Mariss Jansons:Vor der Wahl

Am Wochenende dirigierte Mariss Jansons in Berlin die Philharmoniker, Bartok und Schostakowitsch. Am Montag machen sich die Philharmoniker daran, ihren neuen Dirigenten, den Nachfolger für Simon Rattle, zu wählen...

Von Wolfgang Schreiber

In den weiten Foyers der Berliner Philharmonie schwirrten am Wochenende nur so die Gerüchte, Wünsche, Sorgen: Wer wird der Nachfolger Simon Rattles ab 2018 bei den Berliner Philharmonikern? An diesem Montag werden ihn die 124 Mitglieder des Orchesters in geheimer Abstimmung wählen - und die Klassikmusikwelt kann einen "neuen" Dirigenten begutachten.

Zwei Tage vor der Wahl: Der Dirigent Mariss Jansons trat ans Pult der Philharmoniker, kalendarischer Zufall - der Konzerttermin steht länger fest als der Wahltag. Kein Zufall: Jansons war Sieger im Berliner Dirigentenwettbewerb 1971, unter Karajans Leitung. Er gehörte 1989 zu den heißen Kandidaten bei der Wahl zum Karajan-Nachfolger. Und der jetzt 72-Jährige steht noch immer auf der inoffiziellen Kandidatenwunschliste, auf der Andris Nelsons, Christian Thielemann, Gustavo Dudamel oder Riccardo Chailly blendende Figur ma-chen. Aber ausgerechnet vor ein paar Tagen hat Jansons seinen Vertrag mit dem Bayerischen Rundfunk, dessen Symphonieorchester er seit 2003 als Chefdirigent führt, bis 2021 verlängert. Seine feurige Musikalität und seine künstlerische Ehrlichkeit, sind sie damit aus dem Rennen?

Jansons' Berliner Auftritt bei den Philharmonikern faszinierte und endete mit Standing Ovations. Keine vertraute deutsch-österreichische Symphonik auf dem Programm, sondern klassische Moderne: Bartóks betörende Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta erklang in der Eröffnungsfuge aufs Feinste abgetönt, war im Adagio tiefgründig erfasst, im Finalrondo perfekt austariert. Jansons, in Sankt Petersburg, damals Leningrad, ausgebildet und dort unter dem Dirigenten-Guru Mrawinsky gereift, im Dunstkreis Schostakowitschs, hatte für dessen zweites, spätes, rätselhaftes Violinkonzert den besten deutschen Geiger der Gegenwart neben sich: Frank Peter Zimmermanns musikalische Intelligenz und geigerischer Furor triumphierten. Als Zugabe spielte Zimmermann blitzend und blendend das finale Allegro aus Bachs a-Moll-Solosonate.

Die wogenden Klangfelder in Maurice Ravels zweiter Orchestersuite seiner "Symphonie choréographique" mit dem Titel "Daphnis und Chloe" werden durch Jansons' Führungsstärke zu einer Übung höchster gestischer Orchesterkunst, magischer Klangalchemie. Die Berliner Philharmonie bebte. Und doch wird der aus Riga stammende Dirigent wohl in München bleiben, das Amsterdamer Concertgebouw Orchester hat er schon zurückgegeben. Sein Landsmann Andris Nelsons ist es, der zu den chancenreichsten jüngeren "Kandidaten" für die Rattle-Nachfolge zählt - Mariss Jansons war und ist sein Mentor. Das kleine Lettland kann leuchten.

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