Corona-Rhetorik:Markus Söders Hiob-Moment

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"Ich war manchmal am Rande der Verzweiflung": Markus Söder vor zwei Jahren in der Wallfahrtskirche Maria Vesperbild bei Ziemetshausen. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Als er "Riesensorgen" wegen der Pandemie hatte, hat Bayerns Ministerpräsident "auch gebetet", sagt er.

Von Johan Schloemann

"Ich habe vor Weihnachten Riesensorgen gehabt, wie es weitergehen wird. Wie entwickeln wir uns? Wird es ein ganz trostloses Jahr? Ich war manchmal am Rande der Verzweiflung (...) Ich habe auch gebetet in der Zeit."

Das hat Markus Söder am Sonntag bei " Anne Will" gesagt, als Schlusssegen am Ende der Talkshow. Da fuhr ein Schrecken durch das säkulare Berlin, durch die Gesichter der Politiker, die gerade noch über Schnelltests und Stufenpläne diskutiert hatten.

Der Schrecken war ein doppelter: Auf der Oberfläche stand die Frage im Raum, wie man es wagen kann, mit so einem peinlich intimen Registerwechsel den Bereich rationaler Verantwortlichkeit zu verlassen. Weiter unten aber, im Herzen, besagte der Schrecken: Die Formel "Auf Sicht fahren" könnte möglicherweise die ganze Zeit bedeutet haben, dass nur noch Beten hilft.

Solch ein Einbruch des Religiösen wird heute nicht bloß als sentimentale Schwäche empfunden, sondern als Ausdruck des Kontrollverlusts - sollten nicht die apokalyptischen Reiter der Endzeit laut Bibel die Macht haben, "zu töten mit Schwert und Hunger und Pest und durch die wilden Tiere auf Erden"? Und wie immer, wenn Politik und Glauben sich treffen, entsteht hier das klassische Problem: Ist es Heuchelei? Oder ernst gemeint? Und was wäre schlimmer?

Ruft er die höhere Macht nur in seinen dunkelsten Stunden an?

Der Hiob-Moment des bayerischen Ministerpräsidenten lässt manches offen. Die einen werden es gar nicht so genau wissen wollen und lieber schnell darüber hinweghören; die anderen fragen sich: Ruft Söder die höhere Macht denn immer nur in den dunkelsten Stunden an? Heißt "auch gebetet", dass das sein letztes, sein äußerstes Mittel ist? Müsste ein Münchner Regierungschef, der gern seine christliche Frömmigkeit zeigt, nicht täglich den Draht nach oben aufnehmen? Und: Hat er auch schon mal mit Viola Priesemann gebetet?

Markus Söder hat die Bibel als Hörbuch im Handschuhfach seines Dienstwagens liegen, das durften die Söder-Biografen und SZ-Kollegen Deininger/Ritzer, diese ungläubigen Thomasse, einmal leibhaftig überprüfen. Söder ist fränkischer Protestant, war in der Landessynode, hält gern Gastpredigten, hat sich aber sehr geschickt integrativ mitkatholisiert, als er die Thron-und-Altar-Stelle in Oberbayern übernommen hat, und in Rom gleich beide Päpste besucht, den Herz-Jesu-Sozialisten und den emeritierten Hardliner. Und genauso wandlungsfähig ist auch Söders politische Theologie, wie immer schon die CSU: vom orbánesken Kruzifix-Kämpfer hin zum Weichen, Gnädigen. Auch hier weiß der Rest der verwirrten Republik wieder nicht, was man besser finden soll: Früher waren zugeschaltete CSU-Chefs angriffslustig und besoffen. Heute sind sie andächtig.

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