthal nicht ständig neue gesellschaftspolitische Themen in Angriff nehmen wird. Er wird schon Dinge aufrauen - aber wohl keine große Bombe zünden.
Wie sehr er in München als Figur polarisieren wird:
Kaum. An seine orangen T-Shirts hat man sich längst gewöhnt, er ist ausnehmend freundlich und auch unterhaltsam. Er zeigt größtenteils Arbeiten von Regisseuren, die in München zwar noch nicht gearbeitet haben, hier aber durch Gastspiele etwa beim Festival "Spielart" durchaus bekannt sind. Die anderen kennt man aus Berlin oder von anderen Festivals.
Aber: Die Saison, die er mit "Der Kaufmann von Venedig" beginnt, verspricht ein gute, lustige, vielleicht gar schöne erste Saison zu werden.
Und: Lilienthal zeigt sich jetzt schon völlig verliebt in die Kammerspiele. Auch nicht beim verrücktesten Ansinnen habe er je ein "Nein" gehört, sagt er. Das Haus kann alles, macht alles - und scheint gut gelaunt und neugierig zu sein, was der lustige Mann aus Berlin da vorhat.