"Mank": Film von David Fincher:Denkmal für einen genialen Loser

Mank David Fincher

Die Schöne und das hochtalentierte Biest: Amanda Seyfried als Marion Davies und Gary Oldman als Herman J. Mankiewicz in "Mank".

(Foto: Netflix)

Er schrieb den unsterblichen Klassiker "Citizen Kane" und soff sich zu Tode: "Mank" alias Herman J. Mankiewicz war das aufmüpfigste Genie Hollywoods. David Fincher feiert ihn in seinem neuen Film.

Von Tobias Kniebe

Er jammert herum, humpelt nach den Folgen eines Unfalls und tapst hilflos im Bademantel durchs Haus. Meistens aber liegt er im Bett, eine deutsche Krankenschwester und eine britische Privatsekretärin müssen dafür sorgen, dass er überhaupt durch den Tag kommt, und über allem schwebt seine Gier nach Whiskey, der ihm jetzt aber verweigert wird. Würde man diesem Wrack abkaufen, dass noch ein unsterbliches Meisterwerk der Filmgeschichte in ihm steckt?

In Hollywood jedenfalls, wo er von allen nur "Mank" genannt wird und bekannt ist wie ein bunter Hund, will im Sommer 1940 niemand mehr einen Cent auf ihn wetten. Herman J. Mankiewicz, geboren 1897 als Sohn deutschstämmiger Juden in New York, galt als brillanter Schreiber für Zeitungen, Film und Broadway, als genialer Producer der Marx Brothers und als größtes Schandmaul der Ost- wie Westküste. Doch im Lauf der Dreißigerjahre, deren Stil er mitprägte, hatten noch die letzten Freunde die Geduld mit ihm verloren - alkoholkrank und spielsüchtig, wie er nun einmal war.

Nur einer glaubt in diesem Moment noch an ihn, das ist der Ausgangspunkt von David Finchers Film "Mank": Orson Welles ist gerade mal 24 Jahre alt, ein Außenseiter und Erneuerer in der Welt des Entertainments, seine Theaterstücke haben New York erobert, sein Hörspiel "War of the Worlds" die Nation geschockt und ans Radio gefesselt. Nun gilt er als Wunderkind und will die Filmwelt stürmen, und Mank ist der Autor, der ihm den Stoff dafür liefern soll: "Citizen Kane".

Glaubt man Fincher und seiner Nacherzählung, wie der wohl meistgefeierte Film der Kinogeschichte entstand, ist die seherische Wahl des Autors auch so ziemlich das Einzige, was Orson Welles am Ende zum Drehbuch beitrug. Das ist umstritten, offiziell teilen Welles und Mank sich das Skript und den Oscar, den es 1941 dafür gab. Aber wie auch immer, hier geht es darum, Mank zu feiern. Deshalb wird Wunderkind Orson auf wenige Auftritte zurechtgestutzt, und auch der Film "Citizen Kane" dreht sich, kaum ist das Skript mal fertig, quasi von selbst.

Selten hat dagegen ein Hollywoodfilm das Drehbuchschreiben so zelebriert wie "Mank", auch wenn das zunächst mal recht statisch ist - die Haupthandlung spielt zwischen dem Schlafzimmer und der Veranda der North Verde Ranch, wo Mank einquartiert wird, immerhin mit Ausblick auf die Mojave-Wüste. So lebt der Film vor allem von Rückblenden. Manks bisheriges Leben zieht an ihm vorbei und liefert ihm den Stoff, aus dem er jetzt schöpfen kann.

David Fincher zeigt das in leuchtender, nostalgischer Schwarz-Weiß-Fotografie, nach einem Drehbuch seines Vaters Jack. Der war hauptsächlich Journalist für Life, noch so ein Zeitungsmann, der vom Film geträumt hat, wenn auch beinah vergebens. Er starb im Jahr 2003, bevor sein Sohn in Hollywood genug Macht hatte, dieses Herzensprojekt zu verfilmen: "Mank" wird der einzige Filmcredit des alten Fincher bleiben. Was aber seine Hommage an Mank, der auch immer kämpfen musste, nur schöner macht.

Die Wahrheit sagt Mank den Studiobossen furchtlos grinsend ins Gesicht

Denn in Herman J. Mankiewicz, so wie "Mank" ihn sieht und Gary Oldman ihn kongenial spielt, steckt mehr, als sein trauriger Zustand vermuten lässt. Er nimmt das Geld, das Hollywood ihm nachwirft, aber er gibt seinen boshaften Witz dafür nicht auf, sieht das Showbiz und seine Verlogenheit in vernichtender Klarheit, genau wie die Welt und was Hitler darin anrichtet, weshalb Goebbels seine Filme von 1935 an auch boykottiert. Seine Wahrheit sagt er auch Bossen wie Irving Thalberg und Louis B. Mayer furchtlos grinsend ins Gesicht.

Das muss sich rächen, so viel ist klar, aber nicht sofort. Mank hat zwar keine Macht, ist aber einfach zu witzig und beliebt, als dass man ihn einfach kaltstellen könnte. Das gilt sogar für die graue Eminenz jener Zeit, die noch über Hollywood schwebt und von ihrem Märchenschloss in San Simeon alles kontrolliert: William Randolph Hearst (Charles Dance), der gefürchtete Zeitungsmagnat, der seiner Geliebten Marion Davies (Amanda Seyfried) eine Filmstarkarriere finanziert.

Dass der sehr reale Hearst jener Charles Foster Kane sein soll, der in "Citizen Kane" alles Geld der Welt besitzt und doch den Traumata seiner Jugend nicht entkommen kann, ist schon im Augenblick des Schreibens völlig klar. Hier sieht man aber, dass Mank mit dem Magnaten und seiner Geliebten auch eng befreundet war, ein ständiger Gast auf dem Schloss, berühmt für seine Gier nach Drinks, seine Sottisen und seine Ausfälle beim Dinner, etwa wenn er sich bei Tisch übergibt und gleich beschwichtigt, er habe den Fisch ja mit dem Weißwein ausgekotzt.

Das ist alles wahr, genauso wie die Tatsache, dass der angeschlagene Schreiber hier im Grunde Verrat begeht: Er ist der Hofnarr, dessen Eskapaden immer geduldet wurden, und der jetzt so wuchtig in die Hand beißt, die ihn gefüttert hat, dass ganz Amerika bald von den Schmerzensschreien widerhallt. Damit wird er zum Sicherheitsrisiko - und eine ganze Maschine setzt sich in Bewegung, um ihn zu stoppen.

Die alte Geschichte also vom angezählten Helden, der alles, was er hat, noch mal auf eine Karte setzt, sich eine letzte Großtat aus den Rippen schneidet - und dann dafür kämpfen muss, dass "Citizen Kane" seinen Namen trägt und überhaupt das Licht der Welt erblickt. Einmal steht sogar noch das fertige Filmnegativ kurz vor der Vernichtung, da hat die Nachwelt echt noch mal Glück gehabt.

Bei all dem Drama aber bleibt "Mank" leicht und ironisch - ganz im Geist jener Komödien, mit denen Mankiewicz zuerst berühmt wurde. Die Dreißigerjahre, sie waren halt doch die Zeit, in der das Kino seinen größten Witz entfalten konnte, in Reporterstücken und Screwball-Komödien, böse und unsentimental, wahr und manchmal zynisch, und doch moderner als fast alles, was selbst die Gegenwart so zustande bringt.

Herman J. Mankiewicz, das sieht man hier noch einmal, hatte einen weit größeren Anteil daran, als seine offizielle Filmografie vermuten lässt. Er war der Ostküsten-Intellektuelle, der den Geist nach L. A. brachte, er kam als Erster und holte die New Yorker Kumpels nach, Ben Hecht und Charles MacArthur, George S. Kaufman und S. J. Perelman und nicht zuletzt seinen jüngeren Bruder Joe.

Wie sie da so einmal im Raum sitzen, auf Unsinn wetten und Quatsch machen - da kann man die Filmklassiker gar nicht zählen, die aus diesen Köpfen noch kommen werden. Und deshalb hält man in diesem Moment fast den Atem an: Weil man als Nachgeborener eben weiß, wie kostbar und vergänglich das alles ist. Schon bald wird alles patriotische Anstrengung sein und richtige Gesinnung und endlose Ideologie, überall und auch in Hollywood, und Figuren wie Mank werden der Welt entgleiten, mit einem lustigen Spruch und einem traurigen Lächeln, ins Säuferdelirium.

Mank, USA 2020 - Regie: David Fincher. Buch: Jack Fincher. Kamera: Erik Messerschmidt. Mit Gary Oldman, Amanda Seyfried, Lily Collins, Charles Dance. Mehr Credits auf imdb. 131 Minuten. Auf Netflix.

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