Maler Jörg Immendorff gestorben:Gast im Café Deutschland

"Siegen heißt für mich, ein gutes Bild zu malen." Zum Tod des gesamtdeutschen Malers, Grafikers und Bildhauers Jörg Immendorff.

Jutta Göricke

Eigentlich war die Ausstellung erst für 2010 geplant. Doch Jörg Immendorff, bereits schwer von der todbringenden Muskelkrankheit ALS gezeichnet, mahnte lakonisch bei den Freunden der Berliner Nationalgalerie an, sofern gewünscht werde, dass er die Eröffnung erlebe, möge man die Rückschau auf sein Lebenswerk doch bitte vorziehen.

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(Foto: Foto: dpa)

Die Eröffnungsfeier im Herbst 2005 geriet zum Triumph für den 60-jährigen Immendorff, der seit den frühen sechziger Jahren immer und überall angeeckt war in seinem Land, Deutschland, das er zum Hauptthema seiner Arbeit als Maler, Grafiker und Bildhauer machte. Im Rollstuhl, gewandet in einen Anzug mit roten Nadelstreifen, nahm er die Huldigungen des damaligen Noch-Kanzlers Gerhard Schröder entgegen - inmitten der Kulisse aus sechs haushohen, feuerroten Kuben, von innen und außen bestückt mit Figuren und Requisiten des Immendorffschen Welttheaters: Affen, Honeckers, Baumskeletten, Bundesadlern.

Jörg Immendorff, Professor und Partylöwe, Kanzlerfreund und Kneipier, Dandy und Dadaist, wird im Juni 1945 geboren, in einem kleinen Ort an der Elbe in der Nähe von Lüneburg. Der Vater ist ein Offizier mit Hang zum Musischen, die Mutter Sekretärin und Hausfrau. Mit dem Großvater spielt er sonntags, vor dem Mittagessen, Kriegsschlachten nach - Opa hat die Zinnfiguren selbst angemalt. Als Immendorff elf Jahre alt ist, verlässt der Vater die Familie. Hier bricht auseinander, was zusammengehört. Später wird der Künstler die Scheidung seiner Eltern als das prägendste Erlebnis seiner Kindheit bezeichnen.

Sein Kampf um und mit Vaterfiguren auf öffentlichem Terrain beginnt mit der Aufnahme in die Bühnenbildner-Klasse von Teo Otto an der Düsseldorfer Kunstakadamie, die der 18-Jährige 1963 im schwarzen Cape und Stock mit Silberknauf entert - schon nach drei Semestern fliegt er wieder raus. Er wechselt in die Meisterklasse von Joseph Beuys, dem seine Bilder nicht gefallen, Porträts von selbstgenügsamen Monster-Babies, fette, kleine Einverleiber. Er legt sich mit Beuys an. 1969 ruft er eine Gegen-Akademie aus, setzt alle Professoren ab und wird der Akademie verwiesen. ,,Der Rektor hatte Angst, ihm würde die Hoheit entgleiten'', erzählt er.

Zu dieser Zeit ist er bereits hoch politisiert, Mao hat es ihm angetan. ,,Das war gespeist aus einem sehr bohrenden Gerechtigkeitsempfinden. Ich sah nicht ein, warum ein großes Land wie die USA ein kleines Land wie Vietnam verprügelt'', sagt er. Er will ,,aktiv am politischen Kampf der werktätigen Massen teilnehmen, den Imperialismus entlarven, anprangern und bekämpfen.'' Ganz im Sinne maoistischer Indoktrinationsbestrebungen wird er für die nächsten zwölf Jahre Kunsterzieher an einer Düsseldorfer Hauptschule. Und seine Malerei?

1966 hat er, unzufrieden mit dem, was er produzierte, ein Gemälde mit dem Befehl beschriftet: ,,Hört auf zu malen''. Ein ,,Superbild'', fand Beuys. ,,Das Bild muss die Funktion der Kartoffel übernehmen'', findet Immendorf. Und es ist ihm ernst damit: Kunst ist Mittel zur Weltrevolution und soll nicht schön sein, sondern sättigen.

Fürderhin widmet er sich seinen Lidl-Aktionen. Das Nonsense-Wort hatte der Schwitters-Bewunderer dem lidlnden Klang einer Babyrassel abgehört. Es dient nun als Etikett für allerhand postdadaistische Happenings und Debattierclubs, eine Art Polit-Fluxus. 1967 zieht er zum Beispiel mit einem schwarzrotgold bemalten Holzklotz am Bein vors Bonner Bundeshaus, um zu provozieren. Das gelingt trefflich. Von Blaulicht und Martinshorn orchestriert, eilen Ordnungshüter herbei, um den Klotz zu konfiszieren. Straftatbestand: ,,Durch das Schleifen sind auf der Unterseite die Bundesfarben beschädigt worden.'' 1968 entwirft Immendorff in minimalistischer Manier mit Kreide auf einer Tafel das Konzept für seine Lidl-Stadt: In Häuschen aus Holz und Packpapier, mit Stromversorgung und allem drum und dran, sollen zehn oder mehr Personen leben - eine experimentelle Papiersiedlung für die Lidl-Kommune.

Der Kölner Galerist Michael Werner holt Immendorff 1971 aus der agitatorischen Basisarbeit heraus: ,,Ich hatte Anfang der siebziger Jahre meine gesamten Bilder im Akademiekeller...Wer einen Keilrahmen wollte, kriegte ein Bild für 5Mark. Ich wollte zu dieser Zeit lieber Transparante malen, Mietersolidarität unterstützen, ich war Hauptschullehrer und hatte kein Interesse an Ausstellungen. Da kam Werner und fragte, ob wir eine Ausstellung machen können.'' Die Zusammenarbeit verläuft erfolgreich. 1972 nimmt Immendorff an der documenta teil, 1976 folgt die Biennale in Venedig.

1976 trifft er erstmals den Dresdner Maler A.R. Penck, der auch durch Michael Werner vertreten wird. In einem Ost-Berliner Café voller Funktionäre brüllt Penck ,,Rotfront!'' zur Begrüßung und lässt sich dann endlos über den Science-Fiction-Helden Perry Rhodan aus. Immendorff erinnert sich: ,,Ich versuchte, Penck klarzumachen, warum ich Mao für den Größten hielt. Und er redete immer nur über Perry Rhodan. Wir redeten vollkommen aneinander vorbei. Eine absolute reale Sprachlosigkeit.'' Trotzdem schaffen sie es, ein Kollektiv zu gründen und ein gemeinsames Kurzmanifest zu verfassen, dem am Tag der Arbeit 1977 die Ausrufung eines Aktionsbündnisses folgt, aus dem verschiedene gemeinsame Aktivitäten und Ausstellungen resultieren. Dem Maoismus schwört Immendorff nun ab. Kunst und die strenge Disziplin in einer linken Splitterorganisation lassen sich auf Dauer nicht vereinbaren.

Sein politisches Interesse richtet sich jetzt ganz auf die deutsche Teilung. Immendorff nimmt sein berühmtes ,,Café Deutschland'' in Angriff, ein Bilderzyklus, der bis 1983 auf 43 Werke anwachsen und der ihm mit der Wiedervereinigung posthum den Ruf eines Visionärs einbringen wird. Ein merkwürdiges Projekt, damals. 1977 ist die RAF-Hysterie auf dem Höhepunkt. Heißer Herbst im Westen. Im Osten eskalieren die Künstlerproteste. Schnittmengen zwischen den beiden deutschen Staaten gibt es kaum, weder offiziell noch dort, wo Protestpotenzial sich entfaltet. Willy Brandts Ostpolitik hatte für eine friedliche Ko-Ignoranz gesorgt.

Immendorff aber will, dass zusammenwächst, was zusammengehört. ,,Für mich wurde das Gefühl, dass sich alle mit einem geteilten Deutschland abfanden, immer unerträglicher. Ich war nun der Einzige, der beinahe exzessiv gegen die Teilung angemalt hat.'' In immer neuen Varianten versammelt er große Männer aus Ost und West samt ihren jeweiligen Machtsymbolen auf der Leinwand, situiert sie in einem circensisch inszenierten XXL-Café als utopischer Begegnungsstätte, dramatisch ausgeleuchtet, polyfokal komponiert - expressionistische Theater-Stücke. Da lugt Bert Brecht über den Rand eines Scheinwerfers, Helmut Schmidt und Erich Honecker pinseln ihre Landesflaggen, Penck wehrt mit einem Stuhlbein den Bundesadler ab, der sich einen VW Golf gekrallt hat. Immendorff selbst reicht einem imaginären Gegenüber durch ein Loch in einer Mauer die Hand. Hakenkreuze aus Eis schmelzen, Hammer und Sichel tauen auf.

Doch trotz dieser Inszenierung von Annäherung und Vereinigung - Friedrich der Große, Stalin, Hitler und Beuys auf einem Tableau - wirkt die Versammlung der Geschichtsgrößen seltsam disparat. Eine wirkliche Begegnung findet nicht statt. Die dicht gedrängten Figuren sind insulär vereinzelt, die Künstlichkeit der Collage ist offengelegt. Ein künstlerisches Verfahren, das damals in allen Sparten en vogue zu werden beginnt: Heiner Müller zerhackt Hamlet und setzt die Fragmente zu einer Körpermaschine zusammen, Architekten zertrümmern die Baugeschichte und bedienen sich ihrer als Steinbruch für dekonstruktivistische Wohnmaschinen.

1982 hängen Bilder aus der Café Deutschland-Serie inmitten der jungen, wilden Malerei auf der documenta, neben den hedonistischen Tänzen von Salome und den expressiven Porträts von Middendorf. Die neue deutsche Welle rollt. Das Interesse an Politik geht gegen Null, das Interesse an der Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten sowieso. Die neue Jugendbewegung gibt Gas und will Spaß. Den hat auch Immendorff. 1984 wird er Besitzer des Hamburger Kiez-Etablissements ,,La Paloma'' - nachdem er nach durchzechter Nacht mit einem Pachtvertrag in der Tasche aufgewacht ist, wird kolportiert. Sein Auftritt ist martialisch: Stoppelbart, Goldohrring und Ledermontur. Der malende Lederkerl bewirtet Joop, Domenica und Klaus von Dohnany nebst Gattin. ,,Ich genoss einen gewissen Narrenstatus und wurde nicht behelligt. Ich glaube, wir waren der einzige Laden, der kein Schutzgeld bezahlen musste.'' Von Fluxus zum Luxus: Immendorff fährt jetzt Porsche und posiert als Model für Herrenanzüge.

Seine neue Werk-Serie spielt im Café de Flore, ein Refugium der französischen Intellektuellen im Krieg. Statt Staatsmänner treffen nun große Künstler aufeinander: Girgio di Chirico, André Breton, Piero Manzoni. Und natürlich Immendorff selbst, der in verschiedenen Rollen auftritt. In einem Bild kredenzt er Picabia, Tanguy und Duchamp Getränke - mindestens als Kellner kann er den berühmten Vorgängern das Wasser reichen. In anderen Bildern schlüpft er in das Kostüm eines Gauklers oder ist als Frauenfigur, Biene (Imme!), als Tunichtgut Tom Rakewell aus Hogarths ,,The Rake's Progress'' präsent oder als Affe. Den Affen, das alte Künstler-Tier, verewigt er auch in einer Skulpturenserie.

1989, Wiedervereinigung. Politiker halten Ansprachen vor Immendorffs präfigurierten Historienbildern. Trotzdem gehört er nicht zu den Künstlern, die den Auftrag erhalten, den Berliner Reichstag auszustatten. Der Porträtist von Bundesadler und Brandenburger Tor ist enttäuscht, ,,unhistorisch'' nennt er die Entscheidung, ihn außen vor zu lassen. Immerhin, ,,Freund'' Gerhard Schröder bittet ihn, sein offizielles Kanzlerporträt zu malen. In einem späten Selbstbildnis zeigt er sich im Adlerkostüm, auf den Schuhen krallenartige Kleckse. Ein ironischer Kommentar zum Künstler als Nationalsymbol und politische Instanz.

Anfang der neunziger Jahre leeren sich Immendorffs Bildräume. Er lässt, wie er sagt, das ,,erzählerische Lametta'' weg, eine Reduktion zugunsten einzelner Figuren, die er mit Rückgriffen auf die Kunstgeschichte anreichert. Seit der Diagnose der unheilbaren Krankheit im Jahr 1998 kommen Vanitasmotive hinzu: romantisierende Baumgerippe, Sense und Spiegel. Er zitiert Dürers Melencolia und Hans Baldung Griens Fortuna, die auf kippeligen Weltkugeln balanciert. Der Rummel um seine Person, der seit der ,,Kokain-Affäre'' im Jahr 2003 eskaliert war, hat sich gelegt. Genugtuung ist ihm, dass das Strafmaß nicht ausreicht, um ihn von seiner Professorenstelle an der Düsseldorfer Akademie, die er seit 1996 innehat, zu vertreiben.

In den letzten Monaten seines Lebens ist Immendorff wegen der fortschreitenden Lähmungserscheinungen beim Arbeiten auf die Hilfe von Assistenten angewiesen. Er ist jetzt ,,Dirigent'', wie er sagt, und folgt Tag für Tag einer alten Erkenntnis: ,,Siegen heißt für mich, ein gutes Bild zu malen, und wenn das gelingt, siegt man immer, nicht zuletzt über sich selbst.''

Jörg Immendorff ist im Alter von 61 Jahren in Düsseldorf gestorben.

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