Neuer Marsupilami-Comic:Düster bis Dada

Neuer Marsupilami-Comic: Armes Tier! Das Marsupilami, wie es Zidrou und Frank Pé in "Die Bestie" sehen.

Armes Tier! Das Marsupilami, wie es Zidrou und Frank Pé in "Die Bestie" sehen.

(Foto: Frank Pé/Carlsen Verlag, Hamburg 2021)

Das gelb-schwarz getupfte Fabelwesen wird kommendes Jahr 70: Der Carlsen-Verlag würdigt das bizarre Tier mit einem grandiosen Comic.

Von Gerhard Matzig

Lauren Bacall und Humphrey Bogart treiben es in der Badewanne. A tergo. Wie die Biberratten im Liebesdelirium. Was allerdings daran liegt: Lauren und Humphrey sind Biberratten im Liebesdelirium. Kopulierende Biberratten in der Badewanne: Die entzückende Sexszene ist auf Seite 52 des auch sonst tierischen Comics "Marsupilami: Die Bestie" zu sehen. Versehen mit dem onomatopoetischen "Splich, Splotch" der überschwappenden Badewanne und etlichen Herzchen. Wie in einer Sprechblase. Es ist eine Groteske auf Hardcore und Romantik in einem.

Es wäre allerdings ein Irrtum, wollte man nun annehmen, dass dieser Comic von Zidrou und Frank Pé nur explizit Überzeichnetes bietet. Er erinnert aber doch einige Male daran, was die Freiheit im Comic bedeutet: Grenzen sind in einem Universum streng begrenzender Bildzuschnitte und limitierender Sprechblasen dazu da, mit Hilfe der Fantastik überwunden zu werden. Der Comic hat im Idealfall ein anarchistisches Potenzial. Er ist, wenn er glückt, so viel mehr als die Summe seiner Bildchen. "Die Bestie" macht von diesem Überschuss lustvoll Gebrauch.

"Ein feiger Igel! Ein Truthahn, der sich für einen Hahn hält! Eine senile Natter! Ein halbseitig gelähmtes Kaninchen. Ein alkoholkrankes Pferd! Ein rund um die Uhr brünstiges Biberrattenpärchen ... Es fehlt nur noch ein Einhorn und unsere Arche Noah wäre voll belegt!!" Das sagt Jeanne, die Mama von François. Der eigentlich Franz heißt, nach dem Vater, der als Soldat der deutschen Wehrmacht außer einem bis zum Herbst 1944 von deutschen Truppen besetzten Belgien auch diesen staunenswerten Jungen mit einer großen Zuneigung zu irgendwie hilfsbedürftigen Tieren zurückgelassen hat.

Und dazu eine Frau, Jeanne, als "Fräulein" van den Bosche, die zusammen mit ihrem Sohn Franz und einem halben Zoo der Bedürftigkeit in einem windschiefen Ziegelsteinhäuschen am Rande von Brüssel und sozialer Isolation lebt. Sie arbeitet auf einem Fischmarkt als Muschelverkäuferin. Man lebt bei den vaterlosen van den Bosches in ihrer anrührend reichen und zugleich karg wirkenden Menagerie von der Hand in den Mund. Einigermaßen glücklich und ziemlich allein im 50er-Jahre-Elend und der sittsam-verlogenen Tristesse der Nachkriegszeit. Die verlassene Nazi-Braut: klar, dass der kleine Sohn in der Schule vor allem gemobbt wird. Etwas Düsteres liegt auf dem Comic.

Neuer Marsupilami-Comic: Zidrou, Frank Pé: Marsupilami: Die Bestie. Aus dem Französischen von Marcel Le Comte. Carlsen Verlag, Hamburg 2021. 156 Seiten, 25 Euro.

Zidrou, Frank Pé: Marsupilami: Die Bestie. Aus dem Französischen von Marcel Le Comte. Carlsen Verlag, Hamburg 2021. 156 Seiten, 25 Euro.

Bis ein Marsupilami und somit das Abenteuer nach Belgien kommt. Gefangen in Palumbien von Chahutas-Indianern. Verkauft an Tierhändler. Wobei das exotische Tier - verletzt, halb verhungert und verängstigt - nach einer dramatischen Überfahrt im Hafen von Antwerpen entkommt. So schleppt sich das vielleicht einen Meter große Tier im gelben Fell, das schwarze Punkte zeigt, und dessen bis zu acht Meter langer Schwanz Superkräfte birgt, bis nach Brüssel. Wo Franz das Tier, dem Tod näher als dem Abenteuer, sogleich nach Hause bringt. In die Menagerie. Wo liebestrunkene Biberratten leben, ein alkoholkranker alter Gaul und, laut Jeanne, "die einzig tagaktive Fledermaus der Welt".

Das Marsupilami hat sich ursprünglich der Zeichner und Autor André Franquin (1924-1997) ausgedacht. Als lustiges Fantasiewesen, das der Comic-Serie "Spirou und Fantasio" entstammt und so erfolgreich wurde, dass es später eine eigene Reihe erhielt. 1952 war das pelzige Punkteding, das sogar ein wenig sprechen kann - also wirklich sehr wenig: "Houbi? Houba, houba hopp!" -, zum ersten Mal zu sehen. In "Marsupilami: Die Bestie" wird nun die Vorgeschichte erzählt.

Das Comic-Tier darf hier mal richtig Tier sein

Seit "Star Wars" ist das Prinzip der Vorgeschichte, die man im Nachhinein erzählt, weil ja nie irgendetwas Erfolgreiches je zu Ende und noch weniger zu Anfang erzählt sein darf, hinreichend etabliert. In diesem Fall aber gelingt den belgischen Comic-Artisten Zidrou alias Benoît Drousie und Frank Pé, beide kommen aus der Comicwelthauptstadt Brüssel, mit ihrem ersten Teil eine sensationelle Hommage an das Ur-Marsupilami. Der zweite Teil soll Ende nächsten Jahres erscheinen - dann wird das Marsupilami 70, das in Deutschland seit den Sechzigerjahren im Kauka-Verlag herumalbert, unter anderem in den "Fix und Foxi"-Heftchen.

Der neue Comic ist im Vergleich mit den eingedeutschten Kokomiko-Abstrusitäten aber tatsächlich etwas anregend Neues. Gewagt wird nämlich ("Die Bestie") ein Blick auf die dunkle Seite des Marsupilami-Universums. Dorthin, wo das Comic-Tier noch etwas tierischer, ursprünglicher und weniger comichaft im Sinne des Komischen sein darf; dorthin auch, wo es im Leben etwas schattiger zugeht, etwas düsterer, realistischer - und dennoch: aufregend, spannend, bisweilen heiter dadaistisch.

Der Comic über die Bestie, die alles andere als bestialisch ist, die aber viel erzählt von den Sphären, die Mensch und Tier trennend einigen und einigend trennen, ist bestechend in Schrift und Bild, in Erzähl- und Zeichenkunst. Und übrigens geht es eigentlich ja um die Liebe. Einmal heißt es wie nebenher: "In bewegten Zeiten haben unsere Herzen nur einen Wunsch: dass man sie anfacht wie eine Feuersglut." Das sagt der schüchtern verliebte Mann, der das Lachen sammelt - wie andere Leute Tiere.

Wenn das auf See havarierte Schiff mit mächtig aufragendem Bug festmacht am Hafen in düsterer Regennacht, dann gelingt auf Anhieb ein atmosphärisch so dichtes Bild, dass man am liebsten jedem daherklatschenden Regentropfen einzeln nachspürt. Die Abfolge von suggestiv räumlichen, theatralisch aufgeladenen Großszenen und liebevollen Details rhythmisiert den Band, der allmählich vom Comic zum Buch wird. Der Strich, in belgischer Tradition, aber nie ohne Eigensinn, macht die Charaktere in allen Schattierungen lebendig - unterstützt von ökonomisch skizzierten, zugleich komplexen Figuren, die im Verlauf der Erzählung immer plastischer hervortreten.

Dabei lohnt es sich, auf Details zu achten. Wenn sich zum Beispiel die Haushälterin des Lach-Sammlers und Lehrers Boniface, sie heißt Paulette, zarte Hoffnungen darauf macht, bald eine verheiratete Boniface zu sein, dann ist ihre Mimik das eine - und wie sie dabei so sehnsüchtig wie entschlossen mit der Serviette den Serviettenring penetriert: Das ist das andere.

Am Ende vom ersten Teil sitzt Jeanne mit dem alkoholkranken Gaul vor dem windschiefen Häuschen in dunkler Nacht. Sie trinken Bier. Jeanne sagt: "... und dann werden wir schon sehen!" An dieser Stelle springt man auf und will, dass es sofort 2022 ist. Und ebenfalls sofort will man ein Marsupilami zum Freund.

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