Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf Martin Schloemann:Heute noch ein Apfelbäumchen

Früh forschte er an der Verbindung von evangelischer Frömmigkeit und ökologischem Problembewusstsein: Der Theologe Martin Schloemann ist gestorben.

Von Martin Ohst

Den deutschen Protestantismus haben nach dem Zweiten Weltkrieg offene und untergründige Spannungen zerfurcht. Darin wirkte der Kirchenkampf der frühen NS-Zeit fort. Da hatte der Theologe Martin Schloemann, wie manche Angehörige seiner Generation, das Glück, entscheidende Impulse im Ausland zu empfangen: Er studierte einige Semester im südschwedischen Lund - dort steht eine mittelalterliche Kopie des Doms zu Speyer -, und bald darauf wirkte er als Pastor an der Deutschen Kirche in der Altstadt von Stockholm. Es entstanden familiäre Bindungen, die ein Leben lang hielten, und die kirchlichen wie akademischen Beziehungen zwischen Deutschland und Skandinavien blieben Schloemann ein Herzensanliegen.

Von der freieren theologischen Diskussionskultur im Norden profitierte auch sein wissenschaftliches Werk: Eine gesunde Distanz ist der 1961 publizierten Dissertation über "Natürliches und gepredigtes Gesetz bei Luther" anzumerken. In der euphorischen Gründungsphase wurde Schloemann dann Assistent an der Beton-Universität Bochum. Dort hatte damals die philosophie- und theologiegeschichtliche Forschung zur frühen Aufklärung eine Blüteperiode. Schloemanns Habilitationsschrift, gedruckt 1974, widmete sich dem Hallenser Theologen und Wissenschaftsorganisator Siegmund Jacob Baumgarten (1706-1757). Dieser war der Bruder des wegen seiner "Ästhetik" bekannteren Philosophen Alexander Gottlieb Baumgarten. An ihm konnte Schloemann zeigen, wie das Erbe der altprotestantischen Orthodoxie sowie des Pietismus gleitend in die Aufklärungstheologie überging. Auf diese Pionierleistung beziehen sich Fachleuten bis heute.

Als Lehrer und Förderer des Nachwuchses war er geschätzt

Weite Beachtung fand Schloemanns 1973 publizierte Vorlesung über den "Wachstumstod". Die Frage war: Wie verhalten sich Öko-Katastrophe und christliche Apokalypse zueinander? Er wurde damit zum frühen Protagonisten der Verbindung zwischen evangelischer Frömmigkeit und ökologischem Problembewusstsein. Die politische Entwicklung der Umweltbewegung und deren Wirkungen auf die evangelische Kirche betrachtete er allerdings aus kritischer Distanz.

Bald nach seiner Habilitation wurde Schloemann an die damalige Bergische Gesamthochschule Wuppertal berufen, wo er als Lehrer und Förderer des Nachwuchses geschätzt war. In seiner Antrittsvorlesung erklärte er, wie das fälschlich Martin Luther zugeschriebene Trost-Wort "Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen" als ein Produkt des 20. Jahrhunderts zu verstehen ist - ein mentalitätsdiagnostisches Kabinettstück aus theologischer Perspektive, das er als "Pomologe" (Apfelforscher) später zur Monografie ausbaute. Am 27. Januar ist Martin Schloemann im Alter von neunzig Jahren in Bochum gestorben.

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