Mathieu Kassovitz:"Tom Cruise ist Scientologys Halbgott"

Regisseur Mathieu Kassovitz erklärt, warum er mit seinem neuen Film "Babylon A.D." nicht zufrieden ist: zu viel Happy End, zu viel Action, kurz: zu amerikanisch.

Marcus Rothe

Spartanischer Schreibtisch in der eigenen Firma am Place de la République, Jeans, Schlabber-T-Shirt, uneitle Beiläufigkeit. Mathieu Kassovitz, 41, als Schauspieler ("Amélie", "Munich") und Regisseur ("Hass") ein Fixpunkt des französischen Kinos, kommt gleich zur Sache.

Mathieu Kassovitz: Mathieu Kassowitz drehte schon mit Halle Berry den Film "Gothika".

Mathieu Kassowitz drehte schon mit Halle Berry den Film "Gothika".

(Foto: Foto: AFP)

SZ: Ihr Film kommt in den USA und in Europa in unterschiedlichen Versionen ins Kino - warum?

Mathieu Kassovitz: Die Dreharbeiten waren ein einziger Kampf, am Ende musste ich eine Version mit viel Action und Happy End und "meine" europäische Version schneiden. Das Problem lag aber nicht nur in Hollywood bei der Twentieth Century Fox, sondern auch bei meinem französischen Produzenten, der zu feige war, mich zu unterstützen. Als er während der Dreharbeiten gefeuert wurde, musste ich ganz allein mit dem Studio klarkommen. Daher entspricht selbst die europäische Version des Films nicht meinen Vorstellungen.

SZ: Wie hätte die ausgesehen?

Kassovitz: Ich wollte einen großen Action-Film, der gleichzeitig nach der Religion, der Entwicklung der Menschheit, der Gesellschaft des Über-Konsums und dem Gefälle von Arm und Reich fragt. Ich wollte unterhalten, aber gleichzeitig die geopolitischen und philosophischen Themen des Romans von Maurice Dantec ins Spiel bringen, der die Vorlage ist. Ich liebe Actionkino, wenn es um etwas geht - und ich war so naiv zu glauben, dass ich meine europäische Sichtweise auch in Hollywood durchsetzen könnte. Das Problem ist, dass die Studios mittlerweile wie Banken geführt werden und niemand Risiken eingehen will, aber das Publikum sieht schon seit zwanzig Jahren dasselbe Mainstream-Kino und wünscht sich was anderes. Man kann in Hollywood gute Filme machen, aber man muss auch die nötige Macht haben, seine Vorstellungen durchzusetzen. Ich hatte kein Glück.

SZ: Ihre erste Regie-Erfahrung in Hollywood, bei "Gothika", scheint da glimpflicher ausgegangen zu sein...

Kassovitz: Damals verstand ich mich gut mit Joel Silver, der als der härteste Produzent in Hollywood gilt, und auch Halle Berry, die damals gerade einen Oscar gewonnen hatte, machte keine Probleme. Ich war von intelligenten Menschen umgeben - und daher ist dieses B-Movie auch gelungen.

SZ: In der Zukunftsvision von "Babylon A.D." geht um die Macht und die Manipulation der Religionen...

Kassovitz: Mich interessierten vor allem die Auswirkungen des 11. September auf die USA und den Rest der Welt. Es wurde Angst vor dem Terrorismus geschürt und seither sind wir in einer Art globalem Religionskrieg verwickelt: hier die Christen, dort die Muslime. Der Autor Dantec glaubte, dass sich die Menschen schon in naher Zukunft auf ihre nationale und religiöse Identität zurückziehen und sich der Außenwelt verschließen werden. Und daher kommen auch neue Religionen auf, die aus diesem Bedürfnis nach Schutz und Identität Kapital schlagen.

SZ: Sie stellen das Bild eines armen, korrupten, schlammigen Russland dem glitzernden Konsumtempel Amerika gegenüber. Ist dieser Gegensatz nicht überholt?

Kassovitz: Natürlich übertreibt eine Zukunftsvision wie "Babylon" die Probleme der Gegenwart. Aber: Die Russen erliegen aktuell einem neuen Größenwahn und die Amerikaner schotten sich ab. So sind die globalen Probleme nicht zu lösen. Vielleicht liegt "Babylon A.D." daher gar nicht so falsch mit seiner Prognose - auch wenn er stark vereinfacht.

SZ: Was bedeuten Ihnen die biblischen Motive in dem Film?

Kassovitz: Die Idee von der unbefleckten Empfängnis ist für mich ein Märchen. Inzwischen aber können wir die Welt so manipulieren, dass eine Jungfrau tatsächlich schwanger werden kann. Mich interessiert, wie aus dieser biblischen Fabel eine Realität wird, die religiös-politischen Gruppen zum Machtmissbrauch dient. Die Erfindung des Kreuzes als Logo und die Angst vor der Hölle waren jahrhundertelang unglaublich erfolgreiche Marketingstrategien. Damit ist die Kirche zu Macht gekommen.

SZ: Will "Babylon A.D." dieses lukrative Geschäft mit der Religion kritisieren?

Kassovitz: In meinem Film soll die Schaffung einer neuen Jungfrau ein Wunder bewirken, mit dem eine Religion sich aufwerten und in den Aktienmarkt einsteigen kann. Diese Idee ist nur ein Beispiel für etwas, was es längst gibt. Die Scientologen etwa fabrizieren eine Art Halbgott wie Tom Cruise - und benutzen ihn dann als gewinnbringende Ikone.

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