Marktoberdorf:Essen verbindet

Vera Mercer und Daniel Spoerri waren einst ein Paar. Die Allgäuer Ausstellung "Aufgetischt!" ist Koch-Kunst vom Feinsten - und bringt sie wieder zusammen

Von Franz Kotteder

Wer schaut denn da so neugierig in die Kamera? Ein großes Fischauge blickt den Betrachter an. Sieht aus, als ob es über den Rand einer Silberschüssel lugt - erst wenn man genauer hinschaut, stellt man fest: Die Silberschüssel ist der lang gestreckte Körper des Fisches, der fürs Foto nur so raffiniert drapiert wurde. Recht viel mehr ist kaum zu sehen auf dem Bild, immerhin das ist ungewöhnlich für die Fotografin Vera Mercer. Ansonsten hat sie es durchaus mit Trompe-l'œil und verrätselten Bildern, auch mit opulenter Inszenierung und seit einigen Jahren auch wieder verstärkt mit Essbarem aller Art.

Da trifft sie sich natürlich mit Daniel Spoerri, dem Großmeister der Eat Art, und mit seinen berühmten "Fallen-Bildern", mit denen er 1960 beim Festival der avantgardistischen Kunst in Paris bekannt und schnell berühmt wurde. Salopp gesagt, handelt es sich dabei um abgegessene Tische, auf Tafelbildgröße zurecht gesägt, um 90 Grad gekippt und an die Wand gehängt. Spoerri hat dann später in Düsseldorf ein Kunst-Restaurant eröffnet und an den unterschiedlichsten Orten auf der ganzen Welt künstlerische Bankette veranstaltet, die wiederum als Grundlage oder auch Produktionsstätte für neue Fallen-Bilder dienten. Auch ein Teil der jetzt im Künstlerhaus Marktoberdorf zu sehenden Werke sind auf diese Weise entstanden.

"Aufgetischt!" heißt die sehr gelungene Ausstellung im Künstlerhaus der kleinen Gemeinde im Allgäu, und sie führt zusammen, was früher schon einmal standesamtlich beurkundet zusammengehörte und jetzt, gut 60 Jahre später, immer noch verblüffend viel Verbindendes hat. Der 1930 in der rumänischen Donaustadt Galati geborene Spoerri, der nach der Flucht seiner Familie nach Zürich Schweizer Staatsbürger wurde, traf Vera in Darmstadt. Beide hatten damals Ballett studiert und lernten sich am Theater kennen. 1958 heirateten sie und zogen nach Paris, wo sie schnell zur damaligen Künstler-Avantgarde um Jean Tinguely, Niki de Saint-Phalle und Marcel Duchamp gehörten. Spoerri hatte seiner jungen Frau damals eine Fotokamera geschenkt; ein Teil der frühen Aufnahmen ist im Altbau, der kleinen Villa neben dem eigentlichen Klinkerkubus des Künstlerhauses, zu sehen. Es war auch sonst ein Geschenk von erheblicher Nachhaltigkeit, denn Vera Mercer legte gerade in den vergangenen 20 Jahren ja dann noch eine erstaunliche Karriere hin, erst mit Blumenstillleben und dann aufwendig inszenierten Tableaus, in denen es praktisch immer um Essen, Lebensmittel und Küche geht. Hier trifft sie sich wieder mit ihrem Ex-Ehemann. Wobei auch das alles andere als ein Zufall ist. Denn nach ihrer Scheidung 1961 arbeitete sie als Reportagefotografin, heiratete 1971 den Amerikaner Mark Mercer, mit dem sie nach Omaha, Nebraska ging und gleich eine ganze Reihe eigener Restaurants eröffnete.

Ihre künstlerischen Fotografien sind prachtvoll-farbige Inszenierungen von Nahrungsmitteln und Blüten in fast surreal anmutenden Umgebungen, zumeist bei Kerzenschein. Manches erinnert an die spanische Barockmalerei, etwa an die hoch realistischen Stillleben von Francisco de Zurbarán. Darauf deuten auch klassische Vanitas-Motive hin wie Totenschädel, Lilienblüten oder halb abgebrannte Kerzen.

Bilderfülle ist auch ein Begriff, der einem zu Daniel Spoerri einfallen könnte, Vanitas schon weniger. Dafür ist der 88 Jahre alte Künstler dann doch ein bisschen zu sinnenfroh. Die 37 Exponate, die er zu den 35 großformatigen Fotografien von Mercer beisteuert, stammen aus den vergangenen zwölf Jahren, ein Großteil aus einem 2014er Kunstbankett, das er in Mailand unter dem Titel "Il bistrot di Santa Marta" veranstaltete; nach der Mahlzeit wurden sämtliche Gegenstände auf den Tischen fixiert und zu Fallen-Bildern erklärt, zu einem Stück eingefangener Alltagswirklichkeit sozusagen. Ein Teil davon ist nun in Marktoberdorf zu sehen. Neu sind eine Reihe kleinerer Werke aus Meißner Porzellan, die Spoerri im Auftrag der Porzellan-Manufaktur ebenfalls 2014 geschaffen hat, es handelt sich um raffiniert angeschnittene Tassen, Teller und Schüsseln auf einem Tisch aus Porzellan, im ganzen Stück an die Wand gehängt. Und dann hat der begeisterte Flohmarktgänger und Sammler noch quadratische Tafeln mit allerlei Kochutensilien bestückt - das Ergebnis sieht aus wie eine sorgfältig unaufgeräumte Küchenschublade. Zur Vernissage an diesem Freitag, 15. Februar, können die Künstler aus privaten Gründen leider nicht kommen. Es entgeht ihnen eine von der Künstlerhausleiterin Maya Heckelmann sehr sensibel kuratierte Ausstellung, die den knapp eineinhalbstündigen Weg mit dem Zug allemal lohnt.

Aufgetischt! Vera Mercer und Daniel Spoerri, Dienstag bis Freitag, 15 bis 18 Uhr, Samstag, Sonntag und Feiertage, 14 bis 18 Uhr, Künstlerhaus Marktoberdorf, Kemptener Straße 5, bis 19. Mai

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