Schiller bei den Salzburger Festspielen:Allein unter Männern

Maria Stuart 2021

Ziemlich grobe Handschrift: Bevor Elisabeth (Bibiana Beglau) Marias Todesurteil unterzeichnet, zeigt sie den nackten Männern, wo der Pinsel hängt.

(Foto: Matthias Horn/Salzburger Fetspiele)

Nackte Haut statt unter die Haut: Martin Kušej inszeniert "Maria Stuart" in markigen Bildern. Warum wirkt das trotzdem so konventionell?

Von Christine Dössel

Eines muss man der "Maria Stuart"-Inszenierung von Martin Kušej lassen: Sie tut gar nicht erst so, als wolle sie Schillers "Trauerspiel in fünf Aufzügen" von innen heraus erzählen und wirken lassen, mittels eines deduktiven Regieverfahrens. Hier geht jemand mit seinem speziellen, nicht gerade chirurgischen Besteck ganz handfest von außen an das Stück heran und meißelt aus dem Text Bild-Tableaus. Mit dem Ergebnis, dass es viel zu schauen, aber wenig mitzufühlen, mitzufiebern gibt. Die Inszenierung hatte jetzt als letzte Schauspielproduktion der Salzburger Festspiele auf der Perner-Insel in Hallein Premiere und geht im Herbst an das koproduzierende Wiener Burgtheater, wo Kušej Direktor ist.

Gleich der erste Auftritt legt markig alles offen, Kušejs Methodik ebenso wie den Ausgang des Stücks: Da stürzt mit einem Schlag ein Rotschopf aus dem Schnürboden und baumelt an einem Seil hin und her. Es ist das abgeschlagene Haupt der Maria Stuart mit langer roter Mähne, und es wäre keine Knalleffektszene von Kušej, würde aus dem gekappten Königinnenhals nicht Theaterblut spritzen. Schockschwerenot. Dazu stehen 30 nackte Männer auf der Bühne, die sehnsuchtsvoll die Arme nach dem einst schönen Frauenkopf recken, denn ewig lockt das Weib.

Zwei Königinnen im Zentrum - und trotzdem ist das System von Männern dominiert

Diese 30 Komparsen, die Kušejs Inszenierung auf der Perner-Insel in Hallein optisch-ästhetisch prägen und sie wie Fleisch gewordene Säulen tragen, sind von Anfang an da. Erst sitzend, mit dem Rücken zum Publikum, dann breitbeinig stehend in immer neuer Aufstellung und Anordnung. Choreografisches Menspreading. Ein Regiemanöver mit Schau-, aber auch Ablenkungseffekt. 30 nackte Männerhintern, der Begutachtung freigegeben, denn wer sähe da nicht genauer hin - auch wenn sie sich umdrehen und schamlos ihre Vorderseite präsentieren. Die Männer bilden das Gerüst der Inszenierung, ein Körper-Korps in Reih und, ähm, Glied. Sie haben keinen Text, nur ein Geschlecht. Sie üben Druck aus mit bloßer Blöße. Wenn sie hin und wieder graue Wintermäntel überziehen, wirken sie noch mehr wie eine Armee. Wehe, wenn sie losschlagen würden.

Man darf das feministisch lesen. Schillers "Maria Stuart" ist zwar ein Königinnenstück mit zwei starken Frauenfiguren im Zentrum, but it's a man's world. Das System ist und bleibt männlich dominiert. Kušej, kein Freund subtiler Anspielungen, betont das noch dadurch, dass in seiner auf zwei Stunden vierzig gekürzten Fassung (Dramaturgie: Alexander Kerlin) andere weibliche Figuren wie Kammerfrauen und die Amme Hanna Kennedy gestrichen sind. Es gibt nur die beiden Antagonistinnen Elisabeth, Königin von England (Bibiana Beglau), und Maria, die von der Queen eingekerkerte Königin von Schottland (Birgit Minichmayr), umgeben von jeder Menge Testosteron.

Maria Stuart 2021

"Macht ist's, die mich hier unterdrückt." Birgit Minichmayr als Maria Stuart

(Foto: Matthias Horn/Salzburger Festspiele)

Die Männer sind hier zwar nicht an der Macht, aber sie haben Macht und üben Gewalt aus. Nicht nur die Inhaftierte, die in dieser Inszenierung besonders geschunden daherkommt, muss sich Übergriffigkeiten gefallen und von ihrem massigen Wärter Paulet (Typ Kiez-Türsteher: Rainer Galke) brutal anfassen lassen. Auch Elisabeth wird von ihrem Günstling und Verehrer Leicester (Itay Tiran) herrisch umklammert und grob am Kinn gepackt. Einmal trägt er sie wie eine Lebendpuppe durch den Skulpturenwald aus nackten Leibern.

"Macht ist's, die mich hier unterdrückt", lauten in Kušejs Strichfassung bedeutungsvoll die ersten Worte, gesprochen von Maria Stuart. Sie meint damit ihre Kerkersituation, ihre unbotmäßige Inhaftierung durch Elisabeth, die Marias Herrschaftsansprüche auf den englischen Thron fürchtet, zielt damit aber natürlich auch kernbotschaftsmäßig auf die so offensiv sie umgebende Männergesellschaft. Birgit Minichmayr, die Marias Unglück roh hinausspuckt, sieht in dieser Szene aus wie ein Folteropfer vor der Hexenverbrennung, das Gesicht fahl geschminkt, mit bitteren Zügen, das Haupt mit dem flammend roten Perückenhaar gebeugt, nicht aber ihr Trotz und ihr Wille, die sich raukehlig und stolz immer wieder Bahn brechen. Minichmayr macht das mit minimalen Mitteln maximal eindringlich. Sie trägt eine Art Jogginghose und obenrum Nude-Look, steht da wie ein Hund an der Leine, mit einer roten Halsfessel, von der sich ein Strick wie eine Blutspur bis an die Rückwand spannt.

Dass man bei ihrem Anblick auch an Bondage und Sado-Maso-Praktiken denken muss, ist eine Assoziation, die Kušej und seine Kostümbildnerin Heide Kastler später noch öfters bedienen, etwa durch Bibiana Beglaus schwarzes Brust-Bandeau. Die nackten Männerkörper tun ein Übriges, die Szenerie gewaltsexuell aufzuladen. Mortimer, der Maria heißblütig liebt und aus dem Gefängnis befreien will, also eigentlich der "Gute" in Schillers Konstruktion, ist bei Franz Pätzold zwar ein innig sich ins Zeug legender Schönsprecher, aber doch mit Vorsicht zu genießen. Seine würgegriffige Liebeserklärung an Maria gerät beinahe zur Vergewaltigung: "Ich will dich auch besitzen!"

Ein Theater der deutlichen Zeichen

Das nüchtern-abstrakte Bühnenbild von Annette Murschetz, ein geschlossener Raum mit schwarzem Sand auf dem Boden, schafft eine düstere, klaustrophobische Atmosphäre. Über den drehbaren Wandplatten aus Schaumstoff zieht sich eine Bordüre aus kalten, eckigen Scheinwerfern. Alles ist hier extrem ausgestellt. Ein Theater der Offensichtlichkeiten. Dazu passt, dass jede Figur kostüm- und symboltechnisch deutlich markiert ist. Itay Tiran sieht man die Zwielichtigkeit seines opportunistischen Leicesters schon am Lässig-Look (taubenblauer Oversize-Mantel, strähnige Haare) und der Bierflasche an. Das doppelte Spiel, das er treibt, lässt allerdings kalt, und dass er es ist, der Maria am Ende die Beichte abnimmt (statt des gestrichenen Melvil), ist eine Schnapsidee. Mortimer kommt aus Paris, daher trägt er einen modischen Pepitamantel, der gerechte Mahner Shrewsbury (Oliver Nägele) steckt im solidgrünen Mantel der Vernunft, und der Großschatzmeister Burleigh ist im Edelanzug mit Ring und Kette sofort als der (eigen)mächtige Staatsgockel und Königinnenflüsterer auszumachen, als der sich Norman Hacker dann ohnehin sehr explizit und fies in die Brust wirft.

Elisabeth wirkt im Kreis dieser Macher und Macker von vornherein sehr allein. Zwar hat sie buchstäblich die Hosen an (anfangs: einen weißen Hosenanzug) und pocht auf ihre Selbständigkeit, aber Bibiana Beglau zeigt auch die Verunsicherung und Brüchigkeit ihrer Figur, gibt ihr erstaunlich weiche Momente, lässt sie immer wieder erstarren und um Fassung ringen. Wie sie das gliedersprachlich tut, mit Beglau-typischen Minimalverbiegungen ihres sehnigen Körpers, ist faszinierend, birgt aber auch die Gefahr des Manierierten. Beim Zusammentreffen der beiden Königinnen, dem Höhepunkt des Dramas, ist sie erst die kühl sich gebende Domina. Der Lederhandschuh, den sie linkerhand trägt, hat dieselbe Auberginenfarbe wie Minichmayrs aufreizende Lederstiefel, ein verbindendes Detail zweier Rivalinnen, die auch Schwestern sein könnten. Aber die rotflammende Süffisanz, mit der Maria dann genüsslich auftrumpft, erteilt Elisabeth eine solche Niederlage, dass sie sich nicht mehr davon erholt. Was Beglau da weinend spielt, ist ein regelrechter Nervenzusammenbruch, ganz unköniglich emotional, endend mit ihrer Unterschrift auf dem Todesurteil. Und weil das Kušej-Theater eines der deutlichen Zeichen ist, malt sie Elisabeths Namen vorher noch mit Rot auf die Männerrücken.

Manche Bilder geraten aber wirklich stark. Eines der schönsten ist tatsächlich die Begegnung der beiden Frauen auf Schloss Fotheringhay: die Rivalinnen auf Distanz im leeren Raum, sich begutachtend wie bei einem erotischen Blind Date, zwischen ihnen eine Glühbirne pendelnd, die mal das Gesicht der einen, dann der anderen beleuchtet und Schatten wirft. Oder am Ende, wenn - nach einer kitschigen Maria-Himmelfahrt im Bühnennebel - Beglaus Elisabeth im roten Samtkleid wie eine Statue ihrer selbst dasteht. Von allen verlassen summt sie "God Save the Queen".

Das ist der Preis des weiblichen Machterhalts: radikale Einsamkeit. All die robusten Bilder, unterteilt durch notorische Blacks, können letztlich aber eine gewisse Konversationstheaterödnis nicht verhindern. Dazu geht es zu viel um nackte Oberfläche - und zu wenig unter die Haut.

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