170. Mal: "Wetten dass, ...":Schamrot bei der TV-Blondine

Hollywood in Basel, Provinz im Saal. Gottschalks "Wetten dass, ..." mit vielen Bussis, "Pömpel-Dart" und so manchen Peinlichkeiten.

Lars Langenau

Es gab mal eine Zeit, da hat auch Harald Schmidt große Samstag-Abendshows der öffentlich-rechtlichen Anstalten moderiert. Er kam rein und ein riesiger Saal voller Menschen jubelte. Er grinste und sagte: "Hier ist ja eine Stimmung wie im Reichssportpalast." Und sein Publikum schrie - vor Freude.

Gottschalk Wetten dass, ...

Kinderwette: Puppe von Thomas Gottschalk

(Foto: Foto: ZDF)

Nun, diese wunderbaren, vor Sarkasmus triefenden Zeiten sind vorbei. Nach drei Monaten Sommerpause stand am Samstagabend Thomas Gottschalk im schweizerischen Basel auf der Bühne. Zur 170. Sendung von "Wetten dass ..." trat er im, für seine Verhältnisse sehr dezenten, Jackett im lila Schildkrötenlook auf - und überzog nur um eine Dreiviertelstunde.

Kurz vor der Sendung hatte er noch in einem Interview gewarnt, dass er sich auch 20 Jahre nach seiner Premiere als Moderator der ZDF-Unterhaltungsshow nicht intensiv auf seine Sendungen vorbereitet. "Je unvorbereiteter ich bin, desto mehr haben die Zuschauer davon", sagte der 57-Jährige. Ihm gehe es darum, auf dem "Wetten, das...?"-Sofa eine gute Stimmung zu erzeugen. "Kontroverse Diskussionen und inhaltsschwere Gespräche sind von mir nicht zu erwarten."

Weiter: "Der Erfolg dieser Live-Sendung besteht darin, dass ich frei und unbefangen auf die Wetten und auf die Personen zugehe." Um spontan reagieren können, verzichte er im Vorfeld auf ein gründliches Einarbeiten. "Ich bin genauso blank wie die Zuschauer." Dadurch bleibe die Sendung spannend und abwechslungsreich. Nun ja.

"Es war nicht alles falsch was Eva Herman gesagt hat"

Dem neuen Werbepartner der Sendung, der Bild, vertraute er dann noch folgendes an: Er wolle möglichst alle Zuschauer glücklich machen. "Ich mache keine Verneigungen vor der sogenannten werberelevanten Zielgruppe, und das öffentlich-rechtliche Fernsehen sollte dies ebenfalls nicht tun." Und so machte das ZDF an diesem Abend auch nur Werbung für die "größte deutsche Tageszeitung", DHL, Audis neuen A4 und einen großen Versandhandel. Das ZDF, sagte der Entertainer, könne nichts dafür, "dass unsere Nation langsam vergreist. Und wenn die Leute weniger fernsehen würden, gäbe es wahrscheinlich mehr Kinder".

Da wurden wir etwas rot beim Lesen.

Gottschalks Show begann mit einer Replik auf die vergangenen Monate: Stoibers Rücktritt, Sabine Christiansens Rücktritt. Eva Hermans nicht ganz freiwilliger Rücktritt. "Es war nicht alles falsch was Eva Herman gesagt hat", sagt er - und einem Moment stockte uns der Atem. Doch dann lenkte er den Ausflug wieder in harmlose Bahnen. Bitte seien sie nett zu mir, bat Gottschalk seine Gäste: "Es gibt nicht mehr viele Blondinen im deutschen Fernsehen. Hier steht eine der letzten vor ihnen."

Schamrot bei der TV-Blondine

Statt wie bisher fünf gab es nun sechs Wetten und Gottschalks Wetteinsatz dürfen nun die Leser der Bild bestimmen. Toll.

Klassisch die harmlose Stadtwette, die der Schweizer Komödiant Marco Rima als Pate betreute: Der Baseler Münsterplatz soll sich bis zum angepeilten Ende der Sendung um 22.15 Uhr in einen Großstadtdschungel verwandeln. Mit 25 Tarzans, 25 Janes, 25 echten Tiere und 25 als Tiere verkleidete Menschen - und einer Menge Urwaldpflanzen!

Gottschalk lakonisch: "Man kann auch die Haschischzucht über die Grenze tragen." Gottschalk euphorisch: "Wir wollen das Chaos!" Und das gab es dann auch, wenn die TV-Bilder nicht trügen. War es gegen 21 Uhr noch eine "Kleingärtnerei mit zwei Wildkatzen" (Gottschalk), war der Platz um 22.45 Uhr voll mit halbnackten Männern und Janes in Dessous, die sich in dieser nicht mehr ganz so lauwarmen Nacht wohl nicht nur die Nasenspitze einfroren.

Lottoziehen in Albanien

Der erste Sofagast war Michael "Bully" Herbig, der für seinen neuen Film "Lissi und der wilde Kaiser" warb, sich später in eine Prinzessin verkleidete und wohl der einzig wirklich witzige Gast war. Zu ihm auf die Cousch durften kurz danach die Hollywoodstars Jamie Foxx und Jennifer Garner (Ehefrau von Ben Affleck), die wiederum ihren Film "Operation: Kingdom" promoteten. Garner musste dann allerdings schon wieder nach einer Stunde gehen: "So wichtige Termine ...." Gottschalks hübsche Replik: "Eine großartige Schauspielerin."

Natürlich musste dann noch ein wenig Geknutsche und Betatsche des Moderators sein - und ein: "Sie ist verrückt nach mir." Selbst ein Butterfass (was machte das da eigentlich auf der Bühne? Aber das spielte nachher sowieso keine Rolle mehr) wurde zum Herrenwitz verarbeitet: "Das unvermeidliche Rein-Raus-Spiel."

Den musikalischen Rahmen lieferten die finnische Rockband "Sunrise Avenue", die Sängerin Melissa Etheridge und die Kanadierin Avril Lavigne, mit der gefühlten Größe von 1,10 Metern. Aufgerückt aufs Sofa waren inzwischen die Boxer Vitali und Wladimir Klitschko, die Fußballerin Birgit Prinz und Nadine Angerer mit Live-Schaltung ins ZDF-Sportstudio, in der die versammelten Weltmeisterinnen Gottschalk ein eingängiges Stadion-Ständchen sangen: "Du hast die Haare schön. Du hast die Haare schön."

Ganz kurz gesellte sich die Sängerin Melissa Etheridge noch dazu - und später, dafür etwas unnötig länger, die Schauspieler Suzanne von Borsody und der im peinlichen Military-Outfit gewandte Michael Mendel, die einen ebenso langweiligen wie unglaublich selbstgerechten religiösen Stuss absonderten.

Weiter als Gäste waren anwesend - und wohl vollkommen unvermeidlich bei einem Ausflug in die Schweiz, die fleischgewordene Verkörperung des netten kleinen Nachbarlandes mit den hohen Bergen und den reichen Banken: Paola und Kurt Felix. Doch, au weia, denn spätestens hier setzte massiv unser Fremdschämen ein. Dieses Bussi, Bussi, dieses Kokettieren mit dem Aussehen und dem Altern, dieses hilflose Lachen, ließ uns unvermittelt voll Scham ins Sofakissen sinken.

Dagegen war die erste Saalwette noch sehr entspannend: Mit dem Auspuff eines Traktors wurden Bälle in ein Basketball-Korb komplementiert. Gottschalk: "So ziehen die in Albanien übrigens die Lottozahlen." Haha. Wurde trotzdem geschafft, die Wette. Anschließend führte uns die manchmal unverständliche Choreografie der Sendung zu einer unbedeutenden Kinderwette mit Puppenfühlen, die wir nicht verstanden haben.

Bei den weiteren Wetten kamen dann Haushaltsgegenstände ins Spiel wie Backsteine, Glas und aufgepasst: Pömpel (laut Wikipedia die umgangssprachliche Bezeichnung einer Gummi-Saugglocke mit Holzgriff zur Abflussreinigung), deren Konsistenz ziemlich sinnfrei geprüft wurde. Beeindruckend die moderne Wilhelm-Tell-Variante, bei der diese Pömpel aus der Entfernung von ein paar Metern auf zehn nackte Männerrücken "gepömpt" wurden: Pömpel-Dart. Beeindruckend ...

Bei der Außenwette wurde ein Bus auf einer schmalen Brücke "mit dem Hintern" gewendet. Das sah wirklich sehr knapp aus. Und wohl auch deshalb, weil die Wette wegen drei Sekunden verloren ging, wurde der Busfahrer vom Publikum zum Wettkönig gekrönt. Doch was wäre eigentlich passiert, wenn der Bus tatsächlich in den Fluss gestürzt wäre? Und wo üben Menschen eigentlich solche Dinge? Und wie kommt man überhaupt auf so irre und vollkommen sinnfreie Wetten? Schön aber finden wir die Sitte, dass jeder Wettausführende seine Familie, Arbeitskollegen, Freunde und so weiter und so fort grüßen darf. Das erinnert uns irgendwie an alte Zeiten, wo die "Oma in der DDR" gegrüßt wurde.

Zwei Jahrzehnte ist es nun her, dass Gottschalk seine erste "Wetten, dass. ..?"-Sendung präsentierte. Am 26. September 1987. Und an die könne er sich noch immer gut erinnern, sagte Gottschalk im eingangs erwähnten Interview. "Den meisten Menschen bleibt ein Leben lang der erste Geschlechtsverkehr und die erste Sendung im Gedächtnis. Bei mir ist es die erste Sendung."

Und abermals wurden wir rot.

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