Süddeutsche Zeitung

Martin Mosebach wird 70:Kommunist für drei Tage

Zu seinem 70. Geburtstag: Wie katholisch ist Martin Mosebach als Schriftsteller?

Von Gustav Seibt

Dem Schriftsteller Martin Mosebach, der am 31. Juli seinen 70. Geburtstag feiert, hat es an einsichtsvollem Zuspruch nicht gefehlt. Die Liste seiner Loberinnen und Lober ist dabei so heterogen, dass auch Skeptiker neugierig werden sollten. Robert Gernhardt, Brigitte Kronauer, Eckhard Henscheid, Navid Kermani, Michael Maar: Wer solche Bewunderer hat, braucht vielleicht nicht einmal mehr große Preise, die Mosebach allerdings auch bekam, darunter den Büchnerpreis.

Doch kontrastiert dieser solide Ruhm mit unübersehbaren Reserven bei der professionellen Literaturkritik. Mosebach blieb bis heute nie unumstritten, nicht wegen politisch-weltanschaulicher Provokationen, sondern wegen gewisser äußerer Signale, die sein Verhältnis zur Gegenwart anzeigen. Die Stichworte lauten "Einstecktuch" und "Katholizismus", sie betreffen, in durchaus willkürlicher Zusammenstellung, den Habitus und den Glauben. Dabei ist der Letztere hier keine Frage des Habitus, also gar kein "Feuilletonkatholizismus", sondern wirklich Religion. Beides verweist auf eine Ferne zur Gegenwart, ein Nichtdabeisein, das offenbar provokanter ist als einzelne Meinungsäußerungen. Was dann auch erklärt, warum sein Fall anders liegt als der von Handke, Walser oder Botho Strauß, denen man konkrete Ansichten übelnimmt, während Mosebach bisher auch mit Provokationen ohne langes Debattengewitter durchgekommen ist. Warum auch einen Autor öffentlich maßregeln, der ohnehin nicht mitspielen mag? Denn Mosebach separiert sich ja auch nicht einmal privatreligiös-feintuerisch; er bleibt weltnah unbeeindruckt bei sich.

Wie katholisch ist der Schriftsteller Mosebach? Dass es die Person ist, bleibt unübersehbar, Mosebach ist eine der geistreichsten Stimmen des Katholizismus, beißend kritisch gegen seine heutige Gestalt, ultramontan, dem römischen Mittelpunkt verpflichtet, in einem historischen Sinn. Dazu gibt es Bücher, Essays und Interviews in Menge, am bekanntesten die Verteidigung der tridentinischen Messe in "Die Häresie der Formlosigkeit".

Realismus ist für Mosebach ein nur durch Sprache identifizierbarer Blick auf die Welt

Zugleich aber hat Mosebach Weltanschauungsliteratur, die die Wirklichkeit nach Meinungen filtert, immer abgelehnt, ohne deren vorübergehende Wirksamkeit zu leugnen. Die Lektüre von Émile Zolas Roman "Germinal" habe ihn für ein paar Tage zum Kommunisten gemacht, bekannte er. Die Privatreligiosität des katholischen Dichters Stefan George hat er scharfsinnig als Sackgasse analysiert und im Gegensatz dazu das Katholische bei James Joyce und Marcel Proust, zwei fast areligiösen Portalfiguren des modernen Romans, herausgearbeitet.

In Prousts Teegebäck Madeleine eine Hostie wiederzuerkennen, die beim Eintauchen in eine Tasse Tee Kaskaden von Erinnerungen auslöst so wie Brot und Wein im Abendmahl die Gegenwart des Herrn bezeichnen, mag noch naheliegen; kühner ist der Anspruch von James Joyce, aus unbearbeiteten sprachlichen Fundstücken des Alltags Kunst zu gewinnen. Auch das ist eine sublimierende "Wandlung", die für Mosebach immer noch am Geheimnis des Glaubens teilhat.

Mosebach hat also eine Poetik, und ihr Kronzeuge ist nicht das Dogma, sondern der Literaturhistoriker Erich Auerbach. Auerbach hat die nachantike europäische Literatur in der Verschmelzung der in der Antike getrennten Stilgattungen des Erhabenen und des Niedrigen oder Komischen (sermo sublimis und sermo humilis) begründet. Tragödie und Komödie fanden in der Prosa von Novelle und Roman zusammen und eröffneten so einen Blick auf die Totale von Welt und Gesellschaft. Der Sohn Gottes wird in einem Tierstall geboren, und datiert wird die Geschichte nach einem Kaiser. Das ist schon modern. Realismus ist für Mosebach aber kein journalistisch recherchierter Naturalismus, keine statistisch-fotografische Abschilderung, sondern die Darstellung einer bestimmten Erlebnisweise, ein unwillkürlicher Blick auf die Welt, der nur durch die Sprache identifizierbar ist. Beschreibung von Wirklichkeit in Worten gehört zu den Verwandlungen in etwas Geistiges, das von Ferne immer mit der Wandlung der Messe korrespondiert.

Die sinnliche Präsenz der Romane ist betörend, er schildert Menschen, Gesten, Dinge leuchtend genau

Zugleich erkennt Mosebach in der biblischen Auslegungsmethode, die Altes und Neues Testament in Bezügen liest, den Vorschein der Möglichkeit, empirische Wirklichkeit symbolisch durchsichtig zu machen. Die subtilen Motivketten moderner Romane bedienen sich einer assoziativen Bezugstechnik, die beispielsweise in der Josephs-Geschichte eine Vorahnung von Tod und Auferstehung Jesu Christi erkennt, wie es der von Mosebach nicht besonders geschätzte Thomas Mann nach ältesten Vorlagen ausgearbeitet hat. Doch in einer weiteren Wendung hat sich Mosebach auch von der Pedanterie solcher Verfahren wieder abgewandt - die Ferne zu Thomas Mann ist keine Geschmacksfrage. Er feiert als Leser und als Autor immer wieder die deutungslose Wirklichkeit, die nichts als sie selbst bedeutet - es genügt, dass sie sich im Wort inkarniert hat. "Mit der Vorstellung der Inkarnation, diesem christlichen Schlüsselbegriff, ist es verbunden, dass der sich inkarnierende Geist durch die Materie, in die er sich verkörpert, neue, sein Wesen bereichernde Eigenschaften erhält. Wahrheit ist Gestalt und nicht Doktrin."

Und hier nistet auch das Geheimnis, das den Leser aus Mosebachs vielen Romanen immer wieder anspringt. Ihre sinnliche Präsenz ist betörend, kaum jemand kann Menschen, ihre Gesten, Kleidungen, Umgebungen, aber auch Dinge und Tiere aller Art so leuchtend genau schildern, reicher jedenfalls als Peter Handke mit seiner Polemik gegen Beschreibungsinsuffizienz. Zugleich gehen diese Schilderungen nie in einer erzählerischen Funktion auf; Mosebachs Schreiben ist nicht funktionalistisch-hierarchisch, es hat etwas breit Hingelagertes, üppig Malerisches, wie holländische Landschaften oder Hintergründe bei Tizian.

Da er, je später desto mehr, auch Interesse für die technischen Benutzungsoberflächen unserer Gegenwart entwickelt hat - wer verschafft Smartphones bessere Auftritte? -, zugleich für ihre Kleidermoden und Umgangsformen, wird von Buch zu Buch ein immer lustigeres Fresko unserer Zeit daraus. Seine Heldinnen und Helden sind überwiegend zweifelhafte, dubiose Figuren, oft gescheiterte Existenzen, Pleitiers, Leute mit unklaren Finanzquellen und prekären Lebenslagen, eine ins Reiche und Schöne transponierte Henscheid-Welt. Auch darin ist er so unprotestantisch wie nur möglich, der calvinistische Triebverzichtler hat den Romancier Mosebach nie gereizt.

Und damit ist noch nicht einmal die auffälligste Eigenschaft von Mosebachs Romanen benannt, ihre durchgehende planetarische Multipolarität. Sie bewegen sich wie selbstverständlich zwischen Frankfurt, Indien, Anatolien, Ägypten, Marokko. Dabei bewähren sie eine weltreligiöse Musikalität, die das beste Gegengift zu den heutigen Kulturkämpfen darstellt. Mosebach war imstande, ein Buch über koptische Märtyrer, die der "Islamische Staat" niedermetzeln ließ, zu schreiben, ohne einen einzigen der heute üblichen islamfeindlichen Töne anzuschlagen. Die weiträumige Welt, die dieser Schriftsteller bewohnt, hat ihn zu einem freien und witzigen Zeitgenossen gemacht. Unter den heute lebenden Autoren gibt es jedenfalls kaum einen zweiten, dem man so mühelos zutraut, sich in den geistreichen Salons des 18. Jahrhunderts zu behaupten. Denn natürlich kommt dieser intellektuelle Katholizismus am deutlichsten zu sich selbst im Kontakt mit allem, was ihm widerstrebt. Der Zeitfremdling malt die deutlichsten Bilder der Gegenwart.

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