Süddeutsche Zeitung

Malerei:Großmacht der Bilder

Das Goldene Zeitalter der spanischen Kunst lebt in einer großen Ausstellung der Berliner Gemäldegalerie mit Meisterwerken von Diego Velázquez und Francisco de Zurbarán wieder auf.

Von Lothar Müller

Fast muss man das Mittelmeer suchen auf der riesigen Weltkarte, die am Eingang der Ausstellung das Spanische Weltreich um 1600 vor Augen führt. Es trägt kein Namensschild, anders als der Atlantische, Pazifische und der Indische Ozean, an die sich die Besitztümer und Stützpunkte Spaniens anlagern, von Europa und Afrika bis nach Südamerika, Mexiko und in die Karibik, von Südostasien bis Japan und China.

Gleich im ersten Raum wird der "Don Quijote" des Miguel de Cervantes ausliegen, in dem das Zeitalter der großen Taten längst vergangen ist, und beim Voranschreiten durch den Parcours wird die Stimme des Cicerone im Audioguide - sie gehört dem Schauspieler Daniel Brühl - das eingangs angeschlagene Motiv entfalten. Sie wird von globalen Krisen und Kriegen berichten, vom allmählichen Niedergang des Weltreichs unter den Nachfolgern Philipps II., der 1598 starb, von mehreren Staatsbankrotten und der Pest, die Sevilla entvölkerte. Das Goldene Zeitalter, das die Ausstellung "El Siglo de Oro. Die Ära Velázquez" im Titel führt, war glanzvoll nur in der Kunst.

Niedergang des Weltreichs, Pest, Staatsbankrotte - woher nahm die Kunst da ihre Kraft?

Kaum ist der Besucher in den ersten Raum der Ausstellung eingetreten, schon stürmen das Blau und das Rot der Madonna und der Engel aus El Grecos "Unbefleckter Empfängnis" (1608-1613) auf ihn ein, die über dem in grüner Hügellandschaft daliegenden Toledo auffliegen wie eine Vision. Hier wie in den graublauen Wolken, in die hinein gleich nebenan das braune Kreuz von El Grecos "Christus am Kreuz mit zwei Stiftern" ragt, steckt ein malerischer Überschuss und Überschwang, stecken Kraftquellen, die das Paradox aufsprengen.

Zum einen muss es im Siglo de Oro eine relative Stabilität der Auftraggeber gegeben haben, der Kirche und des Hofes, jedenfalls eine Wertschätzung der Kunst, die von den politisch-historischen Krisen womöglich eher bestärkt als gemindert wurde. Und zum anderen muss es diese überschießenden Kraftquellen in den Künsten gegeben haben, und dafür kommen vor allem zwei Energiespender infrage: das affektive Potenzial der inneren und äußeren Glaubenskämpfe im Zeitalter der Gegenreformation und das hochschießende Selbstbewusstsein der Künste. Diese Bilderwelt entsprang nicht nur einem nachkolumbianischen Weltreich, sondern auch der Epoche nach der Renaissance.

Die Berliner Gemäldegalerie macht das mit Werken der eigenen Sammlung und über 150 Leihgaben faszinierend sichtbar. Sie führt dem Betrachter das Toledo El Grecos vor Augen, das Valencia Francisco Ribaltas, das Sevilla des jungen, das Madrid des reifen Diego Velázquez, wirft Seitenblicke auf die inspirierende Kraft der königlichen Sammlungen und der auf Reisen gewonnenen Anschauung der italienischen Kunst. Durch viele Säle geistern das Helldunkel und die von irdischem Staub und Schmutz gezeichneten Leiber Caravaggios, man betrachte nur die Zehennägel des Heiligen Paulus von Francisco Ribalta.

Jesuiten und schwarze Gewänder - die Gegenreformation ist hier leibhaftig gegenwärtig

Ein eigenes Kapitel ist dem Einfluss Tizians auf das Werk der großen Meister in Madrid gewidmet, gruppiert um das dunkle Selbstporträt Tizians, das die Berliner Gemäldegalerie selbst beisteuern kann. Aber kehren wir, ehe wir an den Hof zu Madrid gehen, zur Frage nach den Energiequellen zurück und betrachten Francisco Ribaltas großformatiges Gemälde "Der heilige Franziskus umarmt den Gekreuzigten" (um 1620). So innig umschlingt Franziskus den Gekreuzigten, so nah sind seine geschlossenen Lippen der blutenden Wunde des bleichen Körpers, dass der Audioguide warnt, man solle hier nichts Erotisches hineinsehen. Nein, aber einen Radikalismus der Nähe schon, der diese historisch unmögliche Begegnung nur inszeniert, um den Übergang der Wundmale von Christus auf Franziskus so kräftig wie möglich aus der Legende ins Bild zu überführen. Und dabei so weit geht, dass Christus den rechten Arm vom Kreuz genommen zu haben scheint, um in einer Parallelbewegung Franziskus möglichst sanft die Dornenkrone aufzusetzen. Nicht die Glaubensintensität der Künstler muss die Kraftquelle sein, es kann auch der irdische Auftrag gewesen sein, die Glaubensintensität der Betrachter durch höchste Anspannung der Kunst zu befördern.

Die Fusion von Medien der Kunst und Mentalität ist eines der großen Themen dieser Ausstellung, und um das darzustellen, rücken die Kuratoren die spannungsreiche Parallelaktion von Malerei und Bildhauerei ins Zentrum. Das beginnt im ersten Saal mit dem polychromen Holzkruzifix von Sebastián Ducete, neben den El Grecos. Schon hier wird deutlich, dass Malerei und Bildhauerei Großmächte sind - und im Folgenden wird deutlich werden, dass die volksnahe Bildhauerei sich nahezu ausschließlich religiösen Themen zuwendet und als Kunst des extremen Naturalismus auftritt. Weil ihre Objekte bemalt sind, geht sie eine Symbiose mit der Rivalin ein, aber sie will sie in der illusionären Vergegenwärtigung des Dargestellten die Malerei übertrumpfen.

Leibhaftig scheint die Gegenreformation im Raum zu sein, wenn man vor den lebensgroßen Skulpturen steht, in denen der Bildhauer Juan Martinéz Montañés den Hl. Ignatius von Loyola, den Begründer des Jesuitenordens, und den Hl. Francisco de Borja dargestellt hat, in schwarze Gewänder gehüllt, die Kreuze wie Schwerter schwingend. Francisco Pacheco hat diese Figuren bemalt, der Lehrer und Schwiegervater von Diego Velázquez. Um 1620 hat Velázquez, damals Anfang zwanzig, Pacheco in Sevilla porträtiert, in großer weißer Halskrause, die wenig später Luxuseinschränkungen zum Opfer fiel - einen selbstbewussten Intellektuellen und Maler, dessen Traktat über seine Kunst in einer Vitrine ausliegt.

Nun können wir, vorbei an dem hinreißenden Gruppenbild der "Drei Musikanten" des jungen Velázquez, von Sevilla nach Madrid voranschreiten. Die elegant gekleidete, höfisch wirkende "Heilige Margareta von Antiochien" des Francisco Zurbarán begleitet uns, gemeinsam mit Zurbaráns hoch aufgerichtet dastehendem "Heiligen Franziskus nach der Vision von Papst Nikolaus V." und seinem Porträt des Don Alonso Verdugo de Albornoz.

König Philipp IV., der große Kunstförderer, porträtiert in der Werkstatt des Velázquez, blickt auf uns herab, ebenso sehr Individuum wie Herrscher, und sein Blick scheint zu sagen, dass er die Malerei auch fördert, damit er in Madrid anwesend sein kann, auch wenn er auf Reisen oder einem Schlachtfeld ist. Neben ihm bekräftigt die Infantin Maria von Habsburg, dass die kostbare Kleidung, aus der ihr Kopf hervorragt, zum Ensemble der Macht gehört.

Vom Hofnarr, der hinreißend mürrisch dreinblickt, ist es nicht weit zum melancholischen Mars

Der hinreißend mürrisch dreinblickende Hofnarr, dem Velázquez ein Buch auf die Knie gelegt hat, das größer zu sein scheint als er selbst, demonstriert nicht nur den Zusammenhang von Narrentum und Missvergnügen, sondern auch die Nähe dieser höfischen Malerei zum Wissen und zur Reflexion. Es ist nicht weit von ihm zum melancholischen Mars, den Velázquez um 1638 gemalt hat. Denn der Kriegsgott sieht aus wie ein trauriger Clown, der sich den Helm nur zum Spaß aufgesetzt hat und im Ernstfall nicht wüsste, wie er den Harnisch zu seinen Füßen anlegen soll. Es ist verführerisch, in diesen Mars den Niedergang des Weltreichs hineinzusehen, aber vielleicht ist er nur erschöpft von der Liebe und benommen vom Spott der Götter, den Vulcanus anfacht, als er ihn in flagranti mit Venus erwischt hat.

Die höfische Malerei vor Velázquez zeigt in Vicente Carduchos Interieurs mit Heiligen wie in den Stillleben des Juan van der Hamen y León, dass in Spanien wie in den Niederlanden die Dinge - und auch die Tiere und Blumen - nicht in den allegorischen Bedeutungen verschwinden, die sie darstellen sollen, sondern zur Feier der Sichtbarkeit und damit der Malerei selber beitragen. Die populäre Skulptur aber hat einen großen Auftritt: der Bildhauer Gregorio Fernández, eine der Entdeckungen dieser Ausstellung, überführt in seiner Kreuztragungs-Gruppe mit der Hl. Veronika und Simon von Cyrene die Tradition der spätmittelalterlichen Holzskulpturen in eine Art Cinemascope-Format für Prozessionen. Die Ausstellungsregie treibt in diesem Raum die Spannung zwischen Malerei und Skulptur ins Extrem: mit Zurbaráns eigentümlich modernem und zugleich innig wirkenden, der Einbildungskraft viel Raum lassenden "Schweißtuch der hl. Veronika".

Diese Spannung hält der Saal, in dem Fernández' toter Christus hyperrealistisch aufgebahrt daliegt, mit brechenden Augen und übersät von Wundmalen. Wenige Meter entfernt von ihm die Mater dolorosa, die Wilhelm von Bode selbst in Spanien entdeckt und in die Gemäldegalerie geholt hat. An den Wänden Bilder des Gekreuzigten, die zugunsten der Verinnerlichung des Schmerzes auf die Ausstellung der Wundmale verzichten.

Eines dieser bleichen Christus-Bilder stammt von Alonso Cano, Maler und Bildhauer, Mitschüler des Velázquez in Sevilla, und eine weitere Entdeckung der Ausstellung. Ein anderer, die Leiden in sich gekehrt erwartend, von Bartolomé Esteban Murillo. Dessen Genreszenen mit Kindern und Alten holen uns, vorbei an den Köpfen von Märtyrern, in die Welt zurück. Es war eine große Reise, in ein fernes Land.

El Siglo de Oro. Die Ära Velázquez. Bis 30. Oktober, Berlin, Gemäldegalerie. Ab 25.11. in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München. Der ausgezeichnete Katalog kostet 29 Euro.

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Quelle:
SZ vom 08.07.2016
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