Manon Garcias Buch "Wir werden nicht unterwürfig geboren":Eine unmoralische Angelegenheit

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Alles ist eine soziale Konstruktion: Barbie-Börse in München. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die französische Philosophin Manon Garcia will in ihrem neuen Buch zwei widersprüchliche Dinge zueinanderbringen: die Auflehnung gegen das Patriarchat und die Lust an der Unterwerfung.

Von Susan Vahabzadeh

Der feministische Diskurs befremdet viele Frauen, weil sie sich darin nicht wiederfinden. Anders gesagt: Gute Teile der feministischen Literatur sind nicht für den Fall gerüstet, dass Frauen einen oder sogar mehrere Männer tatsächlich lieben. Die französische Philosophin Manon Garcia, Professorin in Yale, will realistisch sein und glaubt nicht daran, dass sich dieser Widerspruch so schnell auflöst. Also versucht sie, in ihrem Denken zu berücksichtigen, dass es inzwischen im Westen ziemlich viele Freiheiten gibt, sich Frauen aber auch weiter unterordnen: den überbrachten Maßstäben von Attraktivität etwa oder den männlichen Anforderungen an eine Beziehung oder den Ansprüchen einer Familie.

Garcia will in ihrem neuen Buch zwei widersprüchliche Haltungen zueinanderbringen: die Auflehnung gegen patriarchale Strukturen und die Lust an der Unterwerfung. Die Unterwerfung, so Garcia, ist - aus einer männlichen Perspektive der Dominanz betrachtet - durch die gesamte Philosophiegeschichte hindurch eine zutiefst unmoralische Angelegenheit, und weite Teile des Feminismus sparen sie verschämt aus.

Was aber, wenn die Unterwerfung absichtsvoll geschieht? Schon die Frage klingt ketzerisch, sie hat aber schon 1949 Simone de Beauvoir in ihrem berühmtesten Buch "Das andere Geschlecht" beschäftigt. Der Titel, den die deutsche Ausgabe von Garcias Buch trägt - "Wir werden nicht unterwürfig geboren" - ist allerdings nicht ganz korrekt übersetzt. Im Original heißt es: Wir werden nicht unterworfen geboren. Die Liebende in Beauvoirs "Das andere Geschlecht" opfert sich nur auf, weil der Mythos von der Liebe ihre Situation erträglich macht. Manon Garcia sieht das durchaus ein. Nur bedeutet das für sie nicht, dass sie unterworfen wird, sondern dass sie sich unterwirft. Sie ist nicht passiv.

Garcia unternimmt den seltenen Versuch, Feminismus tatsächlich für alle Frauen zu denken

Am Erhalt der patriarchalen Gesellschaftsstruktur, findet Garcia, sind Frauen beteiligt. Man muss ihr in ihren Interpretationen nicht immer folgen, in ihren Schlussfolgerungen schon gar nicht. Aber sie unternimmt den seltenen Versuch, Feminismus tatsächlich für alle Frauen zu denken.

Manon Garcia ist eine Spezialistin für Simone de Beauvoir und sie besteht nicht nur darauf, dass "Das andere Geschlecht" immer noch das Standardwerk der feministischen Theorie und - von ein paar veralteten biologischen Details im ersten Teil abgesehen - ganz und gar nicht überholt ist; sie will auch zurück zu einem ursprünglichen Kernpunkt der Gleichberechtigungsdiskussion: der Bewertung. Soll heißen: Garcia verteufelt keinen Lebensentwurf. Sie will bloß bestimmte Lebensentwürfe verstehen und neu einordnen - und ein Bewusstsein dafür schaffen, wie Frauen selbst zu ihrer gesellschaftlichen Unterordnung beitragen. Man könnte sagen: Die meisten Frauen müssten sich erst einmal klar darüber werden, was für eine Gesellschaft sie eigentlich schaffen - und worauf sie nicht verzichten wollen.

Mit der Vorstellung von der Fluidität der Geschlechter kann Garcia wenig anfangen. Eine Frau ist für Garcia eine Frau. Geschlechterfluidität aus Beauvoirs Büchern abzuleiten, hält sie für ein Missverständnis. Der berühmteste Satz aus "Das andere Geschlecht" wird gern isoliert zitiert: Als Frau wird man nicht geboren, zur Frau wird man gemacht. Gemeint ist damit schlicht, so Garcia, dass es kein Individuum außerhalb einer sozialen Situation gibt. Alles ist soziale Konstruktion und somit im Falle des Falles durch eine andere, von der Gesellschaft entworfene Konstruktion ersetzbar.

Manon Garcia: Wir werden nicht unterwürfig geboren - Wie das Patriarchat das Leben von Frauen bestimmt. Aus dem Französischen von Andrea Hemminger. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 234 Seiten, 26 Euro. (Foto: N/A)

"Wir werden nicht unterwürfig geboren" ist über weite Strecken eine Art kommentierte Lektüre von "Das andere Geschlecht" unter dem besonderen Gesichtspunkt der Unterwerfung, mit kleinen Exkursionen ins Jetzt. Es gibt etwa ökonomische Analysen, bei denen es darum geht, warum Unterwerfung zwar mit Wonne empfunden werden kann, für die Unterworfene dann aber immer noch nicht gut ist. Garcia arbeitet einen wesentlichen Unterschied heraus: Nicht eine Gruppe dominiert hier eine andere Gruppe, die Industriellen die Arbeiter beispielsweise, die Hierarchie stellt sich vielmehr auch in individuellen Beziehungen her. Und diese Unterwerfung hat manchmal sogar einen Nutzen.

Was ist für sie also Unterwerfung? Für Garcias Kronzeugen Rousseau ist alle Unterwerfung ein Verbrechen gegen die menschliche Natur. Der Mensch ist in Freiheit geboren, alles andere widerstrebt ihn. Bei Beauvoir aber ist die Freiheit nur potenziell. Warum sollte man sie nicht wollen? Beispielweise, weil die gesellschaftliche Struktur dafür gesorgt hat, dass Freiheit für Frauen hohe soziale Kosten hat - beispielsweise, weil sie, wenn sie zu unabhängig sind, abgelehnt werden. Andererseits gibt es auch eine Macht, die sich aus der Unterwerfung ergeben kann, wenn die Frau auf diese Weise etwa zur Herrscherin über das Innere einer Familie wird. Was Garcia damit meint, kann man sich leicht vorstellen, wenn man schon mal als einzige Frau samstags beim Metzger in der Schlange gestanden und beobachtet hat, mit was für apodiktischen Aufträgen die Männchen der Gattung Mensch dort zum Anstehen abgeliefert werden ("Würschtel?" - "Nein!").

Der weibliche Körper existiert in vier Dimensionen

Die Wechselseitigkeit in persönlichen Beziehungen ändert aber nichts an der gesellschaftspolitischen Dimension von Unterdrückung. Der weibliche Körper existiert in vier Dimensionen, schreibt Garcia. Es gibt den physischen, den erlebten, den privat objektifizierten und den von der Gesellschaft objektifizierten. Bei den Männern seien es nur zwei: der physische und der privat objektifizierte. Der entscheidende Unterschied ist also: Die Objektifizierung des männlichen Körpers geschieht nur in interpersonellen Beziehungen, die des weiblichen Körpers gleichermaßen durch die ganze Gesellschaft.

Stimmt das so noch? In dem Maße, in dem Frauen sich ihre Partner selbst aussuchen, ist auch die Objektifizierung des männlichen Körpers zum Thema geworden. In der Lesart von Simone de Beauvoir sind Männer ohnehin genauso in die Welt geworfen. Damit zurechtkommen müssen auch sie. Auch sie werden von der Gesellschaft geprägt, ob sie wollen oder nicht.

Da ist aber noch etwas, was keine Gesellschaftsreform in den Griff bekommen wird, weil wir diesen Teil vielleicht auch gar nicht ändern wollen: Die Unterwerfung, schreibt Garcia, lässt sich von der Erotik nicht trennen: "Auch wenn es Rousseau missfällt - der bei seiner Verurteilung der Unterwerfung die Lust vergessen zu haben scheint, die ihm die Schläge von Madame de Warens bereiteten -, wird die Unterwerfung nicht immer als ein Verzicht auf die Freiheit erlebt, sondern erscheint zuweilen als ein Weg zu unendlichen Wonnen."

Das ist natürlich ein schöner kleiner Trick, den Garcia da anwendet. Menschen sind kompliziert, und keine zwei sind wirklich gleich. Die Vielfalt der Charaktere zu berücksichtigen, ist unendlich mühselig. Daran liegt es vielleicht, dass "Das andere Geschlecht" immer noch unvergleichlich ist in seiner Komplexität. Menschen zu analysieren, ohne dass einem sehr, sehr viele durchs mühevoll ausgedachte Raster fallen, ist gar nicht so einfach.

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