"Marat"-Aufführung:Die Armen sind gut, die Reichen böse

Chöre von Hartz-IV-Empfängern und ein zertrümmerter Mercedes: Volker Lösch inszeniert am Hamburger Schauspielhaus Systemkritik mit dem Holzhammer.

T. Briegleb

Man kann Volker Lösch nicht vorwerfen, er benutze die Bankenkrise dazu, um jetzt mit antikapitalistischen Feindbildern Wirkung zu erzielen. Denn Volker Lösch war schon immer so. Seit er vor ein paar Jahren im Theater auf sich aufmerksam machen konnte, verdankt er das einer symbolischen Bildsprache, die dem Publikum gnadenlos einhämmert, dass hier ein Regisseur mit systemkritischer Haltung arbeitet.

"Marat"-Aufführung: Die Schauspieler Jana Schulz (als Charlotte Corday) und Marco Albrecht (Duperret) in "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?".

Die Schauspieler Jana Schulz (als Charlotte Corday) und Marco Albrecht (Duperret) in "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?".

(Foto: Foto: dpa)

Seine Dresdner Umarbeitung von Hauptmanns "Die Weber" zu einem Agitprop-Stück für Wende-Verlierer 2004 - das wegen der Klage von Sabine Christiansen gegen eine Textpassage, die zum Mord an ihr aufrief, die rechte Skandalreife bekam - versammelte bereits alle stählernen Argumente, mit denen Lösch nun auch in Hamburg aufschlägt. Chöre von Hartz-IV-Empfängern, die Leid und Zorn schreien, einschüchternde Riesen-Logos von deutschen DAX-Unternehmen, Medienpersönlichkeiten, die zynisch mit Armut umgehen, und Szenen von banaler Anschaulichkeit wie die Zertrümmerung eines goldenen Mercedes.

Mit der gleichen Rezeptur für die kurze Aufmerksamkeit verwandelte Lösch nun Peter Weiss' Revolutionsreflexionen "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade" am Hamburger Schauspielhaus in Flugblatt-Rhetorik.

Eine Logo-Kreuzung aus Aldi und Lidl schmückt eine bühnengroße Gummizelle, in der die Hartz-IV-Empfänger als Chor nach der Verbesserung ihrer Lage rufen. Eine Jürgen-Klinsmann-Figur bringt ihnen mit unorthodoxen Trainingsmethoden bei, ihr Elend besser schweigsam zu ertragen. Und davor wechseln de Sade und Marat mehr die Verkleidungen als Argumente.

Anhänger anarchistischer Utopien

Von der vielschichtigen Betrachtungsweise über Nutzen und Schaden von Volkserhebungen, die Weiss Anfang der sechziger Jahre für zwei komplizierte Persönlichkeiten in einer absurden Lage geschrieben hat, verwendet Lösch lediglich Fragmente, die ihm für einen Karikaturenwettstreit dienen.

Der philosophische Pessimist und Connaisseur de Sade wird bei Marion Breckwoldt zum egoistischen Poltergeist. De Sades skeptische Haltung zur revolutionären Erregung, die doch nur in neuer Unterdrückung enden würde, reduziert sich bei den wenigen Ausdrucksmöglichkeiten dieser Schauspielerin zu lautstarker Besserwisserei und Ekelszenen. Wenn Breckwoldt als de Sade sich selbst Fett absaugt, das sie anschließend wieder aufisst, dann ist damit die ganze Deutbarkeit dieser Figur erschöpft. Egozentrik und Hemmungslosigkeit disqualifizieren für einen konstruktiven Dialog.

Den will Lösch aber auch gar nicht. Denn auch Marats Mischung aus Gerechtigkeitssinn, Anteilnahme, Eitelkeit und Verblendung, mit der Peter Weiss Charisma und Hybris von Führerpersönlichkeiten umrissen hatte, verwandelt Lösch in Sprechblasen absondernde Wachsfiguren. Der Schauspieler Achim Buch dient hier lediglich als Kostümfüllung für die Reinkarnationen des Volkstribuns.

Marat in der Badewanne nach dem Gemälde von Jacques David taucht wieder auf als deklamierende Lenin-Statue, als Fidel Castro, der den Hunger des Volkes nicht versteht, und Rudi Dutschke, der Strickpullover an die Armen verteilt, um schließlich Oskar Lafontaine als Phrasendrescher und Schürzenjäger zu sehen, den das Schicksal der Ermordung beim Geschlechtsakt ereilt. Diese vollständige Entblödung linker Hoffnungsträger lässt nur den Schluss zu, dass Lösch ein Anhänger anarchistischer Utopien ist, in denen das Volk sich selbst verwaltet.

Als Bühnenvolk besteht dieses aus zwei Dutzend Empfängern von Transfereinkommen, die unter der Leitung von Löschs Chorleiter Bernd Freytag und mit beeindruckender rhythmischer Geschlossenheit drei Rollen zu erfüllen haben.

Populismus pur

Bevor das eigentliche Stück beginnt, erzählen sie - wie einst in Dresden - drastische Szenen vom Leben ohne Geld und beschreiben ihre Gefühle von Scham und Schuld. Dies ist der einzige würdevolle Moment dieser Inszenierung.

Im eigentlichen Stück agieren sie uniformiert und dressiert als hirnlose Masse, die zu Gehorsam wie zu Aufruhr gleichermaßen zu verwenden ist. Hier vermischen sich bei Lösch Hochmut und Unverstand zu einem merkwürdigen Akt menschlicher Degradierung.

Schließlich übergießt sich das arme Volk in einem Epilog mit Blut und liest die Einkommen der 28 reichsten Hamburger vom Blatt (vier dieser Millionäre hatten bereits vorab dagegen protestiert und mit einer einstweiligen Verfügung gedroht, weshalb in ihrem Fall das anwaltliche Schreiben zitiert wurde). Dazu gibt es anarchistische Parolen für eine radikale Umverteilung von Reichtum und Macht: Populismus pur.

Das Erstaunliche an dieser Inszenierung ist, dass sie mit ihrer ganzen primitiven Symbolik trotzdem zu keinerlei Stoßrichtung findet. Klar ist lediglich, dass für Herrn Lösch die Reichen böse und die Armen gut sind. Wie man mit dem Schlamassel aber nun umzugehen hat, mit welchen Ideen wir neuerlichen Weimarer Verhältnissen entgehen, und wer eigentlich politische Kraft entwickeln soll, wenn das Volk unmündig, die Volksvertreter korrupt und dumm und der Feind anonym und mythisch mächtig ist, darüber schweigt Volker Lösch.

Bei der immer wieder geäußerten Zuschreibung, Volker Lösch betreibe politisches Theater, kann es sich deshalb nur um ein Missverständis handeln. Denn politisches Theater stellt immer eine Haltung zur Diskussion. Lösch aber tut nur so, als kritisiere er Verhältnisse. Tatsächlich behandelt er den Menschen nach einem denunziatorischen Schwarz-Weiß-Schema, das eher ungefährlich ist, da es ihm so häufig unbemerkt verrutscht, dass am Ende alle Meinung grau ist. Und deswegen können auch die wohlhabenden Hamburger Theaterbesucher zu dieser Inszenierung klatschen. Sie besitzt in ihrem ganzen Lärm so wenig politische Konsequenz wie ein Parkplatzstreit.

Dass nach dem Absaugen des Inhalts auch die leere Form nicht mehr den Titel des Originals trägt, ist das einzig Aufrichtige an dieser Inszenierung. Kurz vor der Premiere wurde das Stück dem Regisseur, der Dramaturgin und dem Ensemble zugeschlagen und in "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?" umbenannt. Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Die Revolution kostet 7,50 Euro. Das ist der Preis einer Theaterkarte für Hartz-IV-Empfänger am Schauspielhaus Hamburg.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: