Marjane Satrapi:Wir sind keine Girls!

Die Regisseurin hält nicht viel vom klassischen Rollenverständnis, sie will lieber gute Filme machen. Ein Gespräch über ihr Heimatland Iran, Burger und das Ghetto im Kopf.

Interview von Anke Sterneborg

Sie sprudelt nur so, voller Energie und Leidenschaft. Sie redet mit vielen Ausrufezeichen und gestikuliert für die große Bühne, auch wenn man ihr direkt gegenübersitzt. Nach "Persepolis" und "Huhn mit Pflaumen", zwei Filmen über ihre Heimat, hat die in Frankreich lebende Iranerin Marjane Satrapi "The Voices" gedreht, ihren ersten amerikanischen Film in englischer Sprache. Eine Begegnung mit der Regisseurin in Berlin.

SZ: Nach zwei sehr persönlichen Filmen haben Sie jetzt erstmals ein fremdes Drehbuch verfilmt: Heißt das, dass das Thema Iran abgeschlossen ist?

Marjane Satrapi: Ich hatte Dinge zu sagen und habe das getan. Es wäre langweilig, immer dasselbe zu thematisieren, für mich ebenso wie für die Zuschauer. Alle fragen mich immer, wie ich die Situation des Landes sehe, aber ich war seit sechzehn Jahren nicht mehr dort. Ich habe wie alle anderen auch nur noch Informationen aus zweiter Hand. Ich habe sehr persönliche, nostalgische Gefühle, mit denen ich nicht hausieren gehen muss, und es gibt viele andere Dinge, die mich interessieren.

Gibt es dennoch eine Sehnsucht nach Iran?

Aber klar! Der Ort, an dem man geboren ist, ist einem vertraut wie kein anderer. Wenn ich mitten in der Wüste aufgewachsen bin und werde da ausgegraben und an einem anderen Ort neu eingepflanzt, dann kann man mir das beste Wasser und den besten Dünger geben und trotzdem fehlt mir der Boden, aus dem ich stamme, und die Sonne, die darauf strahlt. Meine Gefühle werden immer iranisch bleiben, schauen Sie mich an: Ich bin ganz offensichtlich keine Schwedin (Anm.: Sie ist mit einem schwedischen Mann verheiratet), und leugne das auch nicht. Aber es heißt nicht, dass ich Expertin für das heutige Iran bin. Vor vielen Jahren hat ein iranisches Mädchen zu mir gesagt, dass meine Haltung zum Schleier schön und gut sei, dass das aber nicht mehr ihr Problem sei. Da wurde mir klar, dass ich nicht mehr die Stimme dieser Generation bin. Ich hasse Menschen, die nicht merken, dass sich die Zeiten in zehn oder fünfzehn Jahren ändern, und zwar sehr viel stärker, als man sich vorstellen kann. Darum sind Iraner in Amerika sehr viel konservativer als die, die in Iran leben, sie wollen behalten, was sie hatten und sich nicht nach vorne bewegen.

Kinostart - 'The Voices'

Eigentlich ist Jerry (Ryan Reynolds) ein ganz netter Typ. Trotzdem bleibt es nicht bei einem Mord in "The Voices".

(Foto: dpa)

Wie nehmen Sie iranische Regiekollegen wie Jafar Panahi oder Asghar Farhadi wahr, die immer wieder mit den iranischen Behörden in Konflikte geraten?

Sie sind sehr mutig, aber sie arbeiten in einer ganz anderen Kultur. Ich habe mich immer zwischen beiden Welten bewegt und war nie denselben Zwängen unterworfen wie sie. Ich habe in einer freien Schule studiert und mein Land mit 14 verlassen, sie dagegen sind echte Iraner, die ihr Land sehr genau kennen. Aber ich liebe sehr, was sie machen. Farhadi ist für mich ein Genie, seine Filme erinnern mich an John Cassavetes, mit all den Dingen, die zwischen den Menschen unausgesprochen bleiben. Ich liebe diese Filme, stamme aber nicht aus derselben Familie der Filmemacher.

Ihr neuer Film "The Voices" gibt dem Konzept des Serienkillers, dem man in Fernsehen und Kino kaum noch entkommt, einen neuen Twist. War das der Plan?

Was mir gefällt, ist, dass Serienkiller sonst immer die Monster sind, meiner dagegen ist ein netter Typ. Ein Typ, der Frauen umbringt, ist normalerweise ein Sexualtriebtäter. Doch in meinen Augen ist der Körper dieses Mannes zwar erwachsen, aber in seinem Innern ist er noch ein Kind. Wenn man als Kind ein Trauma erlebt, kann es tatsächlich passieren, dass man psychisch in diesem Alter stecken bleibt. Ich weiß, dass er im Grunde unschuldig ist, und mag ihn, muss ihn aber auch in den Augen der anderen liebenswert machen. Also habe ich entschieden, dass das sexuelle Begehren nicht von ihm, sondern nur von den Frauen ausgeht. Ich wollte, dass es für den Zuschauer auf der Kippe steht, ob das nun Unfälle sind, oder Absicht dahintersteht.

Ein Kind im Körper eines Mannes: Ist das auch ein Kommentar zum verzögerten Erwachsenwerden in der Gesellschaft?

Daran habe ich nicht gedacht, aber jetzt, wo Sie es sagen: ja, es stimmt. Das gilt ja auch für Frauen, die heutzutage ewige Mädchen bleiben. Selbst Frauen in meinem Alter sagen, sie gehen mit den "Girls" aus, aber wir sind keine Girls, wir sind gestandene Frauen! Die meisten Menschen wollen nicht erwachsen werden, was natürlich mit unserer Jugendkultur zu tun hat, in der alle ewig jung bleiben wollen. Ich dagegen werde gerne erwachsen und freue mich darauf, alt zu sein, denn dann kann ich tun und sagen, was ich will und was ich denke! So wie meine Großmutter: Wenn sie die Tür öffnete, und da stand jemand, den sie nicht mochte, dann sagte sie "Ach, Sie sind es!", und knallte die Tür zu. Das kann ich mir jetzt nicht leisten, aber später freue ich mich drauf.

Premiere 'Persepolis'; Die französische Regisseurin und Autorin Marjane Satrapi kommt am Dienstag (06.11.2007) in Berlin zur Premiere des Films 'Persepolis' in das Kino Cinema Paris.

Marjane Satrapi, geboren 1969 in Iran, wurde weltweit bekannt durch ihre Comic-Autobiografie "Persepolis".

(Foto: Jens Kalaene/dpa)

Wie viel Inspiration haben Sie von amerikanischen Filmen?

Sehr viel! Ich bin mit amerikanischen Filmen aufgewachsen, in den Siebzigerjahren war Iran von Amerika dominiert. Ich bin mit Drive-in-Kinos großgeworden, hatte ein Skateboard, habe Bowling gespielt und Burger gegessen, wir waren extrem amerikanisiert. Aber es gibt auch heute noch einen Teil des amerikanischen Kinos, den ich liebe, wie die Coen-Brüder, die Amerika zeigen, wie es wirklich ist. Es gibt auch heute noch viele sehr gute amerikanische Filme. Nur leider weht da immer so ein patriotischer Wind. Auch meine Produzenten haben sich beschwert, dass mein Film ja nicht so richtig amerikanisch sei. Aber wenn sie einen All-American-Film wollen, hätten sie ihn einfach nicht mir geben dürfen.

Sie bewegen sich sehr selbstbewusst in ausgesprochen männlich orientierten Welten: Woher kommt das?

Wahrscheinlich von meiner Erziehung, weil mich meine Eltern nie wie ein Mädchen behandelt haben. Glauben Sie mir, ich habe erst sehr viel später im Leben begriffen, dass Jungen und Mädchen sich unterscheiden. Von vielen meiner Freundinnen wurde immer erwartet, dass sie hübsch aussehen und niedlich sind. Das Schlimmste, was mir in den Augen meiner Mutter hätte zustoßen können, war, dass ich heirate. Das war für sie kein Lebensziel. Von mir wurde nie erwartet, hübsch und verführerisch und eine gute Ehefrau zu sein. Mir hat es auch nie Spaß gemacht, mit Puppen zu spielen, warum sollte man so tun als ob? Ich mochte richtige Spiele lieber und bin darum mit Jungs aufgewachsen. Und wenn mich ein Typ drangsaliert hat, dann habe ich ihn halt auch drangsaliert, Ende der Diskussion!

Dazu passt ja, dass Sie mal gesagt haben, dass Sie keinen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Regisseuren sehen: Aber glauben Sie nicht, dass es eine besondere Sensibilität gibt, die sie unterscheidet?

Dann können Sie ja auch gleich sagen, dass es eine unterschiedliche Sensibilität zwischen großen und kleinen, zwischen schwarzen und weißen, dicken und dünnen Menschen gibt. Wenn man so denkt, dann wird der Frauenfilm zum Ghetto. Ich denke doch mit meinem Gehirn und nicht mit meinen Brüsten! Es gibt ja auch kein Festival für dicke und für dünne Regisseure. Da hat man dann Hitchcock und Kubrick, und dort Ken Loach, und macht daraus zwei verschiedene Kategorien, wie absurd! Ja, möglicherweise haben wir eine andere Sensibilität, aber indem wir das sagen, stellen wir uns doch selbst ins Ghetto! Wir müssen einfach gute Filme machen! Ich möchte nicht hören, dass ich als Frau einen guten Film gemacht habe, das klingt so, als wäre ich behindert und hätte auch mal was hingekriegt. Ich bin ein menschliches Wesen und will als solches respektiert werden.

Dann sind Sie vermutlich auch kein Fan von Pro Quote Regie, den deutschen Filmemacherinnen, die eine fünfzigprozentige Marktpräsenz anstreben?

Wissen Sie, wir müssen begreifen, dass die Welt 5000 Jahre lang von Männern dominiert war, während Frauen erst seit etwa fünfzig Jahren Rechte haben. Das hat mit dominanten Männern zu tun, aber nur zum Teil. Wenn eine Frau ihr ganzes Leben obsessiv dem Ziel verschreibt, einen flachen Bauch zu haben und feste Brüste, ist das doch ihre Entscheidung! Wir können doch Nein sagen. Werft das nicht den Männern vor, sondern habt etwas mehr Respekt vor euch selbst! Wir können doch nicht so tun, als seien wir Kinder, die keine Verantwortung tragen. Der Fehler liegt nicht immer bei den Männern. Wir müssen selbstbewusst sein!

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