Malerei-Ausstellung in Berlin:Chihuahua des Todes

Einem Mann fällt das Gesicht aus dem Gesicht, ein anderer lässt sich unschön von innen betrachten, eine Künstlerin lässt sich zerfleischen: Die Ausstellung "Malerei am Rand der Wirklichkeit" zeigt Fantastisches, Groteskes, aber auch Pittoreskes.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

11 Bilder

Malerei am Rand der Wirklichkeit

Quelle: Eckart Hahn/Abend, 2011/Sammlung Akselrad, Courtesy WAGNER + PARTNER, Berlin

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Einem Mann fällt das Gesicht aus dem Gesicht, ein anderer lässt sich unschön von innen betrachten, eine Künstlerin lässt sich zerfleischen: Die Ausstellung "Malerei am Rand der Wirklichkeit" in Berlin zeigt aber auch Pittoreskes.

Da hat sich aber jemand ein Süppchen eingebrockt: Der Mann auf dem Bild scheint aus seinem Gesicht zu löffeln. Eine Folge des Gesichtsverlusts eines gepflegten jungen Mannes in gestärktem Hemd - oder doch nur ein böser Traum? Und wenn ja, für wen? Eckart Hahn (Jahrgang 1971) aus Reutlingen, der das an Magritte erinnernde Bild gemalt hat, hält den Betrachter bewusst auf Abstand mit der Blaupause im Gesicht des Porträtierten.

Auch seine anderen Bilder in der Ausstellung "Die halluzinierte Welt - Malerei am Rand der Wirklichkeit" im Haus am Lützowplatz in Berlin erzählen Geschichten aus Traumwelten: Eine Köchin geht in Flammen auf, ein Herd versenkt Töpfe. Die präzise, geradezu altmeisterliche malerische Form steht in starkem Gegensatz zu den verwirrenden Bildinhalten - und bekräftigt sie dadurch noch. Am Ende ist der Besucher verwirrt. Und das soll auch so sein.

Malerei am Rand der Wirklichkeit

Quelle: Alex Tennigkeit/Der Schnitt, 2012/Courtesy Galerie Jette Rudolph, Berlin

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So auch durch dieses Bild von Alex Tennigkeit: Was kurz und nicht ganz schmerzlos "Der Schnitt" heißt, ist durch Hemdkragen und Krawattenknoten als Anlehnung an ein Porträt zu verstehen - nur halt, dass dem Hemdträger ebenfalls das Gesicht fehlt. Im Gegensatz zum vorigen Bild ist hier aber sehr wohl ein Innenleben zu betrachten - wenn auch ein unschönes, das seine Kopf-Innereien wie ein mechanisches Uhrwerk entblößt. Das erinnert an diesen effektheischenden Horrorfilm, in dem ein Pferd halbiert wurde, oder an Gunther von Hagens Gehäutete. Doch diese Künstlerin ...

Malerei am Rand der Wirklichkeit

Quelle: Alex Tennigkeit/Cruelty (Anatomical Theatre), 2013/Courtesy Galerie Jette Rudolph, Berlin

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... stellt sich auch selbst so dar: verstümmelt, zerfleischt und in Bearbeitung. Das Selbstporträt von Alex Tennigkeit ist typisch für 1976 in Heilbronn geborenen Berlinerin. Sie verstört den Betrachter gerne - und belästigt ihn absichtlich konfrontativ mit existenziellen Themen wie Tod, Vergänglichkeit, Verderben, dazwischen immer wieder Schönheit.

In diesem Bild ist es die Malerin selbst, die auf dem Seziertisch zu liegen scheint, einen Flaschenzug in die Stirn gerammt. Der Tod scheint sie mit ihren eigenen Eingeweiden zu füttern, die von einer freundlich lächelnden jungen Frau untersucht werden, während eine Restauratorin vorsichtig ihre Brust inspiziert. Im Hintergrund absurde Skelette und eine Hyäne, die mit ihrer blutigen Schnauze genauso zwischen Leben und Tod zu schweben scheint wie die lebende Leiche der Künstlerin. Das Albtraum-Bild mit Namen "Cruelty - Anatomic Theatre" ist vor allem in Originalgröße so schwer zu verdauen, dass es im Haus am Lützowplatz in einem durch einen Vorhang abgetrennten Bereich hängt, den Kinder nicht betreten sollen.

Malerei am Rand der Wirklichkeit

Quelle: Michael Kirkham/Pastoral, 2014

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Dort hängt auch dieses Bild von Michael Kirkham, das ein junges Paar bei Intimitäten auf einer Wiese zeigt. Typisch für den 1971 in Blackpool geborenen und in Berlin lebenden Künstler: Seine Malerei wirkt oft wie ein Foto-Negativ. Dadurch hat der Betrachter das Gefühl, eine reale Szene wie durch einen Filter wahrzunehmen. Ein weiteres Bild von ihm hängt ebenfalls in diesem abgetrennten Raum - weil es doch sehr explizit ist: Es zeigt im Großformat eine Art Büro-Orgie. Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, dass sechs Personen ohne Bezug zueinander mehr oder weniger einsamen Sex haben. Der Künstler experimentiert mit direkten und indirekten Wahrnehmungsebenen - bis man kaum noch weiß, ob es Menschen oder Maschinen sind, die diese Posen aus der Pornoindustrie übernommen haben.

Malerei am Rand der Wirklichkeit

Quelle: GL Brierley/Manturna, 2013/Courtesy Feldbuschwiesner, Berlin

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Mit zielgerichteterer Reproduktion beschäftigt sich die britische Künstlerin G.L. Brierley. Rätselhafte Organismen und groteske Metamorphosen kommen dabei heraus, wenn die Künstlerin Farbe wie zu einem organischen Lebewesen verdichtet. Abstrakte Strukturen scheinen über die Bildfläche zu wuchern, man fragt sich: Lebt dieses Ding? Die Künstlerin vergleicht die Abspaltung des gemalten Objekts von seiner Urheberin mit der Beziehung zwischen Mutter und Kind. Und thront da nicht auch ein schreiender Babykopf auf dem Gebilde? Genaues weiß man nicht. Und das ist auch nicht das Ziel.

Malerei am Rand der Wirklichkeit

Quelle: Herbert Volkmann/Jambo Fisi (Brando Cohl), 2008/SØR Rusche Sammlung Oelde, Berlin

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Vermeintlich schneller geht das bei diesem Bild, auf dem zumindest Helmuth Kohl sofort als solcher zu erkennen ist - auch wenn Herbert Volkmann (1954 in Berlin geboren) ihm ein paar zusätzliche Beulen auf die Stirn gemalt hat. Aber wovon erzählt die Szene mit dem Titel "Jambo Fisi (Brando Cohl)" von 2008? "Kunst ist hauptsächlich dazu da, die Wirklichkeit zu entgrenzen. Was man in einer formalisierten und durchgeregelten Welt nicht kann, kann man in der Kunst machen. Weil man da sozusagen der Herrscher ist", erzählte Volkmann einst in einem Interview, zusammen mit seinem Künstlerfreund Jonathan Meese. Und der pflichtete ihm bei: "In der Kunst ist alles erlaubt, alles denkbar, alles kann auf den Tisch gelegt werden." Deshalb könne er nicht mit Künstlern zusammenarbeiten, die zwar im Leben keine Angst hätten, dafür aber in der Kunst. Das sei für ihn der falsche Weg.

Malerei am Rand der Wirklichkeit

Quelle: Philip Grözinger/Why are you so quiet, 2012/ Courtesy Galerie Christian Ehrentraut, Berlin

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Seine eigene Welt, voller bedrohlicher und doch wie aus Kinderhand stammender Monstermaschinen malt auch Philip Grözinger (1972 in Braunschweig geboren, lebt in Berlin). Das Bild mit dem Titel "Why are you so quiet" wirkt wie ein postmoderner Weltuntergang in pink und schwarz, ein einzelner Herr im weißen Anzug vor der Waldhütte wirkt ähnlich planlos wie das dunkle Monster im Hintergrund. Surrealismus, Expressionismus, oder doch nur ein persönlicher Albtraum? Grözinger malt apokalyptische Szenen in Neonfarben, mit Referenzen zur Romantik.

Sein Bild "Fishing for compliments" in der Ausstellung zeigt einen einsamen Angler, über dem ein rosa Monster thront, das einen pinken Laserstrahl duchs Bild schießt. Die romantischen Landschaften erinnern fast an Caspar David Friedrich, die drolligen Monster eher an Figuren aus der zeitgenössischen Popkultur. Auch die Titel geben keine Auskunft über den Sinn des Gemäldes und bedienen sich eher noch der Ironie - ähnlich wie die comic-haften Monster.

Malerei am Rand der Wirklichkeit

Quelle: Ruprecht von Kaufmann/Sirenen, 2011/Foto: Stefan Maria Rother

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Ohne Monster, aber auch nicht ganz irdisch sind die Bilder von Ruprecht von Kaufmann (1974 in München geboren, lebt in Berlin). Auf dem Ölgemälde mit dem Titel "Sirenen" schwebt eine Figur in Badehose an einem Schirm auf eine Wasserfläche hinab - oder schwebt sie hinauf? Der Nebel lässt nicht erkennen, ob im Hintergrund die Sonne oder der Mond strahlt, weitere Schirme treiben auf dem Wasser. Haben die berühmten Sirenen aus der griechischen Mythologie die Vorbeischwebenden angelockt, um sie zu töten? Wird sich der Nebel irgendwann lichten? Weitere Bilder von Kaufmann in der Ausstellung zeigen kleinformatige nebulöse Porträts zarter Damen, deren Dutt schon mal in Acrylfarbe über den Bildrand ragt, flüchtig und bildschön. Diese Bilder sind wie Poesie.

Malerei am Rand der Wirklichkeit

Quelle: Tilo Baumgärtel/Helia, 2013/Courtesy Galerie Kleindienst, Leipzig/Foto: Uwe Walter, Berlin

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Märchenhaft ist auch die Malerei von Tilo Baumgärtel aus Leipzig. Wie eine Szene aus Alice im Wunderland, gemischt mit Harry Potter und von der Absinth-Fee in magisch-grünes Licht getaucht, sitzt in "Helia" ein Mädchen mit viel zu langen Unterarmen von einer Waldhütte und malt - oder schreibt. Doch die Seiten sind leer. Auch die Gegenstände auf dem Tisch der absurderweise durch eine Lampe im Freien beleuchteten fantastischen Szene sind verlängert. Im Hintergrund tragen zwei dunkle Köpfe vor dem beleuchteten Haus zu der leicht unheimlichen Athmosphäre bei. Sind es Skulpturen, Wächter, oder bedrohliche Figuren, die das Mädchen beobachten? Nichts wird aufgelöst in diesem absurden Schauspiel, das sich wie auf einer Bühne präsentiert und wieder mit den unterschiedlichen Ebenen zwischen Traum und Realität spielt. Der 1972 geborene Baumgärtel gilt als Vertreter der Neuen Leipziger Schule und war während seiner Ausbildung Assistent von Neo Rauch.

Malerei am Rand der Wirklichkeit

Quelle: Emmanuel Bornstein/Der Hund, 2013

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Weniger märchenhaft: der Höllenhund. Emmanuel Bornstein (1986 in Toulose geboren, lebt in Berlin), Sohn deutsch-polnischer Emigranten mit jüdischen Wurzeln, beschäftigt sich in seinen Bildserien mit den Schrecken und Nachwirkungen des Krieges. Fabelwesen mit Tierköpfen, vor allem Hunde, werden zum Sinnbild für die Täter, das Grauen, und auch für den Holocaust. So auch in dem Bild "Der Hund", auf dem ein riesiges Tier mit glühenden Augen vor schwarz-gelbem Himmel über einer Szene thront, in der Menschen fliehen und um Hilfe rufen. Marc Wellmann, Künstlerischer Leiter des Hauses am Lützowplatz, Kurator der Ausstellung und Kunsthistoriker, sieht den Hund als "die diabolische Version eines Chihuahuas", andere würden vielleicht eher einen Dobermann darin erkennen. Bornstein jedenfalls sieht in seinen Bilderserien den Zweiten Weltkrieg als Nachfolger der napoleonischen Kriege und bezieht sich auf Goya - um die Geister der Geschichte zu bändigen und die immer noch nachwirkenden Folgen vergangener Schrecken lebendig werden zu lassen.

Malerei am Rand der Wirklichkeit

Quelle: Justine Otto/Gesangverein Liederkranz, 2011/Courtesy polarraum, Hamburg

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Vielleicht am rätselhaftesten: "Gesangverein Liederkranz" von Justine Otto. 1974 in Polen geboren und in Hamburg und Frankfurt wohnend, malt die Künstlerin meist junge Mädchen, die merkwürdige Dinge tun. So wie die heroische Figur auf dem Bild, umringt von Schattenmenschen, einem Ballon und Hirschgeweih. Der Betrachter sieht ihren Figuren beim Erwachsenwerden zu - einem Zustand, der besonders stark von einer halluzinierten Gedankenwelt geprägt ist, die gleichzeitig mit der Realität kämpft.

Die Ausstellung über aktuelle Malerei zwischen Wahn und Wirklichkeit, die zwischen Surrealismus, Expressionismus, Phantastik und Groteske neue Wege sucht, läuft noch bis zum 29. Juni. Weitere Infos hier.

© SZ.de/rus/mkoh/bavo
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