Markus Lüpertz in der Oper:Ein Fest der Fantasie

'La Bohème' am Staatstheater Meiningen

Markus Lüpertz inszeniert Oper genauso, wie er seine Bilder malt. Nur die Sänger bewegen sich dabei - ohne je zu Opernhelden zu werden.

(Foto: Martin Schutt/dpa)

Ausflug eines Großkünstlers: Der 80-jährige Markus Lüpertz gibt am Staatstheater Meiningen mit Giacomo Puccinis "La Bohème" sein Debüt als Opernregisseur.

Von Egbert Tholl

Nun ist das Genie also herabgestiegen in die kleine Stadt im Süden Thüringens, und der Rummel ist enorm. Dabei hat das Theater in Meiningen seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts immer wieder für Furore gesorgt, hier erfand ein theatervernarrter Herzog das moderne Regietheater, hier dirigierte 2001 der damals 29-jährige Kirill Petrenko Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen". Aber einen Großkünstler, der im Alter von 80 Jahren sein Debüt als Opernregisseur gibt, noch dazu mit einer der bekanntesten Opern überhaupt, Giacomo Puccinis "La Bohème", das hat man hier noch nicht erlebt. Bühne frei für Markus Lüpertz!

Bevor man des Meisters Werk in Augenschein nehmen kann, wird zur Pressekonferenz gebeten, mindestens zwei Fernsehteams sind anwesend. Der Meininger Intendant Jens Neundorff von Enzberg stellt die Fragen, und Lüpertz sagt teilweise wortwörtlich das, was er vor Wochen einer Reporterin und einem Reporter dieser Zeitung erzählte, als die den Probenprozess beobachteten. Erst einmal geht es um die Rettung der Kunst. Was auf den Bühnen derzeit passiere, finde er fragwürdig, viel zu viel Realität: "Wenn ich die Leute auf der Straße sehe, reicht mir das." Er wolle ein Arkadien, eine "künstliche Welt, die mit Unmöglichkeiten hantiert. Früher wollte die Gesellschaft von der Kunst Erhebung, jetzt will sie Unterhaltung." Dass seine eigene Premiere nun selbst zu einem Event wurde, scheint da nicht zu stören. Dazu passt, dass er auch mal kurz theatralisch erzürnt das Podium verlässt, aber gleich darauf wieder folgsam zurückkehrt.

Lüpertz machte sein erstes Bühnenbild 1982 in Kassel. Sein letztes vor der "Bohème" 2018 in Regensburg, für "Una cosa rara" von Vicente Martìn y Soler. Der Intendant damals war Neundorff von Enzberg. Die beiden verbindet eine glühende Hassliebe, Schwerpunkt auf Liebe, und was Lüpertz damals entwarf, findet man in seiner Machart heute wieder: Damals bevölkerten lustig gemalte, zweidimensionale Papptiere die Bühne, die Kostüme waren kunterbunt angemalt, die ganze Ausstattung wirkte wie ein Kinderbuch zum Aufklappen und war eine Aufforderung, ja tatsächlich, an die eigene Fantasie. Aber eine bukolische Barockoper ist keine "Bohème", da verreckt niemand an der Armut.

Markus Lüpertz bietet eine Stilisierung, die ihren Kern nicht in den Figuren hat, sondern im Gesamtbild

Bevor man nun das Arkadien oder die Poesiewelt oder was auch immer sieht, hört man des Meisters Stimme. Lüpertz ersann drei Gedichte und sprach sie volltönend selbst ein, eines über die Bohème an sich, eines über Rodolfo, eines über Mimì: "Und Jünglinge mit langen Strähnen / versprachen ihnen nur Freudentränen / nichts davon ist eingetroffen / sind den ganzen Tag besoffen." Dann setzt die Musik ein, und wenn es an diesem Abend ein vollkommen unzweifelhaftes Meisterwerk gibt, dann ist es das, was die Meininger Hofkapelle unter Dirigent Philippe Bach macht: Das ist farbensatter Puccini in Perfektion.

Endlich öffnet sich die Bühne, und man schaut in ein Pop-up-Buch, in dem es viel zu entdecken gibt. Von der Decke drängen Soffitten herab, von den Seiten schieben sich Kulissen herein, es erinnert ein bisschen an eine opulente Barockbühne, nur schaut alles ganz anderes aus. Nämlich überladen bemalt - der Wert der Ausstattung dürfte auf dem Kunstmarkt beträchtlich sein. Es gibt zwei Dachfenster, aber am Boden. Jeder der vier Künstlerfreunde hat ein Objekt, das ihn kennzeichnet: Der Dichter Rodolfo eine mannshohe Feder (er schreibt später auch mit einem Federkiel), der Maler Marcello eine enorme Malpalette, der Philosoph Colline eine Eule auf einem Stock und Schaunard, der Musiker, schleppt ein riesiges Ding mit sich herum, eine Mischung aus Kontrabass und Weinflasche. Er bringt ja auch was zum Essen mit, in Form eines Stilllebens mit Wein und Fisch, das Lüpertz angeblich in einer Stunde malte.

Alle Solisten tragen Kostüme, bei deren Herstellung Ruth Groß half und die aussehen, als stammten sie aus einem uralten Fundus und wurden mit frischem Schwung neu bemalt, was ebenso Skizze wie Rätsel bleibt, aber dass da ein Rätsel ist, stört überhaupt nicht. Alles ist Fläche, Bild, auch die Gesichter sind so geschminkt, dass sie etwas leicht Zweidimensionales erhalten. Und da beginnt die Irritation. Die Solisten drängen zur Rampe, das kennt man aus konservativen Inszenierungen. Aber ihre Motivation wirkt anders. Es geht nicht um die ungehinderte Absonderung von Tönen. Es wirkt tatsächlich wie ein Bild, in dem sich die Singenden als Teil davon bewegen, größtenteils Körperkontakt vermeiden. Es ist eine Art von Stilisierung, die ihren Kern aber nicht in den Figuren hat, sondern im Gesamtbild.

'La Bohème' am Staatstheater Meiningen

Das Liebespaar in Giacomo Puccinis "La Bohème", poetisch verzaubert von Markus Lüpertz: Deniz Yetim als Mimì und Alex Kim) als Rodolfo.

(Foto: Martin Schutt/dpa)

Im zweiten Bild, dem vor dem Café, geht Lüpertz am weitesten - und scheitert komplett. Die Grundidee ist toll: Normalerweise wuseln hier Kinder und Straßenhändler herum, nun steht hinten der Chor, knallgrün, in drei Etagen, und singt all das Volksgetümmel, vorne sind nur die Solisten. Und ein paar gemalte Stühle und Tische. Was aber als Konzentration auf das gedacht sein mag, was die vier Freunde, was Musetta und Mimì hier zu verhandeln haben, scheitert an der imposanten Wackeligkeit des Chors. Und am Fehlen der Spannung zwischen den Figuren. Musetta kommt mit ihrem neuen Galan, flirtet aber mit ihrem Ex Marcello. Nur: Wo keine Beziehung zwischen den Figuren, da kein Flirt.

Gesungen wird jenseits des Chors sehr anständig. Alex Kim neigt zwar als Rodolfo leicht zum Brüllen, hebelt aber das Regiekonzept aus, indem er in der Erschütterung durch Mimìs Tod auf die Knie sinkt und noch beim Schlussapplaus Tränen in den Augen hat. Julian Younjin Kim ist ein sympathischer Marcello, Monika Reinhard als Musetta galant schnippisch, Johannes Mooser ein etwas tapsiger Schaunard, Selcuk Hakan Tiraşoğlu ein imposanter Colline.

Man merkt, eine fehlt noch. Mimì. Zwar schaut Deniz Yetim in ihrem Kostüm ein bisschen aus wie ein Funkenmariechen. Aber in ihr erfüllt sich die Regieidee von Markus Lüpertz. Denn auch wenn sie sich streng an die Vorgaben hält, sie kann mit diesen spielen. Das Bild lebt! Sie verleiht ihrer Figur die höchste Not und eine immer größer werdende Inbrunst. Sie stirbt im Stehen, einfach so, für sich, und das kann einem in seiner Befreiung von aller falscher Theatralität, von aller Künstlichkeit schon umhauen. Hier rutscht generell - Ausnahme Rodolfo - niemand auf dem Boden herum, hier hält keiner zur Arie die Hand vor die Brust, hier gibt es keine abgestandene Operngesten. Das ist gut. Es gibt aber auch keine Deutung der Geschichte. So hört man die Musik zwar nicht neu, aber konzentriert. Der Rest ist dann die eigene Fantasie.

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