Marianne Faithfull in "Irina Palm":Der Trick mit der Thermoskanne

Sie war die Schönste von allen im Swinging London der 60er - jetzt spielt Marianne Faithfull in Sam Garbarskis "Irina Palm" die Rolle der Witwe, die zu alt ist für den Hurenjob.

Martina Knoben

Das Schockierendste an diesem Film sind die Schuhe. In plumpe Altfrauenstiefel hat Sam Garbarski seine Hauptdarstellerin gesteckt, die - in Kombination mit einem mausbraunen Mantel, dicken Strümpfen und einer voluminösen Einkaufstasche - die einstige Geliebte Mick Jaggers und Ikone des "Swinging London" Marianne Faithfull in eine schwerfällige, ältliche Witwe verwandeln. Really shocking, dieser Anblick!

Aber auch: schön scheußlich. Im Kino kommt der Mut zur Hässlichkeit immer wieder gut an, zumal wenn ihn schöne Frauen an den Tag legen. Und Marianne Faithfull war einmal die Schönste von allen, die mit dem meisten Sex-Appeal: die Prinzessin der Rolling Stones, für die Mick Jagger und Keith Richards "As Tears Go By" schrieben; das "Girl on a Motorcycle" 1968 in dem Film mit Alain Delon (deutsch: "Nackt unter Leder").

Und auch mit sechzig ist Marianne Faithfull noch immer eine strahlende Erscheinung und hat, um die Rolle der Vorstadt-Oma auszufüllen, richtig ackern müssen: einige Pfunde zugelegt, sich die Haare braun gefärbt, die Körpersprache einer Frau eingeübt, die am liebsten so unsichtbar wäre wie das Häuschen, in dem sie lebt, das sich mit vielen ganz gleichen Arbeiterhäuschen in der Straße ausrichtet zu einem adretten Quadrat.

Vollkommen deplatziert

Die Verwandlung hat Marianne Faithfull bei der Berlinale viel Beifall eingebracht. Dass sie nicht eine einzige Minute im Film Marianne Faithfull gewesen sei, wie sie sagt, ist aber natürlich nur halb richtig. Wenn "Irina Palm" Spaß macht - obwohl der Film nicht vollkommen ist, immer wieder den Schwanz einzieht, wenn es drauf ankommt -, dann weil in der braven Oma natürlich von Anfang an die Diva und der Exjunkie steckt. Woher hätte Maggie wohl sonst eine solche Stimme?

"Ich wette, dass Sie nicht mal ,fuck' sagen können", provoziert sie der Betreiber des Sexklubs, in den Maggie gestolpert ist, um sich zu bewerben, als Putzfrau und Kellnerin, wie sie denkt. "Hostess gesucht, exzellente Bezahlung" stand draußen auf einem Schild. Marianne Faithfull ist die erste gewesen, die das F-Wort ausgesprochen hat in einem nicht indizierten Film, "I'll Never Forget What's is Name", - Maggie aber steht wortlos auf und geht. Aber sie kommt wieder, obwohl sie begriffen hat, worum es bei dem Job geht. Nur sehr viel Geld, für eine Operation in Australien, kann ihren todkranken Enkel vielleicht noch retten. Man möchte - nicht Maggie, die ist zu nett, aber dem Drehbuchautor - für die Erfindung einer solchen Notlage einen Tritt geben.

Weil Maggie zu alt ist für den richtigen Hurenjob, der Sexklubbesitzer sich jedoch viel von ihren zarten Händen verspricht, wird die Oma, zunächst auf Probe, in ein Kabuff gesteckt, in das Männer anonym durch ein Loch in der Wand ihre Schwänze stecken - ein japanisches Patent! Eine junge Kollegin, Luisa, demonstriert der schockierten Maggie, was sie dann zu machen hat.

Wenn ihr Tango tanzen könnt, dann kann euch nichts passieren", war der Leitspruch in Sam Garbarskis erstem Film, der "Der Tango der Rashevskis" hieß und ein schönes Temperament zeigte, Eigensinn, Verführungskunst und ein gewisses Maß an Brutalität. Die Sicherheit, die der Tango-Spruch verspricht, scheint auch Maggie einzuhüllen: Unscheinbar, schüchtern und vollkommen deplatziert ist sie in diesem Sexklub - und strahlt dabei eine so unverrückbare Zielstrebigkeit aus, dass es immer wieder komisch, aber nie peinlich ist, ihr beim Geldverdienen zuzusehen.

Dabei wird ein schönes Geheimnis um Maggies Hände gemacht, die nicht schön sind, fast ein bisschen geschwollen aussehen wie die verbrauchten Hände einer Hausfrau. Und doch knüpft der Film das Versprechen paradiesischer Freuden daran - eine reizvolle Diskrepanz, die noch betont wird durch die peinlich-berührte Aufmerksamkeit, die Maggie selbst diesen nun besudelten Händen schenkt. Weil Maggie so beliebt ist, bekommt sie einen Künstlernamen: Irina Palm. Palm ist im Englischen die Handfläche, und Palmieren nennen Zauberer die Technik, Gegenstände in der Hand verschwinden zu lassen.

Zerfetzt von Alkohol und Drogenexzessen

Wer sich nun einen Film verspricht, in dem zu sehen ist, wie sich eine Frau daran gewöhnt, die Penisse fremder Männer anzufassen, wird enttäuscht werden. "Irina Palm" ist ein Familienfilm, in dem kein einziger Schwanz zu sehen ist - sie werden alle mit komischem Einfallsreichtum durch Requisiten wie eine Thermoskanne verdeckt. Weshalb die Hure, die Maggie nun ist, beinahe keusch und ein wenig langweilig vor uns steht.

Mit einer Heldin, die vor der Kamera realen Sex praktiziert, hätte dieses Heiligenbild aus dem Londoner Soho aber wohl kaum funktioniert. Richtig ärgerlich wird es allerdings , wenn es um die Figur des Sexklubbetreibers Miki geht. Miki Manojlovic verkörpert ihn sehr sexy und souverän. Die Brutalität und Kaltherzigkeit dieses Zuhälters - was sonst ist Miki -, wird im Verlauf des Films jedoch einfach weggeblendet.

Mit ihrer von Alkohol und Dorgenexzessen zerfetzten Stimme, die schon damals so reif klang wie ein guter Käse - so hat Marianne Faithfull sie selbst beschrieben - hat sie 1979 ihr Comeback als Sängerin geschafft, nach der Trennung von Jagger, nach einer Fehlgeburt, dem totalen Absturz in die Drogensucht. Und hat mit "Die Ballade von Lucy Jordan" einen der schönsten Popsongs überhaupt interpretiert, über ein ungelebtes Leben und die Sehnsucht nach einer Cabrio-Fahrt durch Paris, mit dem warmen Wind in den Haaren. Und im Rückblick auf Marianne Faithfulls Leben entsteht dann auch in der Figur der Maggie doch so etwas wie ein Vexierbild, aus dieser Verbindung von Sex und Unschuld, die "Irina Palm" suggeriert.

IRINA PALM, Bel/F/ D 2007 - Regie: Sam Garbarski. Buch: Martin Herron, Philippe Blasband. Kamera: Christophe Beaucarne. Schnitt: Ludo Troch. Musik: Ghinzu. Mit: Marianne Faithfull, Miki Manojlovic, Kevin Bishop, Siobhán Hewlett. X-Verleih, 1003 Minuten.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: