Martin Suter: Allmen und die Libellen:Herr mit Handschuh

Allmen ist ein Virtuose des Schuldenmachers, seit sein Geld ihm abhanden gekommen, sein aufwändiger Lebensstil ihm aber geblieben ist. Martin Suter hat ihn und seinen Butler zu Helden seiner neuen Krimiserie gemacht.

L. Müller

Das Jahr ist noch jung, draußen legt es der Schneematsch darauf an, wieder zu rutschigem Eis zu werden - was gibt es da Schöneres, als auf dem Sofa zu liegen und bei einer Tasse Tee einen entspannenden Kriminalroman zu lesen? Sicher, alle Kriminalromane sind am Ende entspannend, aber dieser, den das neue Jahr mitgebracht hat, ist es nicht nur am Ende.

Campbell Cotts

Allmen hat einen Butler, obwohl er sich auch den wahrscheinlich gar nicht leisten kann. Mit ihm aber klärt er nun bei Martin Suter Fälle auf.

(Foto: Getty Images)

Wer sagt eigentlich, scheint sich der Autor nämlich gedacht zu haben, dass ein Kriminalroman den Leser fesseln muss? Ist es nicht viel charmanter, wenn er dem Leser eine eher schwebende Aufmerksamkeit zugesteht und auch abschweifende Gedanken nicht übelnimmt, statt ihn zum Luchs zu machen, der überwach auf alle Hinweise lauert, die zur Auflösung des Falles führen könnten?

"Allmen schlief noch, als Carlos ihm den Tee brachte." Carlos ist ein virtuoser ehemaliger Schuhputzer aus Guatemala, der keine englische Herkunft braucht, um als geborener Butler durchzugehen. Allmen ist der Held des Romans. Er heißt mit vollem Namen Johann Friedrich von Allmen, aber obwohl ihn Gianfranco, der Kellner des "Viennois", scherzhaft "Conte" nennt, hat er - gut schweizerisch - bäuerliche Vorfahren, die noch Hans und Fritz hießen. Sein Vater ist durch Grundstücksspekulationen reich geworden und hat ihm ein Millionenvermögen hinterlassen. Die Millionen sind dem Sohn rasch abhandengekommen, aber der aufwendige Lebensstil, durch den sie ihm abhandengekommen sind, ist ihm geblieben.

So ist er zum Virtuosen in der Kunst des Schuldenmachens geworden, genießt lebenslanges Wohnrecht im Gartenhaus der ehemals eigenen Villa, die nun einer Treuhandfirma gehört, und führt das Leben eines Müßiggängers, der seine Vormittage im "Viennois" verbringt, sich nachmittags eine halbe Stunde hinzulegen pflegt und abends in der Goldenbar anzutreffen ist. Es sei denn, er ist auf einer Zauberflöten- oder Madame-Butterfly-Premiere. Denn er hat nur das eine seiner beiden ererbten Opernpremierenabonnements lukrativ untervermietet.

Der Schweizer Schriftsteller Martin Suter hat diesen Privatier, der das köstlichste aller Glücksgefühle im "Lebenschwänzen" findet, samt seinem spanischsprechenden Butler als Helden einer künftigen Krimiserie erfunden. Hier, bei ihrem ersten Fall, "Allmen und die Libellen", sind sie noch Novizen, Anfänger, und der Autor wacht mit rührender Umsicht erstens darüber, dass der Fall nicht allzu knifflig ist, und zweitens darüber, dass ihnen bei der Auflösung nicht allzu viel geschieht.

Bei den Libellen handelt sich um fiktive Doppelgänger der in der wirklichen Schweiz am 27. Oktober 2004 bei einem Einbruch im Château Gingins geraubten, bis heute nicht wieder aufgetauchten kostbaren fünf Glasschalen mit Libellenmotiven des bedeutenden Jugendstil-Künstlers Émile Gallé. Martin Suter spielt diese kostbaren und entsprechend hochversicherten Schalen seinem Helden in der väterlichen Villa der platinblonden, sexhungrigen Opernbekanntschaft Jojo in die Hände. Ja, er hetzt ihm die Dame regelrecht auf den Hals. Aber da sie weder den Helden noch den Autor noch den Leser fesselt, kann sie hier außer Betracht bleiben.

Für die Überführung des Mörders gänzlich nutzlos

Allmen hat immer schon Art déco und Jugendstil gesammelt, aber das hier ist eine Nummer größer als die Sachen, die er bisher angekauft und - wegen der Schulden - verkauft oder - wegen der Schulden - gelegentlich auch entwendet hat. Immerhin sitzt bald ein Antiquitätenhändler erschossen und ohne Gesicht in seinem Laden. Das aber kann dem Helden nicht passieren. Denn sollte jemand den Umstand ausnützen, dass die im ehemaligen Gewächshaus der Villa untergebrachte Bibliothek des passionierten Lesers Allmen aus Glas ist und aus dem Garten heraus auf ihn anlegen, dann wären da immer noch die aus breitem Messing gefertigten Verstellschnallen der vom selben Schneider wie sein Anzug gefertigten Hosenträger, an denen die Kugel unweigerlich abprallen würde.

Während also der Fall gemessenen Schrittes seiner Auflösung entgegengeht, kann sich die freischwebende Aufmerksamkeit des Lesers den Details zuwenden, die für die Überführung des Mörders gänzlich nutzlos sind. Der schönen Fürsorge zum Beispiel, mit der sein Autor sich darum kümmert, dass Allmen, nachdem er den Laden des toten Antiquitätenhändlers verlassen hat, nicht befürchten muss, Spuren hinterlassen zu haben: "Allmen zog die Handschuhe aus. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er die ganze Zeit Handschuhe getragen hatte." Oder dem Unbehagen, das Allmen in modernen Autos erfasst. Er krönt seine durchgestylte Retro-Existenz - zur Oper fährt er in einem gemieteten 1978er Fleetwood Cadillac -, indem er lässige Distanz zu allem Elektronischen wahrt. Computer und Internet delegiert er an Butler Carlos. Als professionelle Wiederbeschaffer verlorener schöner kostbarer Dinge wollen die beiden zu Serienfiguren werden. Man kann nur hoffen, dass sie dem technologischen Niveau des aktuellen Kunst- und Antiquitätengeschäfts und seiner dunklen Seiten gewachsen sein werden.

Der Vielleser Allmen liest Honoré de Balzac, Somerset Maugham und Georges Simenon (sie alle erscheinen auch bei Diogenes) und einen Krimi von Elmore Leonard. Da er Stammgast in Antiquariaten ist, wäre auch ein Krimi von John Dunning Allmen sehr zu empfehlen. Dunnings Cliff Janeway gerät als leidenschaftlicher Antiquar in die Fälle hinein, die ihn, den Ex-Cop, zum Ermittler machen. Für Janeway gilt das Gesetz, das Suter seinem Helden vorerst erspart hat: Dass auch ein Liebhaber der schönen alten Dinge es im Kriminalroman nur zu etwas bringt, wenn er in den Clinch mit der Gegenwart geht und dem Leser während der Lektüre der Tee kalt wird.

MARTIN SUTER: Allmen und die Libellen. Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2010. 208 Seiten, 18,90 Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: