Marilyn Manson im Interview:Humanist? Irgendsowas in die Richtung

"Die Amerikaner hassen sich selbst mehr denn je" - Marilyn Manson über George W. Bush, Fritz Lang und Michael Moore.

Interview: Oliver Fuchs

Brian Warner, der sich als Rockmusiker Marilyn Manson nennt, zählt gemeinsam mit Eminem zu den schärfsten Gesellschaftskritikern der USA. In einer der eindrücklichsten Szenen von Michael Moores "Bowling for Colombine" sagt der von Rechten als Jugendverführer apostrophierte 35-Jährige, die wahre Tragik sei, dass den Jugendlichen niemand zuhöre. Soeben ist eine Zusammenstellung der größten Hits von Marilyn Manson erschienen - als CD und DVD ("Lest We Forget - The Best Of", Universal).

Marilyn Manson im Interview: In Aktion anlässlich der "Comet"-Verleihung in Köln: Brian Warner, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Marilyn Manson.

In Aktion anlässlich der "Comet"-Verleihung in Köln: Brian Warner, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Marilyn Manson.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Mr. Manson, sind Sie ein amerikanischer Patriot? Manson: Das Patriotischste, was ich für mein Land tun kann, ist: ein Künstler zu sein. Durch die Kunst wird Amerika vielleicht irgendwann zu einem Land, in dem man gern leben möchte.

SZ: Wenn im November der US-Präsident gewählt wird - wählen Sie mit? Manson: Ich glaube kaum. Was für Alternativen haben wir denn? In Amerika protestieren gerade eine Menge Leute gegen Bush. Aus nachvollziehbaren Gründen. Aber soll ich deswegen Kerry gut finden? Kerry ist nicht das Gegenteil von Bush, so wie die Demokratische Partei nicht das Gegenteil der Republikanischen ist.

SZ: Es heißt, Sie hätten im Wahlkampf des Jahres 2000 George W. Bush Ihre Unterstützung angeboten, was dieser ablehnte. Gilt Ihr Angebot noch? Manson: Nein, nein, ich habe nur gesagt, dass Bush das geringere Übel ist. Auch wenn er für alles steht, womit ich nicht einverstanden bin: Bei ihm weiß man wenigstens, was einen erwartet. Ich hatte auch die Hoffnung, dass Bush die Kreativität in unserem Land steigern könnte. Künstler spornt es an, wenn sie einen starken Gegenpol haben.

SZ: Nun gibt es "Vote for Change", eine Allianz von Popstars, die dazu aufrufen, gegen Bush zu stimmen. "R.E.M." sind dabei, Bruce Springsteen, "Pearl Jam". Warum nicht auch Sie? Manson: Ach, die sollen das ruhig mal machen. Ich hab' nichts dagegen, aber auch keine Lust, mich zu beteiligen. Ich bin Künstler. Und Künstler sollten keine Wahlempfehlungen aussprechen.

SZ: Aber sollten Künstler nicht wenigstens politische Statements abgeben? Manson: Es ist nicht klug, Statements abzugeben, weil am Ende immer ein Ausrufezeichen steht. Zum Wesen der Kunst gehört aber das Fragezeichen. Nach meiner Erfahrung schätzen die Leute die Antwort viel mehr, wenn sie selber draufkommen. Außerdem hab' ich schon so oft klargestellt, was ich von Politikern halte. Wieso soll ich das jetzt nochmal betonen?

Humanist? Irgendsowas in die Richtung

SZ: Weil es vielleicht doch nicht ganz klar ist. Was halten Sie denn von Politikern im allgemeinen? Manson: Politiker benutzen die Unsicherheit und Verletzlichkeit der Menschen für ihr Zwecke. Politiker manipulieren den Glauben von Menschen - wir Amerikaner sind ja so stolz darauf, dass Staat und Religion getrennt sind, aber das ist nicht so: Staat und Religion sind eins. Politiker ziehen auch einen Vorteil daraus, dass die Menschen ahnungslos sind. Wenn Sie in den USA zwischen Nachrichten und Werbung und Sitcoms hin- und herschalten, bemerken Sie fast keinen Unterschied. Alles ist Fiktion, Unterhaltung. Sogar CNN kommt einem vor wie ein Entertainment-Sender. Es ist heute in Amerika einfach verdammt schwer zu entscheiden, was real ist. Weil auf allen Kanälen so viel Propaganda läuft.

SZ: Das klingt, als ob es keine Hoffnung gäbe. Manson: Wenn ich Fatalist wäre, könnte ich kein Künstler sein. Ohne Hoffnung keine Kunst.

SZ: Sind Sie Humanist? Manson: Irgendsowas in die Richtung.

SZ: Moralist? Manson: Nur soweit es die Kunst betrifft. Die Kunst ist für mich Gott.

SZ: Das müssen Sie näher erklären. Manson: Die Kunst kann bleibende, zeitlose, machtvolle Werke schaffen. Schauen Sie sich "Dr. Mabuse" von Fritz Lang an, und Sie werden wahrscheinlich mehr über das Amerika des Jahres 2004 erfahren als aus vielen politischen Reden! Wir beide würden jetzt nicht hier sitzen, in diesem Hotelzimmer in Berlin, wenn es Anfang des vergangenen Jahrhunderts die Expressionisten und die Surrealisten nicht gegeben hätte. Die waren vielleicht sogar wichtiger als die Politiker, die zur selben Zeit einen Krieg vorbereiteten. Weil sie eine eigene Welt geschaffen haben, die kein Politiker kontrollieren konnte. Eine Gedankenwelt. Einen Raum der Freiheit. Wenn wir begreifen würden, was Kunst kann, dann wäre Politik nicht mehr so wichtig.

SZ: Sie haben mal gesagt, dass Musik in Amerika eine stärkere Wirkung hat als Politik. Demnach müssten Sie mächtiger sein als George W. Bush. Manson: Jetzt fangen Sie schon wieder mit Bush an! Der Mann ist doch gar nicht so wichtig. Und außerdem als Mensch eher uninteressant. Amerikas Problem ist, dass die Amerikaner sich selbst mehr hassen als je zuvor. Und dass sie es gar nicht merken, weil im Fernsehen immer alle lächeln. Aber es gibt Hoffnung. Weil es die Kunst gibt. Egal ob man inhaltlich mit allem übereinstimmt, was Michael Moore sagt - es ist allein schon ein Fortschritt, dass solche Filme im Kino laufen. Und was mich angeht: Sollte morgen ein zweites Columbine-Massaker passieren, dann würden, da bin ich mir sicher, nicht wieder alle mit dem Finger auf mich zeigen! Die Leute wissen jetzt: Es gibt Böseres als Marilyn Manson.

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