Von SZ-Autoren:Lothar Müller über Prousts Vater

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Wieso taucht der Vater bei Proust eigentlich kaum auf? Lothar Müller hat nachgeforscht.

Eigentümlich verschattet ist der Vater des Erzählers in Marcel Prousts großem Romanzyklus "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Unübersehbar steht die Mutter im Vordergrund. Aber ein Schwarm von Ärzten und Kranken durchzieht den Roman. Neurastheniker werden mit Seerosen verglichen, und in einer Salonsottise taucht der erst vor kurzem als Choleraerreger enttarnte Kommabazillus auf. Er führt in die Welt des Vaters von Marcel Proust. Adrien Proust war Klinikarzt und prominenter Hygieniker, Chef des Gesundheitswesens der Dritten Republik, oberster Seuchenbekämpfer und Vertreter Frankreichs bei den Internationalen Gesundheitskonferenzen und zudem Autor einer Vielzahl von Büchern und einer unübersehbaren Menge amtlicher Schriften, zu denen auch der Austausch mit Robert Koch gehörte. Lothar Müller, langjähriger Redakteur und Autor der SZ, bringt Sohn und Vater durch eine Parallellektüre ihrer Werke erstmals zusammen und legt die Verbindungslinien frei zwischen der Lebenswelt des Vaters und dem großen Romanwerk des Sohnes. Er zeigt, wie in Literatur und Medizin die Innenwelten neu erschlossen wurden und die europäischen Kolonialmächte um den realen Orient rivalisierten, während in der Literatur der Zauber von "Tausendundeiner Nacht" beschworen wurde.

Lothar Müller: Adrien Proust und sein Sohn Marcel. Beobachter der erkrankten Welt. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2021. 224 Seiten, 22 Euro.

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