Comic:Ganz nach Gottes Plan

Comic: Kristina Gehrmann: Bloody Mary. Die Geschichte der Mary Tudor. Carlsen Verlag, Hamburg 2021. 331 Seiten, 28 Euro.

Kristina Gehrmann: Bloody Mary. Die Geschichte der Mary Tudor. Carlsen Verlag, Hamburg 2021. 331 Seiten, 28 Euro.

Kristina Gehrmann erzählt in ihrer Graphic Novel , wie Mary Tudor zur englischen Königin wurde

Von Siggi Seuss

Die Zeitreisen zu höchst unterschiedlichen Schauplätzen weltbewegender Ereignisse, die Kristina Gehrmann in den vergangenen Jahren unternommen hat, würden jeden Geschichtsunterricht beleben. Die junge Hamburger Illustratorin und Autorin folgte den Spuren von John Franklins tragischer Arktisexpedition 1845-1848, sie schlich sich in die Fleischfabriken Chicagos Anfang des 20. Jahrhunderts und dringt nun zum Herzen einer Weltmacht des 16. Jahrhunderts vor - auf der Suche nach der ersten englischen Königin, Queen Mary (1518-1558). "Bloody Mary - Die Geschichte der Mary Tudor" heißt Gehrmanns erstmals colorierte, 330 Seiten starke Graphic Novel.

Obwohl diese Zeitreisen auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, fällt den Lesern bald auf, was Gehrmanns Bilderzählungen stilistisch und inhaltlich auszeichnet: Gut getaktete Perspektivwechsel, die einem suggerieren, man würde dem Geschehen aus verschiedensten Blickwinkeln nahekommen. Ausdrucksstarke Gesichtszüge der Personen, trotz schlicht wirkender, aber präzis gesetzter Strichführung. Inhaltlich fokussiert sich die Künstlerin auf das Leben hinter den Fassaden der Menschen. Sie leuchtet selbst die dunkelsten Winkel der Charaktere aus, ihr Leid, ihren Seelenschmerz, ihre Zweifel, ihre Widersprüche, ihre Erniedrigungen.

Kristina Gehrmann vernachlässigt auch die Nöte, Ängste und Hoffnungen der armen Bevölkerung in Stadt und Land nicht.

Und sie wechselt, dramaturgisch geschickt, von intimen Blicken auf die Personen zu Ereignissen, die sie beeinflussen, aber auch zu Randerscheinungen, die die Stimmungen außerhalb des unmittelbaren Milieus wiedergeben. Im Fall von Mary Tudor ist es das gut recherchierte Leben am Hofe, sind es Einblicke in den Alltag einfacher Bediensteter, genauso wie in die Machenschaften der Höflinge und Strippenzieher in Adel und Klerus. Kristina Gehrmann vernachlässigt auch die Nöte, Ängste und Hoffnungen der armen Bevölkerung in Stadt und Land nicht. Die Frage, die sie dabei umtreibt: Wie wird Mary Tudor zu dem, was sie geworden ist? Immer wieder lässt die Künstlerin Mary selbst zu Wort kommen: "Ich bin eine Prinzessin Englands. Meine Eltern sind König Henry VIII. und Königin Katharina von Aragon. Eine gottgegebene, unveränderliche Tatsache in einer heilen, geordneten Welt: Gottes Plan!" Nur sieht der Plan in einer gänzlich unheilen Welt anders aus, als es sich das wissbegierige, fröhliche und brave Kind Mary erträumt.

Comic: Ein Blick in Kristina Gehrmanns Comic.

Ein Blick in Kristina Gehrmanns Comic.

Die Entscheidung ihres launischen Vaters, die Ehe mit Katharina annullieren und seine Tochter zur Bastardin erklären zu lassen, provoziert Marys Kämpfernatur. Sie beharrt auf ihrer Position als rechtmäßige Thronfolgerin und sie verteidigt den römisch-katholischen Glauben gegen Henry VIII., der sich zum Oberhaupt der reformierten Kirche in England erklärt und von Mary absolute Ergebenheit fordert. Nur Zurückhaltung und diplomatische Unterwürfigkeit rettet sie vor dem Tod als Ketzerin. Der wankelmütige, kränkliche Vater setzt Mary sogar wieder in die Thronfolge ein. Dass die kluge und glaubensstarke Frau auf dem Thron selbst zu einer gefürchteten Herrscherin und gnadenlosen Verfolgerin des lutheranischen Glaubens wird, ist die bittere Ironie der Geschichte, deren Hintergründe Kristina Gehrmann feinsinnig, ohne Hang zu aktionistischen Bildsequenzen ausleuchtet.

Ungewöhnlich nahe Blicke hinter die Fassaden von Menschen und Legenden - das zeichnet die Graphic Novels von Kristina Gehrmann aus. Man wünscht sie sich tatsächlich als motivierende Untermalung des Geschichtsunterrichts. Das nächste "Tudorial" ist bereits in Arbeit: das Leben von Marys Halbschwester und Thronfolgerin Elizabeth I. (ab 10 Jahre)

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