Marcus Steinweg: "Quantenphilosophie":Besser lesen

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Beim Denken hilft es, vereinfacht gesagt, Perspektiven zu öffnen, oder als Theatermetapher: "Ein bisschen die Kulissen umstellen" (Foto: Adam Burn/imago)

Kunstphilosoph Marcus Steinweg über schwierige Texte.

Von Helmut Mauró

Wie jeder anständige Philosoph ist Marcus Steinweg ein Suchender. Ein Suchender allerdings, der sein Geschäft etwas weniger schwermütig betreibt als die meisten Kollegen, denen er sein Grübeln widmet. Ludwig Wittgenstein steht ganz oben auf Steinwegs Liste stets lohnender Lektüre, aber auch Samuel Beckett und, beinahe schon als private Vorliebe: Franz Kafka. Steinweg bewundert dessen Kühnheit, das Groteske ernst zu nehmen als Quelle wahrhaftiger Erkenntnis. "Bei Kafka wird nicht gelitten", heißt die Überschrift zu einem der zahlreichen Kurzkapitel, die Steinwegs jüngstes Büchlein "Quantenphilosophie" ausmacht. Ein- bis zweimal im Jahr liefert der Professor für Kunst und Theorie an der Kunstakademie Karlsruhe solch schmalformatige Bändchen erhellender Meta-Lektüre.

Kafka gehe es darum, "mit den Mitteln der Sprache an ihr Unmögliches zu rühren", das Pathos des Narzissten zu zerstören, an dem, so kann man sinngemäß ergänzen, sich Wittgenstein noch abarbeitet. Der hat dafür wunderbare Varianten seines Kernsatzes aus dem Tractatus Logicus parat. Wittgenstein, schreibt Steinweg, erwarte von Musik und Dichtung, wie von Kunst überhaupt, dass sie vor dem Unaussprechlichen haltmache - statt Tiefe zu mimen. Für ihn zählten nur Kunstwerke, die zum Unaussprechlichen einen Abstand wahren, statt es gierig hervorzuwühlen. Also das, was man in alter Zeit als Gefühl des Anstands, als Merkmal des Zivilisierten empfand? Dann wäre es im Bezug auf zeitgenössische Kunst unhaltbar. Steinweg setzt deshalb nach mit Wittgensteins zeitloser Begründung: "Wenn man sich nicht bemüht das Unaussprechliche auszusprechen, so geht nichts verloren. Sondern das Unaussprechliche ist - unaussprechlich - in dem Ausgesprochenen enthalten!"

Vielleicht will er ein wenig verzaubert werden, vielleicht sucht er Reinheit

Steinweg unternimmt jedenfalls keine sichtbare Anstrengung, die Kollegen zu erklären und Komplexes unnötig zu vereinfachen. Und doch ermutigt das Nachvollziehen seines Lesens zu sicherem Verständnis und kreativer Beobachtung. Dabei hilft eine Haltung, die man teilnehmende Distanz nennen könnte, eine nie gelingende, gleichwohl optimistische Annäherung. Zum Beispiel durch einfache Reflexion des Denkprozesses. "Ein bisschen die Kulissen umstellen, wie Foucault es ausdrückt, dürfte Minimalanforderung an jedes Denken sein, das sich seiner Theatralik öffnet, seiner Gestelltheit und Bühnenapparenz", lautet die verkürzt wiedergegebene Anleitung dazu. Steinwegs Hang zum Theater ist unverkennbar, er liebt miniaturhafte Inszenierungen: "Stell dir eine Schlafende mit zitternden Schläfen vor. Den Kopf auf deinen Arm gedrückt. Die Züge entspannt. Der Atem unhörbar. Träumend überzeugt sie dich davon, dass Nancy recht hat, zu behaupten, dass die Seele niemals schläft."

Jean-Luc Nancy, von Derrida und Heidegger kommend, auch so ein Liebling Steinwegs, der den Spagat von Phänomenologie und Dekonstruktion zelebriert, so wie Jacques Lacan Philosophie und Psychologie wieder zusammenführt, nachdem seine Vorgänger in mühsamer Anstrengung beides getrennt hatten. Steinweg zieht es magisch in diese Gegenbewegungen. Vielleicht will er nur ein wenig verzaubert werden, vielleicht sucht er auch die Reinheit, einen "Weg aus der Immanenzzone", den die "Musik als Paradigma der Versuchung" am ehesten aufzeigt. Darin sieht Steinweg Wittgenstein und Kierkegaard einig. Und Nietzsche, der einer an John Cage gemahnenden Anekdote nach in einem Bordell ans Klavier ging und einen einzigen Ton anschlug - Reinheit oder das Ende der Dialektik? Steinweg zieht es zu Kierkegaard. Die einzig adäquate Existenzform des Denkenden/Liebenden sei die Leidenschaft fürs Offene.

Marcus Steinweg: Quantenphilosophie. Matthes & Seitz, Berlin 2021. 223 Seiten, 16 Euro. (Foto: N/A)
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