Popkolumne:Die ganz große Kathedrale

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(Foto: N/A)

James Blake hat fiese Freunde, Porches benutzt Autotune (streng verboten!) und Maltese soll bitte, bitte sein Leben zerstören. Die Popereignisse der Woche.

Von Juliane Liebert

James Blake hat ja eine dieser Stimmen, die den einen dahinschmelzen lassen, während sie bei der anderen Gewaltphantasien induziert. Trotzdem heißt sein fünftes Studioalbum nicht "Friends That Break Your Nose", nein, der wohl ewig jungenhafte Schmachtmeister des ambitionierten Irgendwas-mit-RnB-Indies widmet sich weiterhin den gebrochenen Herzen. Den von Freunden gebrochenen diesmal. Entsprechend heißt das Album "Friends That Break Your Heart". Wer solche Freunde hat, braucht keine Parteifreunde mehr.

Der gleichnamige Song klingt ein wenig, als hätte Billie Eilish dem empfindsamen James ihre pubertären Stimmungsschwankungen überschrieben, damit sie in Ruhe die Diva geben kann. Eine Akustikgitarre bricht ein paar Mollakkorde. Der Synthesizer wärmt die Füße wie ein künstlicher Kamin. Ein paar Streicher und Woodwinds ensemblen aus der Dose dazwischen. Die Erkenntnisse sind sehr tief. Es ist nämlich alles nicht fair. Und man ist auf diese Herzensbrecherei auch nie vorbereitet. Zum Abschluss des Albums fährt Blake dann sogar die ganz große Kathedrale auf.

Gerade kann er noch über weich fenderndes Synthkreiseln "If I'm loved unconditionally, how's this condition so unique?" fragen, dann orgelt es schon schon los, geklonte Background-Jameses flankieren ihn falsettierend wie babyspeckige Putten, die um den Titel "Engel des Monats" wetteifern, "But when you're with me" ... und so weiter. Man sollte vielleicht einfach alleine bleiben. Und zu Hause. Verhindert zusammen Unglück so effizient wie mRNA-Impfstoffe Covid-19. Seinen transparent und dennoch mächtig produzierten Sound, der von Hip-Hop-Beats bis Celine Dion für Hipster reicht, hat Blake beibehalten. Manche nennen das Post-Dubstep, auch wenn bis heute noch niemand verstanden hat, was das sein soll. Man könnte stattdessen einfach sagen, James Blake klingt eben unverwechselbar. Love it or break his heart.

(Foto: N/A)

Aaron Maine alias Porches kennt man spätestens von David Dean Burkharts Musikvideo zu "Underwater", einem surrealistischen, wabernden Meisterwerk, das auf dem 1968er-Film "The Swimmer" basiert. "All Day Gentle Hold !", das neue Album von Porches, gehabt sich im Verhältnis zu "Underwater" deutlich skurriler. Es ist gitarrenlastiger. Andererseits arbeitet Maine viel mit Stimmeffekten und produziert die Songs auf eine künstliche Art trocken, fast ein bisschen plastikhaft, zu einer Mischung aus klassischem Songwriting, verschrobenem DIY-Getüftel und Post-Internet-Art.

Szene aus David Dean Burkharts "Underwater". (Foto: Screenshot: Youtube)

Leider gehört er zu den zahllosen Künstlern, denen noch niemand gesagt hat, dass der kosmische Supreme Court der Künste schon vor Äonen ein zehnjähriges Verbot für den Einsatz von Autotune ausgesprochen hat. Deshalb wird Maine leider einst durchs Fegefeuer müssen, aber vielleicht finden sich mildernde Umstände. Zum Beispiel, wie charmant er kurze Textphrasen wiederholt. Manchmal auch nur ein Wort. Crazy, crazy, crazy, crazy. Okay, okay, okay, okay. Ja, das ist sie, diese bis in die letzte Zelle von der hibbeligen Fusionsästhetik des Internets kontaminierte und doch ganz bodenständige Singer-Songwriter-Musik. Wie grellbuntes Plastikspielzeug in gesündester Gartenerde. Weirde Melodien zum Mitsingen (und Wörterwiederholen). Und was manchmal wie Autotune kiekst, ist vielleicht nur das zustimmende Jodeln der James-Blake-Putten im Himmel.

(Foto: N/A)

Auf Reddit fragte kürzlich jemand, welche Rockstars, die eine steile Karriere hatten, eigentlich nicht in Drogen und Skandalen versunken sind. Unter den Antworten fanden sich Pearl Jam und They Might Be Giants. Matt Maltese könnte ihnen nachfolgen auf dem Weg zum entspannten Popstardasein. Das Album des 23-jährigen italienisch-kanadischen Künstlers aus Südlondon, "Good Morning It's Now Tomorrow" strahlt auf jeden Fall die nötige Gelassenheit aus. Er wird mit den Beatles und Aldous Harding vergleichen, und man versteht, woher es kommt, aber der Pop von Maltese ist, obwohl jünger, tausendmal gesetzter als alles, was die Beatles je angestellt haben. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass er über einen Tiktok-Hit bekannt wurde. Andererseits wurde auch Tierra Whacks aus einminütigen Songs bestehendes "Whack World" durch Tiktok bekannt, und das ist fantastisch. Wo ist Tierra Whack eigentlich abgeblieben? Vielleicht könnte sie Maltese dabei helfen, sein Leben zu zerstören. Es wäre eine gute Tat.

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