Süddeutsche Zeitung

Marianne Crebassa:"Menschen, die sich auf der Bühne umarmen!"

Lesezeit: 3 min

Die Mezzosopranistin Marianne Crebassa über das Corona-Konzept und die Probenarbeit der neuen Salzburger "Così fan tutte"-Inszenierung

Interview von Egbert Tholl

Vor drei Jahren sang Marianne Crebassa den Sesto in Peter Sellars' Inszenierung von Mozarts "La clemenza di Tito" bei den Salzburger Festspielen. Nun kehrt die 1986 geborene Französin, bewunderter Nachwuchsstar des Mezzosopranfachs, zurück und singt die Dorabella in Mozarts "Così fan tutte". Regie führt Christof Loy, die musikalische Leitung hat Joana Mallwitz. Wegen der Corona-Maßnahmen wurde das Werk um mehr als eine Stunde gekürzt.

SZ: Frau Crebassa, haben alle Ihre Arien die Streichungen überstanden?

Marianne Crebassa: Ja. Aber es geht nicht allen so. Es gab drastische Kürzungen, es ging ja nicht anders wegen der Hygiene-Bestimmungen. Keine Pause! Also gab es Kürzungen in den Ensembles, den Rezitativen und bei wenigen Arien.

Kann das gerade bei "Così" nicht auch gut für die Aufführung sein?

Joana Mallwitz und Christof Loy brach das Herz bei den Kürzungen, aber ich denke, am Ende haben wir das Beste daraus gemacht. "Così" kann eine Verknappung vertragen, diese Oper kann schon recht lang werden.

Veränderte sich dadurch die Struktur?

Nein, es bleibt dieselbe Geschichte. Und Christof Loy war sehr gut darin, die Kürzungen plausibel zu machen.

Mögen Sie die "Così"?

Ja, weil diese Oper das echte Leben abbildet, nicht einfach schwarz-weiß ist und ein bittersüßes Ende hat. Mozart hat oft und hier speziell eine Ensemble-Oper geschrieben, in der es darum geht, gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Das liebe ich sehr.

Trotz des eher grotesken Librettos?

Ja, das kann grotesk wirken, wenn man nur den Witzen folgt. Aber wie in allen DaPonte-Opern Mozarts muss man die Subtilität auf die Bühne bringen.

Wie wird die Groteske der Verkleidung der beiden Liebhaber gelöst?

Nun, es ist einfach ein anderes Kostüm. Keine großartige Verkleidung. Die beiden Jungs benehmen sich vor allem anders. Das reicht, um die Mädels zu täuschen. Theater ist der Ort der Imagination, und das Publikum kann Sachen sehen, die man ihm nicht zeigt.

Sie sind eine Sängerin, die mit außerordentlicher Wahrhaftigkeit auf der Bühne beeindruckt. Worin liegt diese für Sie in der artifiziellen Konstruktion der "Così" ?

Daran haben wir tatsächlich viel gearbeitet. Wir haben für die Situationen, die grotesk wirken mögen, versucht, Äquivalente zu finden, die jeder kennt. Ich suche die Wahrhaftigkeit im Gefühl, in der Art, wie ich mich bewege, spiele. Das Gefühl muss wahr sein für die Figur, die ich verkörpere. Das ist das, was man immer suchen muss. Oper ist artifiziell, die Opernstimme ist artifiziell. Es ist nicht normal für einen menschlichen Körper, mit 120 Dezibel zu singen. Aber wir tun das. Oper bedeutet, etwas völlig Künstliches zu nehmen und auf der Bühne glaubhaft zu machen, ihm eine Bedeutung zu geben.

Wie war das, als Sie in einer Band sangen?

Ich sang Popsongs, da war ich zwischen 16 und 22 Jahren alt. Das war mein Sommerferien- und Wochenendjob. Ich machte alles, ich sang in Restaurants, Cafés, auf Hochzeiten. Ich lernte, auf der Bühne zu stehen, und die Leute trinken irgendwas und kümmern sich nicht wirklich darum, was du da oben machst. Bei meinem ersten Opernauftritt waren 2000 Leute nur da, um mir zuzuhören. Da war ich wirklich dankbar.

Wie hat das Virus die Proben beeinflusst?

Wir waren immer in einem Raum mit denselben Menschen, kein Kontakt zu jemanden außerhalb der Produktion. Wir Sänger mussten keine Maske tragen, wurden aber jede Woche getestet. Das Orchester wurde übrigens auch getestet. Die Festspiele haben ein gutes System von Gruppen erfunden, die eine bestimmte Farbe auf ihrem Festivalausweis haben. Sänger sind die rote Gruppe, und wenn jemand den roten Punkt auf dem Ausweis sieht, muss er Abstand halten. Das hat gut funktioniert.

Sie ist eine Sängerin, bleib ihr fern!

Nicht ganz so, aber die Leute sind sehr respektvoll damit umgegangen. Wir fühlten uns selbst auf der Bühne sicher, wir waren eine geschlossene Gruppe. Natürlich mussten wir außerhalb vorsichtig sein. Da ging dann auch niemand auf eine Party. Wir nahmen das sehr ernst, auch weil wir so glücklich über das waren, was wir auf der Bühne tun durften. Mit der kleinen Aufregung, dass niemand weiß, was passieren wird. Wir haben keine Kontrolle über das Virus. Aber wir waren glücklich zu zeigen, dass es auch in schwierigen Zeiten möglich ist, Musik am Leben zu erhalten. Wo wir schon im Alltag nicht vernünftig Grüß Gott sagen oder einander umarmen dürfen. Und das gilt ja für alle Menschen.

Sie dürfen sich aber auf der Bühne nahekommen, weil Sie alle getestet sind?

Ja. Auch Freunde und Eheleute, die zu uns gehörten und kamen, wurden getestet.

Im Prinzip gibt es also für das, was Sie auf der Bühne tun, keinen Unterschied?

Nein, keinen. Diejenigen, die Proben besuchen durften, waren so glücklich, das erlebt zu haben: Menschen, die sich auf der Bühne umarmen! Für das Publikum wird es vielleicht ein bisschen anders sein, weil empfohlen wird, Masken zu tragen. Aber: Ich glaube, es ist momentan sicherer, in diese "Così" zu gehen als in einen Supermarkt. Gestern war ich in der Generalprobe von "Elektra" und trug meine Maske.

Blöd, wenn man Bravo rufen will.

Dann muss man halt lauter klatschen.

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Quelle:
SZ vom 01.08.2020
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