Matthias Lilienthal bei den Münchner Kammerspielen:Aufreger um den Schweinsbraten

Lesezeit: 3 min

Am Premierenabend präsentierte Matthias Lilienthal klamottentechnisch einen Kompromiss: blaues Hemd - und über der Schulter der Kapuzenpulli. (Foto: Stephan Rumpf)

Trägt der neue Intendant wirklich Schlabberlook? Wie lang ist der Applaus? Und wie verkraftet das Münchner Theater-Establishment ein Rap-Konzert? Fragen und Antworten zur Saisonpremiere in den Kammerspielen.

Von Christiane Lutz

Es war das Ereignis des Theaterjahrs, auf das die Szene am meisten hingefiebert hatte: Matthias Lilienthal, 56 Jahre, neuer Intendant der Kammerspiele, eröffnet die neue Spielzeit. Dabei tat er das nicht mal selbst, sondern Regisseur Nicolas Stemann mit seiner Inszenierung "Der Kaufmann von Venedig", die am Freitagabend Premiere hatte. Wir haben die wichtigsten Fragen zur großen Eröffnungsnacht geklärt:

Welche Farbe hatte das T-Shirt von Matthias Lilienthal?

Um zu verstehen, warum diese Frage interessant ist, muss man wissen, dass der Stil von Matthias Lilienthal am besten beschrieben ist mit: Stilverweigerung. Lilienthal schlurft grundsätzlich in Jeans, ausgetretenen Schuhen und meist gelben oder orangefarbenen T-Shirts umher. Zu deuten braucht man das nicht.

Lilienthal ist für München von Anfang an eine wilde Besetzung gewesen, in Berlin, wo er bis zuletzt das Theater "Hebbel am Ufer", das HAU, geleitet hat, fällt einer wie er vielleicht nicht auf. In München schon. Das er so ist, tut der Stadt gut, das zeigt sich darin, dass eine regelrechte Matthias-Mania in der Stadt ausgebrochen ist. Die Theaterfans gieren nach seinen unkonventionellen Projekten wie den "Shabbyshabby Apartments", wo er zur Zeit an verschiedenen Stellen improvisierte Unterkünfte errichtet hat. Ein Kunstprojekt zwar, aber man konnte wirklich darin übernachten.

Intendant der Münchner Kammerspiele
:"Wie sehr wir uns von Frau Merkel einlullen lassen"

Machen statt "merkeln": Matthias Lilienthal ist Til Schweiger dankbar, weil er seine Fans verwirrt - und fragt sich, ob die Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage einen Rückzieher macht.

Von Karin Janker

Man spürt: Lilienthal ist neugierig auf die Stadt. "Ich habe keinen je erlebt, der sich so schnell in München eingelebt hat", sagt der Münchner Kulturreferent Hans-Georg Küppers nach der Premiere in einer kleinen Begrüßungsansprache. Lilienthal eröffnet daraufhin erst mal das Büffet - "Veganer Schweinebraten für alle!" - und sagt dann: "Ich habe die Kammerspiele jetzt schon so gern wie mein altes Theater in Berlin". Er sagt es in einem blauen, eher ungebügelten Hemd.

Wie viel Lilienthal steckte in der ersten Premiere der Saison: Shakespeares "Der Kaufmann von Venedig"?

Eine in Silberfolie eingekleidete Bühne, ein paar Tische, ein Klavier und sechs Schauspieler in Alltagsklamotten. Das ist Nicolas Stemanns Setting für seinen "Kaufmann von Venedig". In einer "Werkstattsituation" sollte seine Inszenierung stattfinden, hatte er angekündigt, ein "Konzert", bei dem die Schauspieler den Text wie eine Partitur lesen, teilweise sogar ablesen. Das Ganze würde mindestens drei Stunden dauert. Das klang eher anstrengend, vor allem, wenn man weiß, dass Regisseur Stemann sich wirklich nicht vor Längen scheut. Zuletzt hat er "Faust I+II" in einem achtstündigen Marathon am Thaliatheater in Hamburg durchinszeniert.

Dann die Erleichterung: Der Abend geht auf. In der Shakespeare-Werkstatt wird fleißig gearbeitet, für jede Szene, jeden Konflikt denkt sich Stemann etwas Neues aus. Mal lesen die Schauspieler den Text, mal performt ihn Jazz-Sängerin Jelena Kuljić. An manchen Stellen holpert es noch mächtig im Ablauf, doch Stemanns Rückzug auf die Geschichte ist tatsächlich spannend anzusehen - dank eines großartigen Ensembles. Thomas Schmauser (der ab und zu den verliebten Bassanio spielt) und Walter Hess, glücklicherweise in München geblieben, sind ohnehin großartig. Und Neuzugang Julia Riedler (die meist Portia spielt) fegt mit selbstbewusster Weiblichkeit über die Bühne.

Wie lang war der Applaus?

Der Applaus fiel dann durchschnittlich für eine Premiere aus, die paar Buhrufe aus den hinteren Reihen verloren sich im freundlichen Zuspruch der Mehrheit. Zum Partytalk taugte die Inszenierung jedenfalls nicht. In der Schweinsbratenwarteschlange hörte man von sich am Kopf kratzenden Dramaturgen Sätze wie: "Bin noch unentschlossen, was den Abend betrifft."

Nach der Hochkultur ein Hip Hop-Konzert: Wie geht das zusammen?

Um Mitternacht zogen die Hipster ein. Die Kammerspiele verschenkten nämlich Karten für ein Konzert der Rap-Hip-Hop-Band Young Fathers. Genau eine Stunde lang spielten die Schotten, schwitzende Menschen tanzten in den Stuhlreihen, selbst das Garderobenpersonal wippte an den Türen mit. Alles Teil von Lilienthals Plan. Die Kammerspiele haben mit Christoph Gurk einen eigenen Pop-Beauftragten geholt. Bands wie die Young Fathers sollen möglichst viele Menschen anlocken, die mit Theater sonst nichts am Hut haben. Am Samstag tritt keine andere als Electro-Königin Peaches auf, mit ihrer Version des Musicals "Jesus Christ Superstar", das konsequenterweise dann "Peaches Christ Superstar" heißt.

Lilienthal hatte für seine Intendanz ein "Feuerwerk" angekündigt. Kann er das wahrmachen?

Wer es schafft, am ersten Abend Shakespeare, einen gefeierten Rap-Act und veganen Schweinsbraten in seinem Theater zu vereinen, für den dürfte ein Feuerwerk kein Problem sein.

Satz des Abends?

"Oh nein, der Schweinsbraten ist wirklich vegan."

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ MagazinTheatermacher Matthias Lilienthal
:Der Mann aus Reihe drei

Im Herbst tritt Matthias Lilienthal als neuer Intendant der Münchner Kammerspiele an. Viele glauben, er werde das ehrwürdige Theater gehörig aufwirbeln - dabei tut er das längst. Ein Porträt.

Von Gabriela Herpell

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: