Zum Tod von Mariss Jansons:Die ganze Welt mit Klang umarmen

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Mariss Jansons: "Eine starke Persönlichkeit ist etwas anderes als ein Diktator." Foto: Peter Meisel (Foto: Peter Meisel)

Kompromisslos folgte Mariss Jansons der Liebe zur Musik. Neben viel starkem Willen besaß der Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks eine weitere überwältigende Fähigkeit: Empathie.

Nachruf von Wolfgang Schreiber

Ein dreizehnjähriger Junge aus dem lettischen Riga kommt ins sowjetische Leningrad und wird dort zum Musiker ausgebildet. Stationen des Weiterstudierens: Wien, Salzburg, Berlin. Rückkehr nach Russland. Älter geworden geht er nach Oslo, London und Pittsburgh, landet schließlich, fast zeitgleich, in Amsterdam und München. Ein Reisemärchen, dessen Held seine fragilen Kräfte oft überfordert. Der Tod des 76-Jährigen erzeugt neben Trauer Ratlosigkeit: Dirigenten werden doch viel älter, Kreativität und Energie halten länger. Hat Jansons seine willensstarke Tatkraft despotisch gegen sich selbst gerichtet?

"Eine starke Persönlichkeit ist etwas anderes als ein Diktator." Was Mariss Jansons zu seinem 70. Geburtstag 2013 in dieser Zeitung sagte, kann die enorme Wirkung seines Tuns auf Orchester und Zuhörer erklären. Man musste ihn am Pult erleben, die Intensität seiner Überzeugungsfähigkeit wahrnehmen, den kämpferischen Einsatzes seiner Kräfte. Jansons besaß Inständigkeit der Musik gegenüber, eine verführerische Liebe zur Musik. Autoritäres Verfügen über sie schien ihm fremd zu sein, jede Herrscherattitüde.

Jansons' Musizieren besaß kaum melancholische, grüblerische Züge

Es war aufschlussreich, Jansons nicht nur in München zu erleben, am Pult seines Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, sondern ihn etwa beim Neujahrskonzert 2006 oder 2012 in Wien zu beobachten. Sogar am Fernsehmonitor wurde deutlich: Jansons verrichtete bei den Wiener Philharmonikern Schwerarbeit, aber man spürte, dass er dabei das reine Glück empfing und es freudig zurückgab. Walzer- und Polka-Seligkeiten der Strauß-Dynastie in Wien bereiteten ihm offenbar eine so spontane Freude wie die Symphonien Beethovens oder Schostakowitschs. Jansons' Musizieren besaß kaum melancholische, grüblerische Züge, es wollte stürmisch bejahen, die ganze Welt mit Klängen umarmen. Früh, in Leningrad, hatte er das wohl "gelernt" - sich freudig dem Kampf stellen.

Am 14. Januar 1943 wurde Mariss Jansons in Riga geboren, als Sohn eines Dirigenten. Als Vater Arvid Jansons Assistent des legendären Jewgenij Mrawinsky bei der Leningrader Philharmonie wurde, übersiedelte die Familie ins heutige St. Petersburg. Dort studierte der junge Mariss Geige, Klavier und Dirigieren. Den 26-Jährigen schickte man zu dem bedeutenden Dirigentenprofessor Hans Swarowsky nach Wien, dem Lehrer Abbados und Mehtas. Jansons gewann den Karajan-Wettbewerb, durfte aber Karajans Einladung nach Berlin nicht annehmen. Indes das Talent setzte sich durch, 1979 übernahm er das Symphonieorchester von Oslo als Musikdirektor und blieb es zwei Jahrzehnte. Es folgte die Maazel-Nachfolge in Pittsburgh. 2003 ging er zum BR-Symphonieorchester nach München, parallel nach Amsterdam zum Concertgebouw Orchester.

Immer ging Jansons mit seiner glühenden Überredungskunst zu Werke

"Ich werde meine Energien vollkommen gleich verteilen", beschwichtigte Jansons die um künstlerische Einbußen oder Zeitkonflikte besorgten Münchner und versprach: "100 Prozent München und noch einmal 100 Prozent Amsterdam". Das Münchner Eröffnungskonzert kam einem Manifest gleich, Jansons dirigierte die Symphony Fantastique von Berlioz, grub sich mit feurigem Geist und präziser Formidee tief hinein in den tönenden Künstlerfiebertraum des französischen Extremromantikers, ließ die Orchesterfarben nur so glühen und entzündete die Flamme der symphonischen Idee fixe mit einer Stoßkraft, die Musiker und Zuhörer mit Gewalt packte.

Ob Jansons Beethoven-Symphonien oder die Spätromantiker Brahms, Bruckner und Strauss dirigierte, die Modernen Debussy, Sibelius und Mahler oder die Requiems von Mozart, Verdi, Dvorak und Bernsteins Chichester Psalms - immer ging Jansons mit seiner glühenden Überredungskunst zu Werke. Und obwohl seine Symphoniker sich in der Musikwelt höchstes Ansehen schon unter den Vorgängern Rafael Kubelik, Colin Davis und Lorin Maazel erspielt hatten, mit Jansons gelang der zusätzliche Qualitätssprung eines ganz emphatischen Musizierens.

Am stärksten emotionalisiert, einfühlungsbereit, zeigte sich Jansons bei der russischen Musik und ihren elementaren Gefühlen: Tschaikowsky, Rimsky-Korsakoff, besonders Schostakowitsch. Jansons' bärenstarker künstlerischer Wille, wie er sich durch alle Behinderungen von Kunst und Leben in der Sowjetunion behauptet hatte, schien im Innersten seines Musizierens zu wirken. Genauso die Lektion, die ihm Jewgenij Mrawinsky bei der Leningrader Philharmonie erteilt hatte: Der wichtigste Dirigent der Sowjetunion war die strenge Vaterfigur gewesen, ein unerbittlicher Symphoniker, der viele Schostakowitsch-Symphonien aus der Taufe gehoben hatte. Dies Erbe hat Jansons weitergetragen, wenn er Schostakowitschs tragisch getönte Symphonien dirigierte - aus eigenen Erleben heraus. So bleibt die Einspielung aller 15 Schostakowitsch-Symphonien Jansons' authentischste, von existentieller Hingabefähigkeit zeugende Leistung auf Tonträgern.

Nicht alle Ziele, die sich Jansons, der Perfektionist als Gefühlskünstler, in München gesteckt hatte, hat er erreicht. So ist der eigene Konzertsaal für sein Orchester, wofür er leidenschaftlich warb, und der nun im Werksviertel entstehen soll, nicht mehr zu seinen Lebzeiten fertig geworden. Und seine Sehnsucht nach mehr Operndirigieren blieb mit wenigen Ausnahmen unerfüllt. Nicht aber sein unermüdliches Streben nach musikalischer Qualität, das 2013 mit dem Siemens-Musikpreis belohnt wurde.

In Erinnerung bleibt die Urwüchsigkeit eines Musikers, die sich mit der absoluten, Orchester wie Publikum überwältigenden Ehrlichkeit seines Musizierens, aus tiefem Erleben der Musik heraus, verband. Diese Fähigkeit war für ihn so zwingend, dass er ihr ohne Rücksicht auf Gesundheit und Leben folgen musste. Jansons hat einen Schlaganfall in Oslo 1996 mit Glück überstanden, nur, Arbeitslust und Arbeitsbelastung hat er danach kaum eingeschränkt. Für den Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung engagierte er sich ebenfalls: Seit Jahren dirigierte er die Benefizkonzerte. Am 30. November ist er im Alter von 76 Jahren in Sankt Petersburg gestorben.

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