Neues Album des Hiop-Hop-Duos "Marlowe":Altmodisch schön

Neues Album des Hiop-Hop-Duos "Marlowe": Knistern, stottern, kratzen: Produzent L'Orange (li.) und Rapper Solemn Brigham sind "Marlowe".

Knistern, stottern, kratzen: Produzent L'Orange (li.) und Rapper Solemn Brigham sind "Marlowe".

(Foto: Mello Music Group)

Knistern, stottern, kratzen: L'Orange und Solemn Brigham feiern als "Marlowe" den Oldschool-Hip-Hop.

Warum loopt man überhaupt Samples? Wenn man die Art Musikhörer ist, der ewig bestimmte Stellen in seinen Lieblingssongs zurückgespult hat, ist die Antwort klar: Man loopt, um die schönsten Stellen seiner Lieblingslieder immer wieder zu hören. Und durch die Manipulation aktiv an ihnen teilzunehmen. Und so produziert L'Orange. Traditionsbewusst, aber nicht nostalgisch. Von der Lust am Klangmoment motiviert.

Sein neuestes Werk, "Marlowe 2", ist gerade unter dem Namen Marlowe erschienen. Marlowe besteht aus L'Orange als Produzenten und dem Rapper Solemn Brigham. Sie veröffentlichen bei Mello Music Group, dem Label, bei dem auch Georgia Anne Muldrows letztes Album erschienen ist. Mello Music Group ist derzeit eines der interessantesten Independent-Hip-Hop-Labels.

Songs beginnen oft mit kurzen Sprachfetzen aus uralten Filmen

"Marlowe 2" ist nervöser und etwas weniger transparent als der Vorgänger. Diesmal sind es Raps und Beats, an denen man hängen bleibt: Der Wechsel etwa vom Gitarrengestotter zum staubigen Orgelsound in "Small Business". Oder wenn Solemn Brigham in "Future Power Sources" über einen Basston powerrappt, bis sich die Spannung in einer Scratch-Session löst. L'Oranges Markenzeichen: Von ihm produzierte Tracks beginnen oft mit kurzen Sprachfetzen aus uralten Filmen: "Ich wollte nur die Stadt wiedersehen", seufzt eine Frauenstimme, "und ich will sie nur noch ein einziges Mal sehen, bevor ich sterbe!"

Diese Einwürfe rahmen die Tracks, sie knistern und machen neugierig: Als hätte man als heimlicher Gast in einen Kinosaal gelugt und nur wenige Momente erhascht, bevor man rausgeworfen wurde, während sich die Geschichte im eigenen Kopf weiterspinnt. Komischerweise vertragen sich die beiden Dramatiken des Albums - die Filmdramatik und die Rapdramatik - sehr gut. Sie gehen ineinander über und beleben sich gegenseitig.

Diese Musik steckt voller Liebe zu alten Platten

Das liegt auch daran, dass L'Oranges Produktionen eine Hommage an die Musikgeschichte sind. Doch obwohl die Tracks voller Liebe zu alten Platten stecken, verlieren sie sich nicht in Nostalgie, sie heben die zeitliche Distanz einfach auf. Für L'Orange ist jede Musik heutig: alte Jazz-Aufnahmen genau so wie die technisch eindrucksvollen Raps von Solemn Brigham.

Wie Eminem hat auch Solemn Brigham einen hohen Wortdurchsatz und beeindruckende Reimfähigkeiten. Eminem hat seinen Erfolg aber auch zu einem guten Teil seinen Provokationen zu verdanken - in den vergangenen Jahre hechelte er hinterher, wie ein einstiger Olympiasieger, der es unbedingt noch mal wissen will. Solemn Brigham dagegen rappt fast schon akademisch gut, immer im Beat, groove-sensibel, souverän. Ohne billiges Gangstergehabe. Aber vor allem hat die technische Brillanz bei ihm nichts von Leistungssport, sie ergänzt sich mit L'Oranges Produktion zu einer Feier der altmodischen Schönheit von Hip-Hop, so ernst wie leichtfüßig (und völlig zeitgemäß!)

Was bloß mal wieder zeigt, dass in der Reihe hinter den großen Stars nicht nur verwaltet, in stolzem Nischendasein avantgardistisch herumgespielt und den Mutterboden für die nächsten Stars bereitet. Sondern ständig Kleinode entstehen. Das Reservoir der Schönheiten immer neu gefüllt wird. "Marlowe 2" ist Musik, bei der man die Freude an der Sache zurückgewinnt, wenn einem vor all den Hypebeats und Twitterkings und sonstigem Aufgeregtheiten die Lust an allem, was mit Kunst zu tun hat, zuweilen zu vergehen droht.

Besonders ist auch die Haltung, mit der Marlowe Musik machen. Dass man immer wieder an Klangschnipseln hängen bleibt, als würde man auf dem Musikozean treiben und hin und wieder wunderliches Treibgut auflesen. Von Sonne und Salzwasser gebleicht, aber deshalb nur umso hübscher.

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