Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Hinter den Rampensäuen

Mascha Junos formidables Debüt "Uno", Katharina Kollmanns indiemelancholisches "Kommunistenlibido" und die Vielfalt der Maschinenbeats von Kelly Lee Owens.

Von Juliane Liebert

Der total inoffizielle, aber dafür mit umso mehr Vehemenz vergebene SZ-Preis für das Album der Woche geht an Mascha Juno. "Uno" ist das Debüt einer gestandenen Musikerin, die bürgerlich Maria Schneider heißt und aus Berlin kommt. Sie hat in Dota Kehrs Band gesungen und an Stadttheatern musiziert, geht bald mit Agnes Obel auf Tour und arbeitet als studierte Schlagzeugerin auch mit klassischen Orchestern zusammen.

Dieser Tage erscheinen ja viele Früchte des Lockdowns - unzählige Künstler hatten plötzlich sehr viel Zeit und taten damit eben das, was sie am besten können: Nein, nicht in Depressionen versacken, sondern Songs schreiben und sie aufnehmen. So auch Mascha Juno. Und das war höchste Zeit! Es ist ja immer wieder überraschend, wie viel Talent hinter den Rampensäuen des Popzirkus dafür sorgt, dass bei aller Show auch facettenreiche, komplex arrangierte Musik entsteht und jederzeit live reproduziert werden kann. Umso schöner, wenn eine dieser fleißigen Arbeiterinnen ihr eigenes Ding macht.

Das Album schwingt taktsicher zwischen Gitarrenschlichtheit und lässig elaborierten Songstrukturen

"Uno" beginnt mit einem mehrstimmigen, zwanzigsekündigen A-cappella-Intro: "I wont't tell you the secrets of my heart." Das stimmt, die Texte des Albums weisen ins Offene, Bekenntnislyrics gibt's hier nicht. "Better Times", der erste Song täuscht mit seiner fingergepickten Akustikgitarre dann erst einmal geschmackssicheren, wenn auch etwas konventionellen Folkpop vor, schwillt aber zum Ende plötzlich an und bricht über einem Instrumental namens "Moroccan Joy" zusammen, der seine Rhythmen schichtet und einander umspielen lässt. Hier tobt sich der Percussion-Profi aus. Aber - das ist das Tolle - heraus kommt keine verkopfte Etüde, sondern ein ungemein belebender Track unter einem Himmel voller Synthschnörkeln.

So schwingt das Album taktsicher zwischen Gitarrenschlichtheit und lässig elaborierten Songstrukturen. Es ist außerdem formidabel gesungen und produziert. Mascha Junos Stimme hält in jeder Lage warm, jedes Instrument tönt organisch. Besonders schön zum Beispiel im fünften Song, der Wiederkehr der nicht verratenen Geheimnisse aus dem Intro: "I won't tell you".

Katharina Kollmann erzählt da schon deutlich mehr. Dieser Tage veröffentlicht sie unter dem tocotronicschwangeren Alias Nichtseattle ihr zweites Album, dessen Titel ein bisschen nach Coitus interruptus klingt: "Kommunistenlibido".

Hier schmeckt das Wort Indie noch nach Freiheit - und nicht nach schaler College-Limonade

Im Vordergrund steht hier die ganz leicht angezerrte E-Gitarre mitsamt authentischem Verstärkerbrummen. An ihrer Seite natürlich Kollmanns immer einen Tick rotziger, eine Nuance verwunderter und einen Hauch traurig-brüchiger Gesang. Dazu ihre Texte. Wir sind nämlich im alten Reich der wahrhaftigen Alternativmusik, als das Wort Indie noch nach Freiheit schmeckte - und nicht nach schaler College-Limonade.

"Ich bin ein Raubtier, ich kann mich selbst regieren", lautet die erste Zeile. Ein entschlossenes, verletzliches, mutig ratloses Raubtier spricht da wohl. Denn "es gibt wirklich niemand, der hier irgendetwas weiß". Wie wohltuend, dass es mal jemand mit uralter Indiemelancholie ausspricht! Luzide Grübeleien, die Küchentischgesprächen nachts um drei abgelauscht erscheinen, liefern Nichtseattles Lyrics am laufenden Band. Bei striktem No-Bullshit-Sound. Selbst das Schlagzeug kommt höchstens mal zu Besuch. Tocotronic würden dieses Album sicher segnen.

Kelly Lee Owens liefert dagegen die Vielfalt der Maschinenbeats. Die Waliserin ist seit ihrem self-titled Debüt von 2017 eine feste Größe der elektronischen Musikszene. Wobei, "fest". Fluide wäre besser gesagt. Denn melodische Tracks mit zartem Gesang finden sich bei ihr ebenso wie minimalistischer Techno. Als Auftakt ihres letzten Albums hat sie Radioheads "Arpeggi" gecovert. Wie ein Dialog zwischen eigensinnigen monophonen Synthesizern. Auf der aktuellen LP 8 geht es schroffer zu.

Eine Hi-Hat saugt Luft ein, die Bassdrum schlägt. Monoton beginnt es, monoton geht es weiter. Owens wiederholt stoisch das Wort "Release". Erst später öffnen sich zum Aufatmen Ambientflächen. Die sind teils eisig-zerklüftet und driften auch mal Richtung Blade-Runner-Erhabenheit, aber dann bietet mit "Nana Piano" eine Montage von beruhigend knarzigen Klavierloops Schutz. Experimentalknistern und dumpfe Schläge reißen einen wieder zurück in die Fabrikhalle. Statt Richtung Pop zu marschieren, grüßt Owens alte Avantgardisten wie Throbbing Gristle und will dabei erkennbar nicht gemocht werden, sondern die Musik machen, die sich für sie gerade richtig anfühlt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5572977
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/lawe
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.