„The Handmaid’s Tale“ in Freiburg:Unterwerfung der Frauen

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Mägde im Namen der Fruchtbarkeit: Lila Chrisp und Inga Schäfer in „The Handmaid's Tale“ am Theater Freiburg. (Foto: Paul Leclaire)

Margaret Atwoods dystopischen Roman „The Handmaid’s Tale“ gibt es nicht nur als Serie, sondern auch als Oper von Poul Ruders. Peter Carp hat die deutsche Erstaufführung in Freiburg inszeniert.

Von Björn Hayer

Man könnte schon all diese Bilder für die Hölle auf Erden halten: verendete Tiere, der Sturm auf das Kapitol, vom Krieg zerbombte Häuser. Nachdem derlei Aufnahmen an einem vorübergerauscht sind, hat der Schrecken im Theater Freiburg noch kein Ende. Basierend auf dem 1985 erschienenen Roman „The Handmaid’s Tale“ (Der Report der Magd) von Margaret Atwood – und im Schatten evangelikaler und islamistischer Fanatiker unserer Tage – entfaltet sich auf der Bühne die Zukunft eines kruden Gottesstaates. Unterworfen werden von ihm vor allem die Frauen. Viele von ihnen haben nach einer atomaren Verseuchung ihre Fruchtbarkeit verloren, sodass jene, die noch Kinder bekommen können, zwangsrekrutiert werden. So wie die Protagonistin Desfred (Inga Schäfer). Wie zahlreiche andere wurde sie von Mann und Kind getrennt, um als „Magd“ ihrem neuen Herrn ein Kind zu gebären.

Margaret Atwoods Dystopie über die Praktiken in dem totalitären Staat Gilead hat zuletzt durch die amerikanische Serienadaption mit Elisabeth Moss in der Hauptrolle (fünf Staffeln seit 2017) neue Aufmerksamkeit erfahren. Schon 1990 hatte Volker Schlöndorff den Roman verfilmt, es gibt von dem Stoff auch ein Tanzstück des kanadischen Royal Winnipeg Ballet und seit 1998 eine Oper des dänischen Komponisten Poul Ruders und des britischen Librettisten Paul Bentley. In der – späten – deutschen Erstaufführung dieser Oper wird daraus nun ein wahres Schauerstück. Der Freiburger Intendant Peter Carp hat sich für seine Inszenierung eine monumentale Gefängnisarchitektur bauen lassen, aus deren Mitte ein Wachzimmer emporragt (Bühne: Kaspar Zwimpfer). Ganz im Sinne eines Panoptikums vermag das aufprojizierte Auge in sämtliche Innenbereiche zu schauen. Zwar gibt es in dem vielzimmrigen Komplex auch vermeintlich private Räume, doch der Überwachungsstaat ist omnipräsent. Niemand kann ihm entfliehen zwischen den ständigen Predigten und Disziplinierungsmaßnahmen der Aufseherin (Margarita Vilsone), die mit Kleidung und Frisur an Alice Weidel angelehnt ist. Passend zu ihren Mantras à la „Möge der Herr uns öffnen“ dreht sich die Rondellbühne fast den ganzen Abend, ganz so, als würde sie selbst den Figuren die Dogmatik einfräsen und das scheinbar unaufhaltbare Schicksalsrad antreiben.

Befreite Frauen - eine Horrorvision für die Machthaber im totalitären Staat Gilead. (Foto: Paul Leclaire)

Dabei regt sich längst Widerstand im Untergrund. Zu viele wurden wegen Homosexualität oder Abtreibungen an den dicken Mauern aufgehängt, als dass einige weiter wegsehen können. Für Desfred kommt diese Hilfe zu spät. Unversehens hat sie den Zorn der Gattin ihres Hausherrn auf sich gezogen, der sie in eine illegale Affäre gedrängt hat. Ihre Verhaftung lässt nicht auf sich warten. Ob ihr irgendwann noch die Flucht geglückt sein mag, bleibt ungewiss.

Diesen Angstapparat inszeniert Carp so solide wie erwartbar, indem er das reaktionäre Setting in eine umfassende Biederkeit übersetzt: etwa mit den uniform-roten Kleidern für die Mägde und Wächterinnen, die Assoziationen zu KZ-Angestellten wecken, oder mit der wenig überraschenden Haftanstalt als Kulisse. Was dieser zur perfekten Anlage fehlt, ist der Charakter – eine Regie, die sich um starke, auch unkonventionelle Bilder müht. Einzig jene eingeschobenen Szenen, in denen Desfred sich vom Bühnenrand aus an ihre kleine Familie erinnert, wirken eindringlich.

Percussion und Blechbläser preschen wie apokalyptische Reiter in den Gesang

Dass die Aufführung dennoch sehenswert ist, verdankt sich der Komposition von Poul Ruders. Sie erzeugt Tiefensog, wo die Bildebene an der Oberfläche kratzt. Mit einem wiederholenden, düsteren Moll-Akkord sowie dissonanten Passagen schafft sie eine intensive Atmosphäre des Unbehagens. Bisweilen stellen sich einem die Nackenhaare auf, wenn Percussion und Blechbläser wie die apokalyptischen Reiter in den Gesang hineinpreschen. Ironisch der Einsatz der Orgel. Wie ein Zuckerguss legt sich ein sakraler Ton über die Indoktrinationssitzungen. Augenblicke der Hoffnung deuten sich im mehrfach vorkommenden „Amazing Grace“ an, das sogleich wieder unter den anderen Stimmen begraben wird. Und zwar rigoros. Denn Ektoras Tartanis peitscht sein Orchester kraftvoll durch den Abend, mal in Marschrhythmen, mal im hektisch aufwühlenden Unisono. Das Ergebnis: Wucht und stets erneute Wucht.

Somit verweigert auch die Musik ein Außerhalb. Ihren eingefahrenen Bahnen gleicht der verordnete Tunnelblick der Mägde unter ihren weißen Sichtschirmen. Den Zuschauern weist die Inszenierung eine größere Perspektive: Konsequent dekliniert sie die Entstehung und Verfestigung von Diktaturen durch – Mahnmal für eine Gesellschaft, die zunehmend empfänglich für rechten Populismus wird. Dessen Antworten scheinen manchen so verführerisch wie der himmlische, die gesamte Aufführung beherrschende Sopran. Aber Engelszungen sind trügerisch – zumal der einst wohlklingendste unter den Himmelsboten bekanntlich das Übel in die Welt brachte. 

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